Zu hohe StrahlungswerteFrankreich ruft iPhone 12 vorläufig zurück – mit Folgen für die Schweiz
Im schlimmsten Fall droht Hersteller Apple ein definitives Verbot dieses Smartphone-Modells. Da ein Abkommen mit der EU besteht, müsste die Schweiz eine solche Massnahme mittragen.
Touristen machen ein Selfie vor dem Eiffelturm: In Frankreich gibt es eine Aufsichtsbehörde, die die von Smartphones abgegebene Strahlung kontrolliert.
Foto: Philippe Lopez (AFP)
Dieses Mal hat es Apple erwischt: Gemäss einem Test der Agence Nationale des Fréquences (ANFR) in Frankreich gibt das iPhone 12 zu viel Strahlung ab. Nun hat die Aufsichtsbehörde den US-Technologiekonzern dazu aufgefordert, «alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um diesen Missstand rasch zu beheben».
Bis es so weit ist, darf Apple das beanstandete Modell in Frankreich nicht mehr verkaufen. Abhilfe kann ein Update des Betriebssystems schaffen, das die Strahlung verringert. Unterbreitet Apple der Behörde nicht innerhalb einer Frist von 15 Tagen Vorschläge zur Lösung des Problems, droht eine empfindliche Strafe: So kann die ANFR verfügen, dass der Hersteller das iPhone 12 endgültig vom französischen Markt nehmen muss.
Seit 2017 will der französische Staat genau wissen, wie hoch die Strahlung von Smartphones ist. Zuletzt hat er Ende September im Internet die Testergebnisse aus dem vergangenen Jahr veröffentlicht. Aktuell listet die ANFR 51 Modelle auf, welche die staatliche Stelle als «nicht konform» einstuft. Neben dem iPhone 12 von Apple gehören Produkte von Samsung, Xiaomi und Motorola dazu.
Die Angelegenheit beschäftigt im Wahljahr die schweizerische Bundespolitik. Die Zürcher Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter wollte in der Fragerunde vom 24. September vom Bundesrat wissen: «Prüft bei solch eindeutigen Hinweisen aus dem Ausland keine Stelle des Bundes die Einhaltung der SAR-Werte?» Die Abkürzung SAR steht für «spezifische Absorptionsrate» und ist ein Mass dafür, wie der menschliche Körper elektromagnetische Felder aufnimmt.
Schlatter hatte bereits im Juni einen parlamentarischen Vorstoss eingereicht, in dem sie von der Regierung wissen wollte, wer in der Schweiz überhaupt für die Kontrolle von Strahlungsnormen für Mobiltelefone zuständig ist.
Das Parlament hat sich schon früher mit dem Thema befasst: 2019 verlangten die SP-Nationalrätinnen Silvia Semadeni und Martina Munz in zwei Interpellationen Klarheit über die Ausgangslage in der Schweiz.
Auslöser war der «Phonegate»-Skandal in Frankreich, der erst zu den regelmässigen Smartphone-Tests durch die ANFR führte. 2018 wurde bekannt, dass Smartphone-Hersteller in Frankreich die Strahlungswerte ihrer Produkte systematisch als zu tief ausgewiesen hatten.
In der Schweiz fehlt eine Aufsicht
Die Ausgangslage in der Schweiz sieht so aus: Es gibt keine gesetzliche Grundlage für eine Aufsichtsbehörde ähnlich der ANFR in Frankreich. Demnach gibt es keinen Regulator, der für Produkte zuständig ist, die Strahlung abgeben. Zu solchen Produkten zählen nicht nur Smartphones, sondern auch Lampen für ultraviolettes Licht und kosmetische Laser für den Hausgebrauch.
In der Schweiz sind die Hersteller solcher Geräte selbst dafür verantwortlich, die Sicherheit ihrer Geräte zu gewährleisten. Doch auch Importeure müssen kontrollieren, ob eingeführte Produkte den Normen entsprechen.
Das iPhone 12 verstösst in Frankreich gegen die Strahlungsnormen.
Foto: Christophe Petit Tesson (EPA)
Eine departementsübergreifende Arbeitsgruppe unter Federführung des Innendepartements prüft jedoch, inwiefern es eine neue Aufsichtsbehörde für Strahlung von Geräten braucht. Konkrete Resultate liegen keine vor. «Das Eidgenössische Departement des Innern wird dem Bundesrat die Ergebnisse der Überprüfung der heutigen Zuständigkeiten unterbreiten und allenfalls notwendige Anpassungen an bestehenden Rechtserlassen vorschlagen», heisst es dazu beim Bundesamt für Kommunikation, das in der Arbeitsgruppe vertreten ist.
Ein Verkaufsverbot des iPhone 12 in Frankreich kann für die Schweiz darüber hinaus Folgen haben. Denn zwischen der Schweiz und der Europäischen Union besteht ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Würde Frankreich einen Rückruf des Apple-Produkts anordnen, wäre diese Massnahme ebenso in der Schweiz gültig.
Zu den Gefahren von Handystrahlung schreibt das Bundesamt für Gesundheit in einem Faktenblatt: «Bezüglich gesundheitlicher Auswirkungen bei langfristiger Belastung durch hochfrequente Strahlung von Mobiltelefonen bestehen noch Unsicherheiten, kurzfristige negative gesundheitliche Auswirkungen sind keine zu erwarten.»
Um unnötige Strahlenbelastung am Kopf zu vermeiden, empfiehlt die Bundesbehörde, beim Telefonieren Kopfhörer und eine drahtlose Freisprecheinrichtung mit einem schwachen Bluetoothsender zu verwenden.
So funktionieren die Tests in Frankreich
Bei den Tests halten sich die französischen Behörden an die vorgegebenen Grenzwerte der Europäischen Union. Gemessen wird dabei die sogenannte spezifische Absorptionsrate, die in Watt pro Kilogramm angegeben wird. Wird das Smartphone ans Ohr gehalten, ist in Frankreich ein Grenzwert von höchstens 2 Watt pro Kilogramm erlaubt. Dieselbe Vorgabe gilt auch für die Schweiz – nur wird das hierzulande nicht kontrolliert.
Weiter messen die Franzosen die Strahlung, wenn das Gerät in einer Hosentasche steckt. Hier beträgt der Grenzwert ebenfalls 2 Watt pro Kilogramm. Trägt der Nutzer das Mobiltelefon auf Hüfthöhe in einer Hand, dürfen 4 Watt pro Kilogramm nicht überschritten werden.
Mobilfunkgegnerinnen kritisieren die zögerliche Haltung von Bundesrat und Verwaltung. «Der Bundesrat erklärt zwar, dass die eidgenössischen Vollzugsbehörden Informationen über Gefahren veröffentlichen können, sofern der Hersteller selbst keine oder zu spät angemessene Massnahmen ergriffen hat», sagt Chantal Blanc, Präsidentin des Vereins Stop 5G Glâne. Dass dies noch nicht geschehe, sei nicht nachvollziehbar.
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