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Pionierin im Tennis: «Wäre ich nicht diskriminiert worden, wäre ich nicht hier»

Pionierin im Tennis«Wäre ich nicht diskriminiert worden, wäre ich nicht hier»

Sara Fornaciari (72) wurde zur ersten Agentin im Tennis, weil ihr als Frau der Traumjob verwehrt blieb. Einem geplatzten Deal in Japan trauert sie noch heute nach.

Sara Fornaciari im Arthur Ashe Stadium: «Hätte ich Sam geheissen statt Sara, wäre alles anders gewesen.»

Sara Fornaciari im Arthur Ashe Stadium: «Hätte ich Sam geheissen statt Sara, wäre alles anders gewesen.»

Foto: David Lobel

Sara Fornaciari weiss, was sie will. «Machen wir das Foto drinnen im Stadion», sagt sie. «Hier draussen windet es zu stark. Ich möchte nicht mit zerzausten Haaren posieren.» Sie lacht, als sie es sagt, aber es ist klar: Es gibt keine Widerrede. Also machen wir uns auf den Weg hoch in eine Suite im Arthur Ashe Stadium. Sie marschiert wackeren Schrittes voran, trifft überall bekannte Gesichter und grüsst. Aber plaudern kann sie jetzt nicht, den Fotografen im Schlepptau. Denn der hat schon über eine halbe Stunde gewartet, weil sie so viel zu erzählen hatte.

Fornaciari wusste schon als Teenager, was sie wollte: Sportreporterin werden für eine grosse Tageszeitung. Was sie nicht wusste: dass dieser Job zu Beginn der 1970er-Jahre eine reine Männerdomäne war. «Wäre ich damals als Frau nicht diskriminiert worden, würde ich heute nicht hier sitzen», sagt sie, als wir uns an einem Tischchen vor dem Eingang zur weltgrössten Tennisarena unterhalten. «Oder vielleicht wäre ich hier und würde einen Artikel verfassen. Aber ich wäre nie Anwältin geworden, nie Agentin, und ich hätte auch nicht meine eigene Sportagentur gegründet oder ein eigenes Turnier gehabt.»

Sara Fornaciari mit Oracene Price, der Mutter von Venus und Serena Williams.

Sara Fornaciari mit Oracene Price, der Mutter von Venus und Serena Williams.

Foto: zvg

Die 72-Jährige, aufgewachsen in Baltimore, eine gute Autostunde nördlich von Washington D.C., ging auf eine Mädchenschule und war angefressen vom Sport. Als sie mit 18 aufs College kam, an die Universität Pennsylvania, wollte sie da für die Studentenzeitung über Sport schreiben. «Aber als ich in die Redaktion hineinspazierte, schauten mich die Jungs an, als wäre ich eine Ausserirdische. Eine Frau, die über Männersport berichtet?» Sie konnte sie überzeugen, schrieb fortan über Tennis, Lacrosse und Squash und schloss das College in drei statt vier Jahren ab. Schliesslich hatte sie es eilig, ihren Traumjob zu ergreifen.

Sie bekam eine Teilzeitanstellung als Newsredaktorin beim renommierten «Boston Globe». Und weil am Samstag viel los war, durfte sie bald auch in der Sportredaktion aushelfen. Da bearbeitete sie unter anderem die Artikel der Tennis-Reporterlegende Bud Collins, nach dem das Pressezentrum am US Open benannt ist. Aber selber schreiben durfte sie nicht. «Hätte ich Sam geheissen statt Sara, wäre alles ganz anders gewesen», sagt sie kopfschüttelnd.

Aufregende Zeiten im Journalismus

Im Sommer 1973 ergatterte sie einen Job als erste weibliche Praktikantin in der Sportredaktion der «Washington Post». Es waren aufregende Zeiten im Journalismus. Die Post hatte die Watergate-Affäre aufgedeckt, die zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon führte. Mutige Frauen (die «Original 9») hatten ihre eigene Tour gegründet und kämpften um Gleichberechtigung im Tennis, Fornaciari tat dies im Sportjournalismus.

Ihr Highlight: 1973 wurde sie ans Turnier in Washington geschickt, das Arthur Ashe gewann. Da erkundigte sie sich bei Turnierchef Donald Dell, der die Spielerorganisation ATP mitgegründet hatte, nach einem Kontakt zum «World Tennis Magazine». Dort erhoffte sie sich die Festanstellung, die ihr die «Washington Post» partout nicht geben wollte.

Fünf Anwälte, fünf Sekretärinnen

Er habe Kontakte, sagte Dell. Aber er brauche gerade eine PR-Verantwortliche für seine Vermarktungsagentur (Proserv), die viele Stars im Tennis und Basketball betreue. Fornaciari sagte zu. «Ich begann im Oktober 1973, 20 Tage nach dem Sieg von Billie Jean King über Bobby Riggs im Kampf der Geschlechter. Als ich in die Kanzlei kam, traf ich auf fünf Anwälte und fünf Sekretärinnen. Ich dachte gleich: Das ist nicht das Umfeld, das mir vorschwebt, um zu wachsen. Ich begann sofort zu recherchieren: Wie werde ich Anwältin?»

Eine japanische Teemarke bot viel Geld. Doch Wunderkind Tracy Austin trank keinen Tee.

Sie machte PR für die Agentur, studierte nebenbei an der Catholic University Jus und legte 1978 die Anwaltsprüfung ab. Worauf Dell sie zur ersten weiblichen Agentin im Tennis machte. Ihre erste Klientin: Tenniswunderkind Tracy Austin, die 1979 als 16-Jährige zur jüngsten US-Open-Siegerin wurde. Fornaciari reiste mit Austin um die Welt und schloss Sponsorendeals ab.

«Der beste Deal, der uns entging, war der für eine japanische Teemarke. Sie boten uns eine sechsstellige Summe an, doch Tracy sagte: ‹Das passt nicht. Ich trinke keinen Tee.›» Noch heute schütteln sie darüber den Kopf, wenn sie sich sehen. «Tracy sagt immer zu mir: ‹Du hättest mich zwingen müssen.›»

Sara Fornaciari (Mitte) in den 1990er-Jahren mit zwei ihrer Klientinnen: Zina Garrison (links) und Tracy Austin (rechts).

Sara Fornaciari (Mitte) in den 1990er-Jahren mit zwei ihrer Klientinnen: Zina Garrison (links) und Tracy Austin (rechts).

Foto: zvg

Austin musste ihre Karriere wegen starker Rückenprobleme schon mit 21 beenden, worauf Pam Shriver zur Topklientin von Fornaciari wurde. Mit beiden ist sie heute noch eng befreundet. «Tracy und ich waren uns gegenseitig die Brautjungfern, Pam ist die Gotte meines Sohnes Jack.» Fornaciari betreute auch Zina Garrison und zwei Spielerinnen, die ebenfalls neue Wege vorspurten: Die Chinesin Hu Na setzte sich 1983 in Kalifornien in den Westen ab und sorgte damit für diplomatische Spannungen zwischen den USA und China. Die Weissrussin Natascha Zwerewa war die erste Sowjet-Athletin, die ihre Preisgelder für sich behielt.

Fornaciari kann sich noch genau erinnern: «Es war 1989 in Amelia Island. Wir entschieden, dass sie den Check direkt annehmen würde. Es war eine grosse Story, und sie war damals ziemlich besorgt, welche Auswirkungen das auf ihre Karriere haben würde. Aber die Zeiten waren im Umbruch. Die Sowjetunion lockerte ihren Griff, und man war stolz auf sie, auf ihre Erfolge im Tennis auf globaler Ebene. So kam für sie alles gut heraus.» Zwei Jahre später wurde die Sowjetunion aufgelöst.

Inzwischen zweifache Mutter, trat Fornaciari 1990 aus der Agentur Proserv aus und gründete ihre eigene. Sie fädelte ein, dass Head das US-Olympiateam 1992 ausrüstete. Und sie kaufte ihrem früheren Arbeitgeber das Tennisturnier in Oklahoma ab und brachte es zum Florieren. Venus Williams gewann da 1998 mit 18 ihren ersten Profititel. Monica Seles, vom späteren Federer-Agent Tony Godsick betreut, spielte mehrmals mit. Zur Familie Williams unterhält Fornaciari noch heute enge Beziehungen. Sie organisierte auch mehrere Events für sie.

Bereut sie, dass sie nicht Sportjournalistin werden konnte? Sie schmunzelt. Es war für sie eine Genugtuung, dass die «Baltimore Sun», die sie einst schnöde abgewiesen hatte, 1978 anfragte, ob sie als Freelancer für die Zeitung Wimbledon abdecken wolle. Die Artikel mit ihrer Autorenzeile hat sie aufbewahrt. Dass der Printjournalismus zusehends verschwindet, die «New York Times» kürzlich ihre Sportabteilung geschlossen hat, tut ihr weh. Wenn der Print verschwinde, würden wichtige Zeitdokumente wegfallen. Noch heute hat sie die «New York Times» und die «Washington Post» als Printzeitungen abonniert.

Seit sie sich als Frau in dieser Männerwelt durchsetzte, hat sich einiges getan. Das US Open feiert 50 Jahre gleiches Preisgeld für Männer und Frauen. Doch Fornaciari ist nicht zufrieden. «Ich kann es nicht glauben, dass Coco Gauff kürzlich in Washington nicht einmal die Hälfte des Preisgeldes des männlichen Siegers erhielt. Da kriege ich Bauchschmerzen.» Im Medienzentrum des US Open sind inzwischen viele Frauen zu sehen, aber Agentinnen gebe es noch viel zu wenige. Jill Smoller, die langjährige Managerin von Serena Williams, sei die löbliche Ausnahme.

«Ich besuchte eine Mädchenschule. Wir wuchsen mit dem Denken auf, dass für uns alles möglich ist.»

Sara Fornaciari

Fornaciari blickt mit Stolz zurück. Alles beginne im Kopf, sagt sie. «Als ich jung war, sagte mir niemand, Frauen könnten dies und das nicht. Ich besuchte eine reine Mädchenschule. Wir wuchsen auf mit dem Denken, dass für uns alles möglich ist.» Aber war es für sie nicht ermüdend, später in der von Männern geprägten Welt immer wieder gegen Widerstände kämpfen zu müssen? Sie schmunzelt: «Mich hat das angespornt. ‹Nein› war für mich nur der Start der Diskussion.»

Simon Graf ist stv. Leiter des Ressorts Sport und berichtet seit über 20 Jahren über Eishockey und Tennis. Er studierte an der Universität Zürich Geschichte und Germanistik und verfasste mehrere Sportbücher. Sein aktuelles: «Inspiration Federer».Mehr Infos@SimonGraf1

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