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Skandal um deutsche Rockband: Das linke Bern im Rammstein-Dilemma

Skandal um deutsche RockbandDas linke Bern im Rammstein-Dilemma

Die Rammstein-Konzerte in Bern finden statt. Doch die Missbrauchsvorwürfe an den Frontsänger spalten Politik und Fans in der rot-grünen Bundesstadt.

In rund einer Woche werden Rammstein im Berner Wankdorfstadion auf der Bühne performen. Wird die Stimmung angesichts des Skandals eine andere sein als noch 2019?

In rund einer Woche werden Rammstein im Berner Wankdorfstadion auf der Bühne performen. Wird die Stimmung angesichts des Skandals eine andere sein als noch 2019?

Foto: Raphael Moser

Vorwürfe, der Rammstein-Sänger Till Lindemann habe weibliche Fans systematisch und teilweise gewaltsam für Sex rekrutieren lassen, sorgen für heftige Diskussionen. Mittlerweile ist bekannt, dass es an den Konzerten im Stade de Suisse im Berner Wankdorf vom 17. und 18. Juni keine «Reihe null» geben wird. Sind die schweren Vorwürfe trotzdem ein Grund, das Ticket für das Konzert in Bern zu verkaufen?

Diese Frage stellen sich derzeit viele Fans. Wir haben mit einigen gesprochen. Sie alle möchten anonym bleiben. «Mir machen diese Vorwürfe die Musik nicht kaputt», sagt Kati aus Bern. «Es gibt noch keine offizielle Untersuchung gegen Lindemann.» So sieht es auch ihre Freundin Karina, die sie ins Stadion begleiten wird. «Sexuellen Missbrauch toleriere ich nicht. Ich gehe aber auch nicht wegen Lindemann, sondern für das Konzerterlebnis», sagt sie. Sie trenne die Musik vom Künstler.

«Ich muss zugeben, dass es mich doch ziemlich schmerzt.»

Martin, Rammstein-Fan

Anders fühlt sich Martin aus Bern, der schon seit Jahrzehnten grosser Rammstein-Fan ist. Vergangenes Jahr nach dem Konzert in Zürich dachte er, dass dies die letzte Tour der deutschen Band sei. Umso mehr freute er sich, als das Konzert in Bern angekündigt wurde. «Doch nun breitet sich diese Geschichte in den Medien rasant aus, und ich muss zugeben, dass es mich doch ziemlich schmerzt», sagt er. Er war hin- und hergerissen, schliesslich verkaufte er sein Ticket weiter. «Erstens habe ich mich bereits in Zürich von der Band verabschiedet, und zweitens will ich ein kleines Zeichen setzen gegen diesen Machtmissbrauch, falls denn die Anschuldigungen – und da gibt es ja verschiedene – stimmen.» 

Schaut Bern hin?

Auch die Berner Stadtpolitik steckt derzeit im Dilemma: Die Juso und fünf andere Organisationen haben auf nationaler Ebene eine Petition für die Absage der Konzerte lanciert. Doch dazu wird es voraussichtlich nicht kommen, obschon sich Bern im Kampf gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt einsetzt. Vor kurzem erst hat Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) die Kampagne «Bern schaut hin» lanciert, mit der sie gegen dieses Problem vorzugehen versucht. Auf Anfrage wollte von Graffenried aber keine Stellung nehmen und verwies an Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte).

Nause, der als leidenschaftlicher Rockfan alle Konzerte in der Stadt Bern in diesem Sommer besuchen will, also auch Rammstein, sagt: «Die Vorwürfe wiegen sehr schwer.» Doch die Rechtslage sei klar: «Es liegen eine Bewilligung und diverse Verträge mit der Band und den Veranstaltern vor.» Somit gebe es keine Grundlage, auf die sich eine Konzertabsage stützen könnte.

Ob nach den Anschuldigungen ein Rammstein-Konzert gerade in der rot-grünen Bundesstadt fehl am Platz ist, ist für ihn die falsche Frage. Vielmehr gehe es um Bern als verlässlichen Veranstaltungsort, sagt er. «Hier werden moralische und rechtliche Rahmenbedingungen vermischt.» Aber: «Sollte eine Band in Zukunft rechtskräftig wegen Übergriffen verurteilt werden, werde ich kein Konzert dieser Gruppe mehr besuchen.»

Während die Stadtregierung keine Absage fordert, wird unter Stadtparlamentarierinnen Kritik laut: «Nächste Woche findet der feministische Streik statt – auch in Bern. Drei Tage später soll hier eine Band auftreten, die mit schweren Vorwürfen der sexualisierten Gewalt konfrontiert ist.» Dieser Umstand ist laut Stadträtin Paula Zysset (Juso) inakzeptabel. 

Ein breiteres Problem

Obwohl der Stadtrat derzeit keine Sitzungen abhält, sorgte der Skandal auch im Grünen Bündnis (GB) für Diskussionen. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man sich aber nur der Petition anschliessen und auf eine Reaktion der Stadtregierung pochen, sagt Lea Bill, Co-Fraktionschefin (GB/Junge Alternative). Abhandeln müsse die Berner Politik den Skandal sowieso: «Schliesslich geht es um ein viel breiteres Problem: Sexismus und Opferbeschuldigung.»

«Es braucht keine juristische Schuldzuweisung, um Konzerte abzusagen.»

Stadträtin Anna Jegher (Junge Altenative) 

Stadtratskollegin Anna Jegher (JA) betont zudem: «Es braucht keine juristische Schuldzuweisung, um Konzerte abzusagen.» Gerade weil das Rechtssystem auf solche Fälle schlecht zugeschnitten sei, trügen Gesellschaft und Politik die Verantwortung, sich nun klar zu positionieren. Alle Stadträtinnen teilen aber die Ansichten ihrer linksgrünen Kolleginnen nicht.

Vorverurteilt? 

«Die Vorwürfe an die Band müssen auf jeden Fall ernst genommen werden», sagt Vivianne Esseiva (FDP). Eine Absage wäre aus Sicht der Co-Präsidentin ihrer Fraktion jedoch eine Vorverurteilung. Eine zusätzliche Massnahme fordert sie dennoch vom Veranstalter:  «Es wäre wichtig, dass jene Fans, die das Konzert nicht besuchen möchten, ihre Tickets vom Veranstalter zurückerstattet bekommen.»

Für Rammstein-Fan Fabian ist eine Rückgabe des Tickets jedenfalls kein Thema:«Ein bisschen komisch ist es schon, ich versuche mir da aber jetzt gar keine Gedanken zu machen und einfach die Musik zu geniessen.» Schliesslich gelte die Unschuldsvermutung. «Da finde ich es unfair, vor einem Urteil Konzerte zu boykottieren.»

Jana Kehl ist freie Journalistin und schreibt über tagesaktuelle Themen im Raum Bern.Mehr Infos

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