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Pianovirtuose am Jazzfestival Bern: Traumberuf Zauberer

Pianovirtuose am Jazzfestival BernTraumberuf Zauberer

Ein halbes Jahr nach seinen umjubelten Konzerten kehrt der Pianist Bill Charlap in Marians Jazzroom zurück. Mit seinem Trio – und einem herbeigewünschten Gast.

Beflügelter Jazzer mit dem Blick fürs Essenzielle: Bill Charlap bei einem seiner Konzerte im Oktober 2022 in Marians Jazzroom.

Beflügelter Jazzer mit dem Blick fürs Essenzielle: Bill Charlap bei einem seiner Konzerte im Oktober 2022 in Marians Jazzroom.

Foto: Adrian Moser

Und schon ist er wieder da: Dass sich ein quintessenzieller New Yorker wie Bill Charlap von Marians Jazzroom begeistern lässt, verwundert nur auf den ersten Blick. Früher gab es viele Jazzclubs, in denen Bands mehrere Tage hintereinander auftreten konnten und dabei nicht selten über sich selbst hinauswuchsen. Inzwischen sind solche Orte selten geworden – der Jazzclub in der Inneren Enge ist einer der letzten. Handkehrum ist auch das Berner Publikum begeistert von Charlaps beflügelter Improvisationskunst am Flügel.

Seit seinem Gastspiel im letzten Oktober ist nicht einmal ein halbes Jahr vergangen und schon steht Charlap wieder auf der Matte. Der Bassist David Wong und der Schlagzeuger Carl Allen sind auch wieder dabei. Und weil die Auftritte heuer im Rahmen des Jazzfestivals Bern stattfinden, darf sich mit Chris Potter ein saxofonistischer Überflieger zum Trio gesellen. Überschwang, Exzellenz, Raffinesse, Superswing: Das plus ein paar blaue Wunder kann man von diesem Gipfeltreffen erwarten.

Den Vater zurückzaubern

Bei seinem letzten Aufenthalt in Bern hat Charlap auch Zeit für eine angeregte Plauderei im Garten der Inneren Enge Zeit gefunden. Dabei verriet er, sein erster Berufswunsch sei Zauberer gewesen: «Als ich sieben war, starb mein Vater. Ich wollte ihn zurückzaubern.» Aber eigentlich stand bereits damals fest, dass Charlap, der ab seinem dritten Lebensjahr Klavierunterricht genoss, in irgendeiner Form in die Fussstapfen seines Vaters (Komponist) und seiner Mutter (Sängerin) treten würde.

Während die Eltern in der Welt der Musicals dem «Great American Songbook» zu Hause waren, hatte Charlap (Jahrgang 1966) mit 11 in der Schule ein Erweckungserlebnis, das eine unsterbliche Liebe zum Jazz zur Folge hatte. An der Schule trat nämlich ein afroamerikanisches Jazztrio mit dem Schlagzeuger Eddie Locke, dem Bassisten Major Holley und dem Pianisten Roland Hanna auf.

Charlap erinnert sich: «Die Musik schwirrte nur so herum. Das war ein anderer Sound. Obwohl alles sehr befreit klang, war mir klar, dass es sehr schwierig ist, so zu spielen. Es war die schönste Musik, die ich je gehört hatte.» Besonders angetan war Charlap von einem Stück mit dem Titel «On Green Dolphin Street», wobei der Titel für ihn seltsam war, konnte er sich doch beim besten Willen keinen grünen Delfin vorstellen.

Tiefe Wurzeln

Weitere Türen zum Jazz wurden Charlap von seinem älteren Bruder, durch Schallplatten (Oscar Peterson, Bill Evans, Weather Report) sowie durch den Pianisten Dick Hyman geöffnet. Letzterer, ein ferner Verwandter, wurde zum Mentor von Charlap, der an der öffentlichen High School of Performing Arts in New York studierte. Nach Engagements bei mehreren Koryphäen – darunter Benny Carter, Gerry Mulligan und Phil Woods – gründete Charlap mit 31 Jahren sein eigenes, bis heute existierendes Trio mit Peter Washington (Bass) und Kenny Washington (Schlagzeug): Mit dieser Band, die als «New Yorker Institution» gewürdigt wurde, gelang ihm der Sprung vom kleinen holländischen Label Criss Cross zum legendären Label Blue Note.

Nicht nur als Pianist, sondern auch als Leiter der Jazzabteilung der William Paterson University in New Jersey legt Charlap grossen Wert darauf, die Geschichte des Jazz nicht aus den Augen und Ohren zu verlieren, denn er ist überzeugt: «Je tiefer die Wurzeln reichen, desto höher kann der Baum wachsen.» Von all den grossen toten Jazzgrössen würde Charlap am liebsten Louis Armstrong begegnen, dessen Musik er als «Sound der amerikanischen Seele» bezeichnet. Auch wenn es um das für den Jazz typische Swing-Feeling geht, ist Armstrong für Charlap nach wie vor ein gültiger Massstab. Aber auch über widerborstigere Geister wie Thelonious Monk, Ornette Coleman oder Cecil Taylor kann Charlap eloquent schwärmen.

Potter zu Gast

Zur Kunst der Improvisation gibt Charlap zu bedenken, dass es sehr viel Mühe koste, Mühelosigkeit zu erreichen: «Es geht darum, die Grenze zwischen dir und dem Instrument zum Verschwinden zu bringen.» Um innerhalb einer Band zu einer spannenden Kommunikation zu gelangen, brauche jeder Musiker ein grosses Vokabular. Und man müsse auch bereit sein, Risiken einzugehen.

Tatsächlich zählt Charlap zu einer Spezies von Improvisatoren, die die Standards-Formen derart verinnerlicht haben, dass sie mit ihnen geradezu nach Lust und Laune jonglieren können. Da kann es nicht verwundern, dass sich Charlap Saxofonist Chris Potter als Gast gewünscht hat. Schliesslich ist auch dieser ein enorm gewiefter Standards-Improvisator, wie man spätestens seit seinen bravourösen Beiträgen zum vierten Broadway-Album («The Paradox of Continuity», 2005) des Schlagzeugers Paul Motian weiss.

Marians Jazzraum, Bern. Dienstag, 4. April, bis Samstag, 8. April, jeweils 19.30 und 22 Uhr

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