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Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten: Die Pharmabranche weist die Schuld an den Engpässen von sich

Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten Die Pharmabranche weist die Schuld an den Engpässen von sich 

Während Hersteller von Generika angemessene Preise für ihre Medikamente fordern, kritisieren Krankenkassen die Hürden bei der Zulassung neuer Nachahmerpräparate. 

Bei Herstellern von Generika fehlt es derzeit an Extraproduktionskapazität. Das führt zu Engpässen in den Apotheken. 

Bei Herstellern von Generika fehlt es derzeit an Extraproduktionskapazität. Das führt zu Engpässen in den Apotheken. 

Foto: Keystone 

Der letzte Auftritt des abtretenden Roche-Chefs findet zu einer Zeit statt, in der die Versorgung mit Medikamenten in der Schweiz als problematisch gilt. Severin Schwan nutzt diese Situation für sich aus. So kann er das Preisthema offensiv angehen. «Wenn Sie heute mit Regierungen über Gesundheit sprechen, geht es nur noch um die Kosten.» Was Schwan an der Bilanzmedienkonferenz des Pharmakonzerns dagegenhält: Medikamente dürfen nicht zu billig sein, sonst klappt die Versorgung nicht.

«Die Lieferengpässe betreffen eigentlich ausschliesslich günstige Generika», betont Schwan. Das sind Nachahmermedikamente, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist. Das Schmerzmittel Ibuprofen etwa, das in der Schweiz momentan knapp ist, darf von mehreren Firmen hergestellt werden.

Bei Generika spielt der Markt, und anders als bei neuen Medikamenten, bei denen das Patent noch läuft, kann ein Preisdruck entstehen. 

«Für neue Medikamente gilt, dass die Lieferketten völlig stabil sind und dass wir unsere Medikamente überall in vollem Umfang zur Verfügung stellen können», sagt Schwan. Roche überlässt das Geschäft mit Generika anderen Firmen. Laufen die Patente der eigenen Medikamente aus, zieht sich Roche zurück und überlässt deren Herstellung anderen Firmen.

Generika-Hersteller ticken anders

Eine der grössten Generika-Herstellerinnen der Welt ist Sandoz. Sie nimmt auch an Gesprächen mit der Schweizer Taskforce «Engpässe Medikamente» teil. Sandoz steht kurz vor der Abspaltung von Novartis, der Konzern will sich wegen der niedrigen Gewinnmargen von diesem Geschäft trennen. 

Sandoz ist nach eigenen Worten durchaus in der Lage, die ursprünglich geplanten Mengen zu produzieren. Aber die Nachfrage ist wegen der Grippewelle gestiegen, und für die Extraproduktion fehlt momentan Kapazität. «Um die gestiegene Nachfrage mittel- und langfristig zu decken, erhöhen wir die Produktion in Schlüsselbereichen und investieren in zusätzliche Kapazitäten.»

Was Sandoz auch betont: Um die Lieferketten stabiler zu machen und nicht nur von wenigen Vorproduzenten abhängig zu sein, braucht es «angemessene Preise, insbesondere bei günstigen Generika für die Grundversorgung». 

Hohe Zulassungshürden als Schwierigkeit 

Die Krankenkasse Helsana hält dagegen, dass die Schweizer Generika deutlich teurer als im Ausland seien. «Nicht die Preise sind zu tief, sondern die Zulassungshürden für Nachahmerpräparate wie Generika und Biosimilars sind zu hoch. Da gilt es anzusetzen», sagt Manuel Elmiger, Gesundheitsökomom von Helsana. Deswegen gebe es hierzulande weniger Präparate auf dem Markt als anderswo, und die Schweiz sei von den Engpässen eher betroffen. 

Der Preisdruck ist weltweit hoch. Deshalb tickt das Generika-Geschäft anders als der restliche Pharmamarkt: «Wenn Kapazitäten knapp sind, werden die Produktionsanlagen mit den Wirkstoffen belegt, die am meisten einbringen», sagt ein Basler Pharmaspezialist, der Firmen berät und deswegen namentlich nicht genannt werden will. Ebenso werden am ehesten die Staaten beliefert, die am meisten zahlen. Die Lager werden zudem kurz gehalten.

Bei Pharmafirmen, die Therapien produzieren, welche dem Patentschutz unterliegenist es anders. Für sie ist Zuverlässigkeit bei der Lieferung eines der höchsten Gebote. Roche hat deswegen seine Lagerbestände 2022 erhöht. Das Umlaufvermögen, das unter anderem für Lagerbestände eingesetzt wird, nahm so um 1,6 Milliarden Franken zu.

Roche hat sich auf das Geschäft mit neuartigen und deshalb teuren Medikamenten konzentriert. Preisdruck kennt der Konzern deshalb weniger: Mit seinen drei Krebs-Antikörpertherapien Avastin, Herceptin und Rituxan/Mabthera hat er während der rund zehn bis fünfzehn Jahre ihres Patentschutzes insgesamt rund 300 Milliarden Franken eingenommen.

Alle Patente für die drei Krebsmittel sind seit 2020 abgelaufen, und günstigere Biosimilars (Biotech-Generika) sind auf dem Markt, aber noch im vergangenen Jahr machte der Konzern mit ihnen rund 6,3 Milliarden und erzielte damit 10 Prozent seines Umsatzes.

Trotz des zunehmenden Wegfalls seiner Krebs-Blockbuster wie auch des Pandemiegeschäftes mit Covid-Tests und -Medikamenten schaffte es Roche, seinen Umsatz im vergangenen Jahr um 2 Prozent auf 63,3 Milliarden Franken zu steigern. Sein neuer grösster Blockbuster mit 6 Milliarden Franken Umsatz ist das MS-Medikament Ocrevus.

Für die Zukunft setzt Roche vor allem auch auf sein neues Augenmedikament Vabysmo gegen Makulardegeneration bei über 60-Jährigen. «Dies war eine der besten Lancierungen überhaupt der Roche-Geschichte», meint Schwan mit Blick auf den Umsatz. Das Mittel kam letztes Jahr auf den Markt und brachte schon 600 Millionen Franken ein.

Zudem hat Roche das Patent auf seinen bisherigen Bestseller bei Augenkrankheiten geschickt verlängert: Lucentis wird nun in einen kleinen, über dem Auge implantierten Behälter gespritzt. Patientinnen und Patienten brauchen so nur noch zweimal im Jahr eine Injektion. Und Roche hat ein neues Patent auf sein altes Medikament.

Isabel Strassheim ist seit 2019 Wirtschaftsredaktorin bei Tamedia. Sie berichtet aus Basel vor allem über die Pharma- und Chemiebranche. Mehr Infos

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