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Mit dieser haarsträubenden Begründung rechtfertigt die Polizei Razzien von Klimaaktivisten

In Deutschland ist «Klimaterrorist» zum Unwort des Jahres 2022 gekürt worden, da Klimaaktivistinnen und -Aktivisten kriminalisiert und diffamiert werden würden. Infolge von Razzien der «Letzte Generation» bekommt die Bezeichnung nun einen weiteren bitteren Nachgeschmack.

Mit bebender Stimme berichtet die deutsche Klimaaktivistin Carla Hinrichs in einem kurzen Video, wie ihre Wohnung im Zuge einer Razzia durchsucht wurde.

«Man kennt es nur aus dem Film. Plötzlich wacht man auf, weil gegen deine Tür gedonnert wird.

Und plötzlich steht die Polizei mit schusssicherer Weste vor deinem Bett.»

Carla Hinrichs

Die 26-Jährige ist eine der prominentesten Vertreterinnen der «Letzte Generation», also von jenem Klimaschutz-Bündnis, das durch Strassenblockaden oder Gemälde-Attacken Massnahmen gegen die Klimakrise zu erzwingen versucht.

«Um Recht anzuwenden, damit die Welt gerechter wird», brach Carla Hinrichs ihr Jurastudium ab. Seither widmet sie ihr Leben dem Aktivismus – und kam mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt. Zuletzt im Mai dieses Jahres, als sie vom Amtsgericht Frankfurt am Main wegen mehrfachen Strassenblockaden zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Der Entscheid schreckte Hinrichs nicht ab. Kurz nach dem Urteilsverkündung provozierte sie erneut mit einer Klebeaktion.

Die Wohnungsdurchsuchung aber lässt auch die 26-Jährige nicht kalt. In kurzen Sätzen erzählt sie in einem Video von der Razzia: «Plötzlich steht die Polizei mit schusssicherer Weste vor deiner Tür. Und richtet eine Waffe auf dich.»

«Das macht Angst.»

Carla Hinrichs

Die Bremerin sieht darin ein Einschüchterungsversuch des Staates: «Sie versuchen mir Angst zu machen, weil wir jeden Tag allen vor Augen führen, dass die Regierung gerade die Verfassung bricht».

Bekämpfung von (Klima-)Terrorismus

Die Durchsuchung trifft nicht nur Hinrichs Wohnung, ermittelt wird gegen sieben Personen zwischen 22 und 38 Jahren. Konkret wird ihnen vorgeworfen, Spendengelder in der Höhe von 1,4 Millionen Euro zur Finanzierung von Straftaten für die «Letzte Generation» erhoben zu haben. Gesamthaft haben 170 Polizisten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern durchsucht. Das Ermittlungsverfahren ist vom bayerischen Landeskriminalamts eingeleitet worden – zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus.

🤔 Haben wir ein Urteil verpasst?

Das hier versucht die Staatsanwaltschaft München, bei Besuch unserer Website anzeigen zu lassen.

Eher wird mit der „Zentralstelle für Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ gegen friedlichen Protest gearbeitet, als gegen den Klimakollaps. pic.twitter.com/qDwk9xIPGf

— Letzte Generation (@AufstandLastGen) May 24, 2023

Zur Bekämpfung von Terrorismus?

«Scherzhafte» Übernamen wie «Klimaterroristen» oder etwa die Bezeichnung «Klimakommunisten», wie die NZZ kürzlich titelte und direkt in den Wortschatz der SVP konvertiert ist, überraschen nicht. Doch eine bundesweite Razzia bei der KlimaJugend zur Bekämpfung von Terrorismus?

epa10645575 Police officers work to free a Letzte Generation (Last Generation) climate activist after he glued himself to the asphalt during a climate protest in Berlin, Germany, 22 May 2023. The acti ...

Eine Klimaaktivistin der «Letzten Generation», die sich in Berlin auf den Asphalt klebte, Mai 2023.Bild: keystone

Verstoss gegen Unschuldsvermutung

Das ist nicht die einzige Absurdität dieser Geschichte. Im Zuge der Durchsuchung ist die Webseite der «Letzten Generation» gesperrt worden – mit der Begründung, das Bündnis stelle eine «kriminelle Vereinigung» dar. Dieser Vermerkt ist mittlerweile entfernt worden – aufgrund einer Vorverurteilung.

Ein Sprecher räumt den Fehler gegenüber BR ein: Korrekt hätte es heissen müssen, dass der Verdacht bestehe, dass die «Letzte Generation» eine kriminelle Vereinigung darstelle.

Kritik kommt vor allem aus dem linken Lager. «Staatliche Vorverurteilungen – das nennt sich dann politische Justiz», twittert der deutsche Bundesabgeordnete der Linken, Bernd Riexinger. Die Grüne Politikerin Katharina Schulze findet für den Verstoss klare Worte: «Die Ermittlungsbehörden dürfen nicht gleichzeitig Richter sein.»

Grundlage der Warnung war der Durchsuchungsbeschluss des AG München.
Die GenStA München hat inzwischen die Änderung des Inhalts veranlasst. pic.twitter.com/8NU2OtbmLV

— Bayerisches Landeskriminalamt (@LKA_Bayern) May 24, 2023

Der harte Kurs gegen die Klimaaktivistinnen- und Aktivisten wird über die Landesgrenzen hinaus diskutiert. In der Schweiz hat sich unter anderem Thierry Burkart, Parteipräsident der FDP, zu den Razzien geäussert. Für ihn ist klar: Klebeaktivismus ist eine Straftat. Wer sich nicht an den zivilen Protest halte, gegen den soll ermittelt werden.

Tatsächlich zielt ziviler Ungehorsam zielt darauf, die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten, um eine Debatte zu beleben, auf Fehler hinzuweisen, die Politik herausfordern oder einen Staat zu verbessern. Der Rechtsbruch steht dabei im Vordergrund. Strafen werden bewusst in Kauf genommen. Diese politische Partizipation wird moralisch begründet und Gewalt gegen Menschen wird kategorisch ausgeschlossen.

Uno kritisiert Umgang mit Aktivisten

Ob Klebeaktivismus der richtige Ansatz ist, darüber ist man sich auch in Klimakreisen nicht einig. Feststeht: Gehört verschafft hat sich die «Letzte Generation» sogar bei der Uno, die den Umgang mit den Protestierenden kritisiert. Diese hätten im entscheidenden Moment massgebend dazu beigetragen, die Regierung dazu zu bewegen, viel mehr für den Klimaschutz zu tun, sagt der Sprecher von Uno-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, in New York. Weiter sagt er:

«Die moralische Stimme junger Menschen sollen geschützt werden. Wir brauchen sie jetzt mehr denn je.»