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Stadien machen Klubs – die ZSC Lions als freundliche Hipster unseres Hockeys

Noch nie seit Einführung der Playoffs war es Anfang Dezember an der «Transferfront» so ruhig. Die höhere Anzahl Ausländer blockiert die einheimischen Transfers. Die Sportchefs in Ambrì und Biel hoffen leise auf ein wenig Bewegung in den nächsten zwei Wochen durch Thierry Bader und Nando Eggenberger.

Früher, mit vier statt sechs Ausländern, war alles noch ein wenig anders. Grosse Transfers gingen schon über die Bühne, bevor im Herbst die letzten Blätter von den Bäumen fielen. Transfergerüchte sorgten während den Nationalmannschaftspausen im November und Dezember für viel Kurzweil und Aufregung. Neuer Klub, neues Glück. Kein Problem. Das Gras bei der Konkurrenz ist grüner.

Ein Bild von Walter Scheibli im Zugangsbereich der Zuschauer in der Swiss Life Arena, dem Stadion der ZSC Lions, fotografiert am Freitag, 14. Oktober 2022 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Im ZSC-Stadion wird die Geschichte des Klubs zelebriert. Bild: keystone

Eismeister Zaugg

Einmal ein NHL-Spiel erleben? Der Traum kostet nicht mehr viel: Eine Eisenbahnfahrt nach Zürich und ein ZSC-Matchticket für weniger als 100 Franken. Den ZSC Lions ist es gelungen, ein NHL-Stadion zu bauen und Eishockey nach NHL-Art zu zelebrieren. Was seinen Preis hat: Der neue Hockey-Tempel wird auch die DNA des Klubs nachhaltig verändern.

Mit der gleichen Absicht zum Hockey gehen wie in den Europa-Park? Einfach einen aufregenden Abend erleben, ohne Anhänger irgendeines Hockey-Klubs zu sein? Eine Sportveranstaltung als Event wie eine Aufführung im Zirkus Knie oder ein Popkonzert? Sport als Unterhaltung, bei der das Erlebnis mindestens so wichtig ist wie das Resultat? Das Gefühl, etwas Wichtigem beizuwohnen?

So lässt sich etwas vereinfacht die kommerzielle DNA der nordamerikanischen NHL erklären. Ein Erfolgsmodell mit mehr als vier Milliarden Umsatz pro Jahr. Da backen wir in der Schweiz mit unseren höchsten Ligen im Fussball und im Hockey etwas kleinere Brötchen. Beide setzen pro Saison rund 230 Millionen um. Weniger als die 2. Deutsche Bundesliga. Die wirtschaftlich erfolgreichste Liga der Welt ist die amerikanische National Football League (NFL) mit gut 17 Milliarden Jahresumsatz.

Unsere National League ist also nicht Big Business wie die NHL. Und doch hat sie ihren eigenen, unverwechselbaren Charme: Internationale Beobachter sind sich einig: Die National League ist die emotionalste Liga der Welt. Will heissen: In keiner anderen Liga ist die Stimmung in allen Stadien so gut. Eine Emotionalität, die zum Glück immer wieder mal in die Manager- und Sportchefbüros durchschlägt.

Aber natürlich ist der Besuch eines Spiels der National Hockey League (NHL) für einen Hockeyfan so etwas wie eine Reise nach Rom für die Katholikinnen und Katholiken oder für die Liebenden eine Hochzeitreise zum Taj Mahal. Nach dem Motto: Wer nie ein NHL-Spiel gesehen hat, kennt das wahre Hockey nicht.

Inzwischen sind auch in Europa viele Hockey-Tempel gebaut worden, die einem Vergleich mit einer NHL-Arena durchaus standhalten. Und doch: Die Hockey-Emotionen der NHL hat es bis im Sommer 2022 in Europa nicht gegeben. Eine Flugreise nach Nordamerika war unerlässlich, um das« NHL-Feehling» zu erleben.

Aber nun gibt es das NHL-Hockeyerlebnis in Zürich. Das Eröffnungsspiel des neuen Tempels als historisches und einmaliges Ereignis kann natürlich nicht die Referenz sein. Als Grundlage für diese Behauptung muss es schon ein gewöhnliches Spiel der Regular Season an einem gewöhnlichen Samstag bei gewöhnlichem Dezember-Wetter sein. Beispielsweise eine Partie gegen den SC Bern. Es ist das achte NL-Heimspiel der Saison. 12'000 Männer, Frauen und Kinder sind herbeigeeilt. Ausverkauft. Bei vier der letzten fünf Partien (gegen Lausanne, Davos, Ambri, Bern) sind alle Tickets verkauft worden. Die Stadionauslastung beträgt 95,14 Prozent. Im alten Hallenstadion lag sie zuletzt bei 80,14 Prozent. Ein statistischer Hinweis auf den grösseren Erlebniswert der Spiele.

Was beeindruckt den europäischen Besucher bei einem Besuch eines NHL-Spiels? Der Chronist erlaubt sich nach dem Besuch von mehr als 100 NHL-Partien den Vergleich. Wie so vieles in Nordamerika beeindrucken auch die NHL-Tempel durch die Dimensionen. Hier ist alles grösser und lauter. Es fehlt nicht an Botschaften, die suggerieren: Es ist grösser, lauter, besser und wichtiger als irgendwo auf der Welt. Im rauen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Dollars geht es in der Vergnügungsindustrie ja gar nicht anders. Daran hat sich der Sport, hat sich das Eishockey zu halten.

Diese ganz besondere «amerikanische DNA» hat in Europa so ausgeprägt nur der neue Tempel in Zürich. Obwohl die Swiss Life Arena mit 12'000 Plätzen nicht die grösste ist. Der Hockeytempel in Prag (O2 Arena) fasst beispielsweise 17'000 Besuchende. Aber keine andere Arena vermittelt so sehr das Gefühl von Volumen, das Gefühl eines gewaltigen Innenraumes wie die Swiss Life Arena.

Das liegt im Wesentlichen an fünf Gründen. Erstens an der enormen Höhe (33 Meter), die ihre Wirkung nicht durch das Auslaufen in einer Dachkonstruktion verliert. Zweitens am riesigen Videowürfel. Dem Grössten in Europa und in NHL-Dimensionen. Die Wirkung kann gar nicht überschätzt werden. Ein solcher Videowürfel lenkt die Aufmerksamkeit von der Qualität des Spiels ab und peppt selbst eine höchst durchschnittliche Partie wie diese 2:3-Verlängerungsniederlage gegen den SCB zu einem Spektakel auf.

Drittens an der grosszügigen Grundkonzeption: Es gibt im Vergleich zu anderen Stadien in unserem Land mehr Raum und weniger Gedränge. Und viertens die Akustik. Sie spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Post muss abgehen. Laut soll es sein. Ganz besonders, wenn es darum geht, einen Treffer des Heimteams akustisch zu feiern. Die Kunst dabei: Laut, aber nicht lärmig. Also eine Akustik, die den Körper durchflutet, aber das Gehör nicht strapaziert. Genau so ist die rockige Version des Sechseläuten-Marsches, die nach jedem ZSC-Treffer zelebriert wird.

Nur etwas fehlt: das Zelebrieren der Nationalhymne. Wenn vor jeder Partie die Hymne gespielt – besser noch von einer Sängerin oder einem Sänger vorgetragen wird – dann ist allen Anwesenden bewusst, dass es um etwas Wichtiges geht. Vor jedem NHL-Spiel werden, wenn ein kanadisches Team in den USA oder ein amerikanisches in Kanada zu Gast ist, sogar beide Hymnen vorgetragen. Wenn dann nach andächtigem Beginn «Oh Canada» zum finalen «Ohhhhh Canada, we stand on guard for theeeeeeeeee» angesetzt wird, gehen die Herzen in Montreal oder Winnipeg auf. In Boston oder Chicago hat das von einer Sängerin oder einem Sänger schier endlos in die Länge gezogene «O’er the land of the freeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee and the home of the brave!» Kultcharakter.

Nationalhymnen eignen sich mit ihrer unnachahmlichen Feierlichkeit perfekt dazu, einem Spiel (und dem Sport) Wichtigkeit zu geben. Aber leider, leider gibt es den schönen Brauch bei uns nur vor Playoff-Finalspielen. Die National League vergibt so ein kostenloses und doch unbezahlbares Marketinginstrument. Die Begründung von Liga-Manger Denis Vaucher, warum das so ist, klingt schon ein wenig bünzlig: «Die Abläufe eines Spiels sind so eng getaktet, dass es nicht möglich ist, jedes Mal die Nationalhymne zu spielen.» Eigentlich sollten es die ZSC Lions trotzdem tun. Unsere Nationalhymne eignet sich mit ihrem etwas feierlich-behäbigen Charme bestens zum Vortragen vor Hockeyspielen.

Eigentlich unterscheiden sich die Partien der ZSC Lions nur noch durch das Fehlen der Nationalhymne von einem NHL-Spiel. Aber sie sind auch ohne Nationalhymne auf dem besten Weg, den Erlebniswert eines Spiels vom Resultat abzukoppeln. Allerdings gehört noch etwas dazu. Der grosse sportliche Erfolg ist zwar nicht so wichtig. Eine Meisterfeier so alle fünf oder sechs Jahre und ein Aufsehen erregender Transfer jede Saison genügen vollauf. Noch wichtiger ist es für die Zürcher, das Image eines reichen, mächtigen, grossen Klubs in der Wirtschaftshauptstadt des Landes zu pflegen.

Behauptungen, die ZSC Lions seien die teuerste Mannschaft und ihre Stars und Trainer die bestbezahlten der Liga, ärgern Manager Peter Zahner und Sportchef Sven Leuenberger immer wieder. Sie sollten ihren Zwingli (und dessen Lehre der Bescheidenheit) zumindest in diesem Zusammenhang ignorieren. Solche Behauptungen in den Medien sind nämlich allerbeste Werbung für die ZSC-Spiele.

Jubel bei Zuerichs Juho Lammikko, Zuerichs Alexandre Texier und Zuerichs Mikko Lehtonen, von links, nach dem Tor zum 2-2 im Eishockeyspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem SC Bern am ...

Die teuerste Mannaschaft der Liga zu haben ist ein hervorragendes Marketing-Instrument.Bild: keystone

Die teuerste Mannschaft des Landes im teuersten und besten Stadion erleben – das ist ein Erlebnis. Ich zahle doch nicht Geld, um «Billigarbeiter» zu sehen. Der Chronist hat nach der Partie gegen den SCB vor dem Stadion zufällig einen in der Wolle gefärbten SCB-Anhänger getroffen, der den ZSC nicht mag. Aber schon fast andachtsvoll sprach er über das Erlebnis im neuen Stadion. Das will wahrlich etwas heissen.

Eigentlich ist es für Manager Peter Zahner und Sportchef Sven Leuenberger recht einfach: Es mehr oder weniger immer so machen wie diese Saison. Sie liefert das Erfolgsrezept: Grosse, teure Namen an der Bande und auf dem Eis. Gut genug, um in der oberen Tabellenhälfte mitzumischen und die Hoffnung auf einen Titel wachzuhalten. Aber nicht so erfolgreich, dass Siege selbstverständlich oder gar langweilig werden. Dabei hilft, wenn rund um den Trainer ein bisschen Polemik aufkommt und immer wieder mal ein Transfergerücht verbreitet wird.

Kleider machen Leute, Stadien machen Klubs: Die ZSC Lions dürfen in ihrem neuen Tempel nicht bescheiden, kleinlaut, billig, sparsam oder leise sein und schon gar nicht von sparen fabulieren oder über hohe Löhne jammern. In ihrem NHL-Stadion gehört es, dass sie selbstbewusst, glamourös, teuer und laut sind. Und trotzdem respektvoll und höflich und ihre Verantwortung fürs Hockey mit einer vorbildlichen Nachwuchsabteilung wahrnehmen und zelebrieren. Sozusagen als freundliche Hipster unserer Hockeykultur.