Kompromiss im ParlamentBeim Energiepaket ist nur einer restlos zufrieden
Bürgerliche wie Umweltschützer: Allle mussten für die grosse Vorlage für mehr sauberen Strom Abstriche machen. Dafür droht kein Referendum. Das freut Bundesrat Rösti.
Erfolgreicher Balanceakt: Energieminister Albert Rösti am Mittwoch im Parlament.
Foto: Anthony Anex (Keystone)
Teils aus ideologischer Überzeugung, teils aus taktischem Kalkül: Der nicht mehr ganz so neue SVP-Energieminister Albert Rösti geht die grossen Fragen unserer Zeit anders an als seine SP-Vorgängerin Simonetta Sommaruga.
Das zeigt sich beispielhaft am jüngsten Gesetzespaket zur «Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», das die beiden Parlamentskammern in diesen Wochen fertig verhandelt haben. Damit will die Politik die 2017 vom Volk beschlossene «Energiestrategie 2050» umsetzen. Sommaruga hatte die Vorlage ausarbeiten lassen und vor zwei Jahren ins Parlament geschickt.
Rösti hat sie seit seinem Amtsantritt vor neun Monaten durchs Parlament balanciert: Jedes Ausscheren nach links oder rechts hätte ein Referendum provozieren können; im schlimmsten Fall hätten sich die beiden Pole im Kampf gegen die Vorlage sogar verbünden können. Sie wäre verloren gewesen.
«Ich weiss, dass die Linken es lieber gehabt hätten, ich hätte mehr für Solaranlagen gekämpft.»
Albert Rösti, Energieminister
Als Sommaruga 2020 die ähnlich bedeutsame Revision des CO2-Gesetzes durchs Parlament brachte, wählte sie einen ambitionierteren Weg: Die SVP stimmte geschlossen dagegen und ergriff das Referendum. Die Niederlage vor dem Volk im Frühsommer 2021 wurde zu Sommarugas schmerzhaftester.
Rösti sagte am Dienstag im Nationalrat: «Ich bin mir bewusst, dass ich mich aus Sicht einiger Bürgerlicher zu stark für angemessene Restwassermengen eingesetzt habe.»
Beim Restwasser handelt es sich um jenes Wasser, das unabhängig von der aktuellen Stromproduktion jeweils aus Stauseen abfliesst. Umweltschützer und Fischer setzten sich erfolgreich dafür ein, dass die Restwassermenge bloss im Notfall abgesenkt wird.
Alle mussten Abstriche machen
«Umgekehrt weiss ich», sagte Rösti, «dass die Linken es lieber gehabt hätten, ich hätte mehr für Solaranlagen und die Solarpflicht auf Parkplätzen gekämpft.» Zwischenzeitlich hatte sich der Nationalrat für eine Solarpflicht auf allen Neubauten und bei Umbauten ausgesprochen. Jetzt soll diese nur für Neubauten mit mehr als 300 Quadratmetern Gebäudefläche gelten.
Es handelte sich beim Restwasser und der Solarpflicht um die letzten Differenzen zwischen den Parlamentskammern. Der Umgang damit zeichnete den Verlauf der Vorlage im Parlament anschaulich nach: Auf dem Weg zum Ziel hatten alle Beteiligten Abstriche an ihren bevorzugten Lösungen akzeptieren müssen, weil nur ein Kompromiss für alle akzeptabel schien.
Die FDP hätte sich eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes gewünscht; der Bundesrat hatte diese in seiner ursprünglichen Vorlage sogar vorgesehen gehabt. Den Umweltverbänden wäre ein stärkerer Schutz von Biotopen wie zum Beispiel Fliessgewässerauen wichtig gewesen. Die Stromversorger halten die beschlossenen Massnahmen im Bereich der Energieeffizienz für verfehlt.
Allerdings blieb zwischen den roten Linien der Parteien noch Platz für eine Fülle von Neuerungen: Unter anderem ermöglicht das Parlament mit dem Gesetzespaket 16 neue Wasserkraftprojekte, festgeschriebene Zubauziele und eine grundlegende Neuordnung des Stromnetzes. Dieses muss von der momentanen Fokussierung auf grosse Kraftwerke zu einem dezentralisierten Netz umgebaut werden. Ausserdem hat das Parlament im neuen Gesetz die Schaffung einer Wasserkraftreserve für den Spätwinter gesetzlich festgeschrieben.
Den Kleinen reicht die Kraft nicht
«Am Schluss der Verhandlungen ist niemand unglücklich, aber es ist auch niemand restlos zufrieden», sagt stellvertretend für Gesprächspartner aus allen Fraktionen der St. Galler Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini. Dabei ist mit Albert Rösti eine Ausnahme angebracht: Der Energieminister hat das erste grosse Projekt mit seiner Handschrift ins Ziel gebracht.
In der Schlussabstimmung vom Freitagmorgen werden alle Fraktionen bis auf eine der Vorlage geschlossen zustimmen: Die SVP-Vertreter dürften zu je einem Drittel zustimmen, ablehnen und sich enthalten.
Für ein Referendum reicht der Widerstand rechts ziemlich sicher nicht. Gleiches gilt für eine Reihe von kleinen Umweltorganisationen, die zwar gewisse ihrer Interessen beschnitten sehen, aber allein nicht die Kraft für ein Referendum aufbringen könnten, wenn sie überhaupt wollten.
Die grossen Umweltorganisationen WWF, Pro Natura und Greenpeace haben zu erkennen gegeben, dass sie ein solches nicht unterstützen würden. Sie wollen das Gesamtpaket nicht gefährden.
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