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Konflikte mit Flugreisenden: Beschimpfen, pöbeln, drängeln – Vorfälle im Flugzeug häufen sich

Konflikte mit FlugreisendenBeschimpfen, pöbeln, drängeln – Vorfälle im Flugzeug häufen sich

Neue Daten zeigen: Die Zahl unflätiger Passagiere nimmt sprunghaft zu. Was ist hier los? Über die Ursachen und was man persönlich dagegen tun kann.

In Flugzeugen geraten sich Passagiere immer häufiger wegen unanständigem Verhalten in die Haare. Die internationale Airline-Gesellschaft fordert nun gesetzlich festgelegte Strafen dafür. 

In Flugzeugen geraten sich Passagiere immer häufiger wegen unanständigem Verhalten in die Haare. Die internationale Airline-Gesellschaft fordert nun gesetzlich festgelegte Strafen dafür. 

Foto: Getty Images

Wer die eher unschönen Verhaltensweisen der Spezies Mensch in konzentrierter Form erleben möchte, packt am besten seine Koffer und begibt sich zum Flughafen. Dort lassen sich animalische Züge in menschlichen Antlitzen besonders gut beobachten. Wer kurzfristig keine Zeit für eine Feldrecherche vor Ort hat, kann sich auch in den sozialen Medien umsehen. Dort häufen sich momentan Posts, die unanständiges Benehmen in der Luft in Ton und Bild festhalten. 

Die Videos tragen Titel wie «Frau beschimpft Crew und wirft Flasche nach einem Passagier». Oder «Passagier dreht wegen eines schreienden Babys komplett durch».

Kam es 2021 noch auf durchschnittlich jedem 835. Flug zu einem Vorfall, war vergangenes Jahr bereits jeder 568. Flug betroffen.

Manchmal sind nicht nur die paar nahen Sitzreihen betroffen, sondern das komplette Flugzeug. So wie diesen Frühling auf einem KLM-Flug von Amsterdam Richtung Calgary. Dieser musste über Island umkehren, weil sich ein Pöbel-Passagier nicht beruhigen liess. Fünf Stunden nach dem Start waren die Fluggäste mitsamt Besatzung wieder zurück auf Feld 1 beziehungsweise in Amsterdam. 

Nackte Füsse und schreiende Babys

Auf den Social-Media-Posts – unter anderem auf dem populären Instagram-Account Passenger Shaming – sind auch dezentere Vorkommnisse festgehalten, die aber ebenfalls unhöflich sind: Da sind Menschen, die ihre nackten Füsse auf der Arm- oder Kopflehne der Vorderreihe platzieren, die über Sitznachbarn kraxeln, die ihr Baby in der Sitzreihe wickeln statt auf dem Tischlein im WC.

Da sind Leute, die ihren Abfall auf den Boden schmeissen, die ihre Rückenlehne in die Horizontale versetzen, während die Crew das Znacht serviert, die ihre Füsse und Ellbogen Richtung Mittelgang ausstrecken, die Musik und Serien und Games ohne Kopfhörer konsumieren. 

Inzwischen gibt es etwa auf Tiktok derart viele Videos zum Thema, dass es einen eigenen Hashtag dafür gibt: #FlightTok. Besonders wenn es um die korrekte Etikette geht, werden die Diskussionen hitzig. Die einen finden gar, Babys auf Flügen sollten verboten, Menschen, die ihren Sitz zurückklappen, sollten mit kalter Luft bestraft, Leute, die ihren Sitz tauschen wollen, um neben ihren Liebsten zu sitzen, sollten knallhart abgewiesen werden. 

Leider nicht nur ein Social-Media-Trend

Schön wärs, wenn es sich dabei einfach nur um einen dieser aufgebauschten Social-Media-Trends handeln würde. Die Problematik ist aber real und nimmt zu. Erst diese Woche meldete der internationale Verband der Fluggesellschaften (Iata), die Zahl der renitenten, rauchenden, saufenden, fluchenden, polternden Passagiere nehme sprunghaft zu.

Kam es 2021 noch auf durchschnittlich jedem 835. Flug zu einem Vorfall – zu jener Zeit galt notabene vielerorts noch die extrem konfliktbeladene Maskenpflicht –, war vergangenes Jahr bereits jeder 568. Flug betroffen. Zum Vergleich: In Zürich starten und landen täglich über 700 Flugzeuge. Das bedeutet also, dass es in mindestens einem davon zu einem Intermezzo kommt.

Oft handelt es sich dabei um Passagiere, die sich um Vorschriften und Sicherheitsanweisungen foutieren und deswegen mit der Crew aneinandergeraten. Meist artet es «nur» verbal aus, laut Iata kommt es alle 17’200 Flüge zu einem gewalttätigen Angriff. «Der wachsende Trend ist besorgniserregend», hiess es beim Airline-Verband, der nun gesetzlich verankerte Strafen fordert.

Um mögliche Ursachen dafür zu finden, dass immer mehr Menschen asozial unterwegs sind, muss man nicht lange suchen. 

Trigger 1: Herdengefühl am Flughafen

Beim Check-in, vor der Sicherheitskontrolle, beim Warten aufs Boarding: Bei all den drängelnden, schubsenden Fremden kommt ein Herdengefühl auf, was die animalischen Züge in uns triggern kann. Seitdem an Flughäfen Personalmangel herrscht, spitzt sich die Problematik zu. Man fühlt sich zuweilen wie auf einer Ranch im Wilden Westen, wo Rinder zusammengetrieben und durch Gates, also Gatter geschleust werden, bevor sie in ein Fahr- beziehungsweise Flugzeug verfrachtet werden. Wenn es eng und stressig wird, sind viele schon vor dem Einsteigen gereizt.

Was drinnen erschwerend hinzukommt: dass sich manche trotz reserviertem Sitzplatz verhalten, als seien sie im «Reise nach Jerusalem»-Spiel, bei dem am Ende ein Sessel fehlt und der überzählige Passagier das Flugzeug verlassen muss. Es kann zwar manchmal zu Überbuchung kommen, das wird jedoch schon vor dem Einsteigen kommuniziert.

Einchecken, warten, schubsen, drängeln: Wenn es eng wird, werden Menschen animalisch.

Einchecken, warten, schubsen, drängeln: Wenn es eng wird, werden Menschen animalisch.

Foto: Peter Kneffel (Keystone, DPA)

Deeskalationstipps: Genügend Zeit einplanen, um in Ruhe Ihr Gepäck aufzugeben, und dann den Dränglern den Vortritt lassen. Gehen Sie lieber gemütlich an die Bar und boarden Sie erst zum Schluss. Sind Ihre Koffer korrekt eingecheckt, wird das Flugzeug nicht ohne Sie starten. Wählen Sie als Handgepäck am besten eine Reise- oder eine Handtasche, die sich unter dem Sitz verstauen lässt (für den Fall, dass die Drängler das Gepäckfach bereits vollgestopft haben).

Trigger 2: Zu wenig Platz für Individualismus

Der Mensch möchte seine individuellen Bedürfnisse befriedigen, ganz besonders in den Ferien. Ausserdem ist der Mensch nicht gern für längere Zeit eingesperrt (siehe Gefängniszellen als Höchststrafe für Verbrecher). Das Flugzeuginnere ist also eine klassische Lose-lose-Situation. Dies multipliziert mit der Anzahl Passagiere ergibt ein grosses Frustrations- und Aggressionspotenzial.

Deeskalationstipps: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Klappen Sie auf Kurzstrecken den Sitz nicht zurück, auf langen Flügen lieber auch nicht. Wenn es unbedingt sein muss: zuerst ein Blick zurück. Beim Aufstehen nie die Rückenlehne des Vorsitzes als Haltegriff verwenden, sondern an den eigenen Armlehnen hochdrücken und sich am Gepäckfach festhalten. Die Armlehnen im Zweifel dem Fluggast auf dem undankbaren Mittelsitz überlassen. Mit dem Gangsitz können Sie zudem Konfliktpotenzial verringern, weil Sie jederzeit aufstehen können, ohne jemanden zu reizen. Belohnen Sie sich für Ihre Rücksicht und buchen Sie den Notfallsitz für mehr Beinfreiheit. 

Trigger 3: Auf Entzug wider Willen

Früher hatten nur die Raucherinnen und Raucher ein Problem auf langen Flügen. Inzwischen sind fast alle von uns mit Entzugserscheinungen konfrontiert, weil wir für eine unerhört lange Zeit unser Handy beziehungsweise das Internet nicht nutzen können. Menschen auf Entzug werden nervös und unruhig. Kurz: je länger der Flug, desto gereizter die Stimmung.

Deeskalationstipps: Besorgen Sie sich eine gute Ersatzdroge: Snacks, ein Buch, Hörbuch, Ihre Lieblingsmusik. Extratipp: Investieren Sie unbedingt in einen Noise-Cancelling-Kopfhörer und schliessen Sie die Augen. Das wirkt Wunder, auch weil Sie so das unhöfliche, laute Verhalten anderer besser ignorieren können. Das empfiehlt sich besonders für den Moment nach der Landung, wenn die Nervösen reflexartig hochschiessen, ihren Koffer aus dem Gepäckfach reissen und vorwärtsdrücken – trotz verschlossener Flugzeugtür. Lassen Sie sie nur, das Gepäck wird nicht vor Ihnen beim Förderband sein.

Denise Jeitziner ist Redaktorin im Ressort Leben und schreibt hauptsächlich über gesellschaftliche Themen. Vor dem Einstieg in den Journalismus hat sie Rechtswissenschaften studiert und weder das eine noch das andere je bereut.Mehr Infos

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