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Tödlicher Unfall in Rubigen: Chauffeur war zu wenig vorsichtig – und überfuhr eine Frau

Tödlicher Unfall in RubigenChauffeur war zu wenig vorsichtig – und überfuhr eine Frau

Vor drei Jahren starb eine Frau, weil sie vor einen Lastwagen gelaufen war. Der Fahrer hätte sie sehen müssen, entscheidet nun ein Gericht.

Bei der Haltestelle Beitenwil kam es 2020 zum Unfall. Der Fussgängerstreifen wurde erst 2021 gebaut. Dabei handelt es sich um ein Provisorium.

Bei der Haltestelle Beitenwil kam es 2020 zum Unfall. Der Fussgängerstreifen wurde erst 2021 gebaut. Dabei handelt es sich um ein Provisorium.

Foto: Raphael Moser

Viermal pro Tag fährt er an dieser Stelle vorbei. Morgens, wenn er zuerst mit seinem Auto zur Arbeit fährt und dann seinen Lastwagen zur Kiesgrube steuert. Abends, wenn er mit Laster und Auto wieder retour fährt.

Der Unfall ist jetzt drei Jahre her. Schon um die 2000-mal wird er seither hier vorbeigefahren sein. Jedes Mal denke er an den Unfall, sagt der Mann. Viermal pro Tag. 2000-mal in drei Jahren. «Das Zügs geht mir nahe.»

Es war am 14. Oktober 2020 kurz nach 17 Uhr, als der Chauffeur bei der Haltestelle Beitenwil in Rubigen eine Frau überfuhr. Die 78-Jährige starb vor Ort. Sie war auf die Strasse getreten und von der linken Front des Lastwagens erfasst worden.

Am Mittwoch wurde der Mann vom Regionalgericht Bern-Mittelland wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 120 Franken wurde bedingt ausgesprochen. Die Verfahrens- und Anwaltskosten gehen in die Tausende von Franken.

Unfall kurz vor Feierabend

Er habe damals keinen stressigen Tag gehabt, sagt der Mann vor Gericht. Gegen Abend fuhr er mit dem Fahrzeug Richtung Abstellplatz. Sicht und Verhältnisse waren gut. Nach Rubigen fuhr er direkt hinter einem Postauto her, dass in Beitenwil hielt. Er sei extra nahe an den Bus herangefahren, damit niemand zwischen Lastwagen und Bus hindurchlaufen und womöglich die Strasse überqueren könne. 2020 gab es dort keinen Zebrastreifen.

Er selbst bezifferte den Abstand zum Bus auf etwa einen Meter. «So habe ich es vor dreissig Jahren gelernt, und so war ich gut durchs Leben gekommen.» Die Polizei ging aufgrund ihrer Rekonstruktion von mindestens 2,5 Metern aus. So oder so war es zu wenig.

«Er ist nicht einfach blind losgefahren.»

Verteidiger Thomas Hueber

Nach etwa 45 Sekunden sei der Bus wieder losgefahren und er selbst auch, sagt der Chauffeur. Nach ein paar Metern habe es gerumpelt, vorher habe er keinen Aufprall oder Ähnliches gespürt. Im linken Spiegel habe er etwas am Boden liegen sehen. Er habe sofort angehalten und nachgeschaut. Erst da habe er erkannt, dass es sich um eine Person handle. «Ich habe sofort gesehen, dass sie tot ist.»

Umstrittene 2,5 Sekunden

Für Verteidiger Thomas Hueber ist klar, dass die Fussgängerin eine Verkehrsregel verletzt habe. Seinen Mandanten treffe hingegen keine Schuld. «Er ist nicht einfach blind losgefahren», sondern habe die Situation rund um das Fahrzeug beobachtet.

Doch gemäss der Rekonstruktion hätte der Chauffeur die Frau zuerst während 0,72 Sekunden sehen können. Danach wurde seine Sicht auf sie kurz durch das Gerät für die Schwerverkehrsabgabe verdeckt, ehe er sie nochmals 1,8 Sekunden hätte sehen können. 

Das sei zwar richtig, sagte der Anwalt – allerdings nur dann, «wenn er genau dorthin geschaut hätte, wo sich die Frau befunden hat». Habe er aber gerade in einen Rückspiegel geschaut, habe er sie nicht sehen können.

Hueber sagt noch, dass die Angehörigen ihre Privatklage zurückgezogen hätten. «Sie haben kein Interesse an einer Verurteilung.» Zudem habe die Polizei vor Ort den Fahrausweis des Beschuldigten nicht eingezogen. «Sie ging davon aus, dass ihn keine Schuld trifft.» Doch das nützt nichts.

Zu wenig Vorsicht beim Halt

Für Gerichtspräsidentin Véronique Baillif steht fest, dass der Beschuldigte seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Im Bereich der Haltstelle sei besondere Vorsicht geboten, gerade wenn es keinen Zebrastreifen gebe und wenn das Postauto einen Halt mache.

Fussgänger seien zwar gehalten, möglichst den Zebrastreifen zu benützen, sagte Baillif. Aber es sei zulässig, eine Strasse abseits davon zu überqueren. Im Gesetz heisse es auch, dass Fussgängern das Überqueren der Fahrbahn «in angemessener Weise» zu ermöglichen sei.

Der Chauffeur sei so nahe auf das Postauto aufgeschlossen, dass er nicht gesehen habe, ob Personen ein- oder ausgestiegen seien. So habe er auch die Fussgängerin nicht wahrgenommen.

«Er kann nicht so aufmerksam gewesen sein, wie er geltend machte.»

Gerichtspräsidentin Véronique Baillif

Die Richterin bezweifelt zudem, dass er das nahe Aufschliessen einst so gelernt hat. «Denn je geringer die Distanz, desto kleiner die Weitsicht.» Er könne auch nicht so aufmerksam gewesen sein, wie er geltend gemacht habe. «Sonst hätte er die Frau sehen müssen.»

Gefahr war bekannt

Die Staatsanwaltschaft blieb der Verhandlung fern. Und Verteidiger Hueber warf auch noch die Frage auf, «ob nicht jemand anderes hiersitzen müsste» als sein Mandant. Denn die Verantwortlichen eines Pflegeheims sowie eines sozialtherapeutischen Wohnheims in der Nachbarschaft hatten sich schon seit Jahren für eine sichere Strassenüberquerung bei der Haltstelle eingesetzt – lange Zeit vergeblich.

Die Haltstelle in Beitenwil soll nun um knapp 50 Meter verschoben werden.

Die Haltstelle in Beitenwil soll nun um knapp 50 Meter verschoben werden.

Foto: Raphael Moser

Einen Monat vor dem Unfall schrieb das Internetportal Bern-Ost: «Problem bekannt, Lösung zieht sich hin.» Erst im November 2021 wurde ein provisorischer Fussgängerstreifen eingerichtet. Nun steht eine permanente Lösung vor der Umsetzung. Dafür sollen die Haltstelle und der Zebrastreifen um knapp 50 Meter in Richtung Rubigen verlegt werden. Der Kanton Bern möchte das Projekt im nächsten Jahr ausführen.

Johannes Reichen ist Journalist und arbeitet bei der Regionalredaktion. Er schreibt über Menschen, Politik und Gerichtsfälle.Mehr Infos

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