Jubiläumsausstellung im Schaulager So schaurig schön, dass es einen fröstelt
Das Schaulager in Münchenstein zeigt David Claerbouts Waldbrand-Film und feiert mit seiner Ausstellung «Out of the Box» sein 20-jähriges Bestehen.
David Claerbout: «Wildfire (meditation on fire)», 2019–2020
Quelle: Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, © 2023, ProLitteris, Zurich
Der Blick hinauf in die nach Norden hin offenen Lagergeschosse des Schaulagers ist jedes Mal atemberaubend. Fünf Geschosse, 28 Meter lichte Höhe vom Eingangsbereich bis zum Dach. Hinreissend, wie offen und zugänglich diese Architektur, die sich von aussen als abweisender, lehmfarbener Klotz präsentiert, im Innern doch ist.
20 Jahre ist es nun her, dass sich die Roche-Erbin Maja Oeri für die riesige Kunstsammlung der Emanuel-Hoffmann-Stiftung dieses monumentale Gebäude in Münchenstein vor den Toren von Basel von Herzog & de Meuron bauen liess. Leider kann man die Schatzkammer nur nach Voranmeldung besuchen, weil sich das Haus als Depot für Kunstwerke und als kunstwissenschaftliches Forschungsinstitut versteht. Immerhin, fast täglich werden Führungen für Schulklassen und Studiengruppen durchgeführt.
Installationen und Filme
In den nächsten fünf Monaten ist das Schaulager, das in den Anfangsjahren fast jährlich, inzwischen nur noch sporadisch Ausstellungen durchführt, wieder einmal ganz Museum. «Out of the Box» heisst die Ausstellung und ist den neuesten Erwerbungen der Stiftung gewidmet. Nicht ein einziger Künstler wie Bruce Nauman 2018, Paul Chan 2014, Steve McQueen 2013 oder Matthew Barney 2010 steht im Zentrum, sondern eine ganze Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke im Schaulager noch nie ausgestellt waren.
Tacita Dean: «Inferno», 2019
Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel
Der Ausstellungstitel «Out of the Box» meint nicht nur, dass eine Gruppe von Werken für die Dauer der Show die Räume im Depot verlässt, das ja auf fünf Stockwerken einen Lagerraum neben dem andern wie auf einem Schachbrett aufreiht. Es ging Senior Curator Heidi Näf vom Schaulager in dieser Ausstellung vor allem auch darum, für jedes Werk in Zusammenarbeit mit seinem Schöpfer oder seiner Schöpferin die optimale Präsentationsform zu finden.
So erhält Anri Sala für seine Klanginstallation «Ravel Ravel Intervall» im Untergeschoss des Schaulagers einen fensterlosen Raum, fast halb so gross wie eine Turnhalle, während für den dritten Teil des Bühnenbildes, das Tacita Dean für das «Dante Project» des Royal Opera House in London entworfen hat – es handelt sich um einen Film –, ein rundes, oben geschlossenes Auditorium von wohl zehn Metern Durchmesser gebaut wurde.
Jean-Frédéric Schnyder: «Handle with Care», 2012
Quelle: Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel
Für die Besucher ergeben sich auf den beiden Ausstellungsetagen nicht jene Raumabfolgen, wie man sie von einem Museum oder einer Kunstmesse kennt, sondern verschieden grosse Gebäude und unterschiedlich breite Durchgänge und Wege dazwischen, die sich zu fast schon urbanen Plätzen öffnen.
Ironische Wahrnehmung
Wie in einem Skulpturenpark sind auf einem dieser Plätze die im Modellbau-Massstab aus Karton gefertigten Türme, Kirchen, Einfamilienhausquartiere und Ruinenlandschaften von Jean-Frédéric Schnyder aufgebaut («Handle with Care», 2012). Auf einem andern schlängelt man sich durch einen Wald von Galgen, an die der Zürcher Künstler Peter Fischli, wie immer mit einem Augenzwinkern, sinnlos vor sich hin blinkende Verkehrsampeln gehängt hat («Ohne Titel», 2022).
Anri Sala: «Ravel Ravel Interval», 2017
Quelle: Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, © 2023, ProLitteris, Zurich
Die vielleicht grösste Anpassungsleistung an die Gegebenheiten des Schaulagers wurde mit der Klanginstallation des albanischen Künstlers Anri Sala vollzogen. Auf der Venedig-Biennale 2013 zeigte er sein filmisches Werk «Ravel Ravel» über eine Komposition von Maurice Ravel auf zwei übereinander angeordneten Leinwänden. Im Schaulager nun wird die Arbeit auf zwei halb transparenten Leinwänden hintereinander gezeigt, sodass man hinter der Pianistenhand auf der einen Leinwand immer auch der Pianistenhand auf der anderen Leinwand gewahr wird und dank einer 14-Kanal-Soundinstallation in den vollen Genuss einer mehr als 20 Minuten dauernden Ravel-Interpretation kommt.
Musikalisch geht es auch bei Tacita Dean zu und her. Sie hat ihre drei im Schaulager ausgestellten Arbeiten als Bühnenbilder für eine neue Ballettproduktion des Royal Opera House in London und der Opera Garnier in Paris entworfen.
Während das erste Bild von diesem «Dante Project» eine riesige Höllendarstellung mit Kreide auf Wandtafel zeigt, stellt das zweite einen Lebensbaum dar. Das dritte ist ein ganzer Film namens «Paradise», der sich auf die kreisförmigen und planetarischen Motive aus Dantes «Divina Commedia» bezieht, denen das runde Kino in der Ausstellung Rechnung trägt.
Gefrorenes Feuer
Einer der Höhepunkte ist David Claerbouts 24 Minuten dauernder «Wildfire»-Film (2019–2020), den er als eine Meditation über das Feuer bezeichnet. Auch hier hat die hochformatige Videoprojektion, die auf Bildern beruht, die auf dem Computer zusammengesetzt und bearbeitet wurden, in der Ausstellung einen optimal geschnittenen Raum bekommen, der etwas höher als breit ist.
Claerbout zeigt keine lodernden Waldbrände und züngelnden Flammen, sondern ein gefrorenes Feuer, wenn es so etwas geben würde. Sein Film basiert auf einem mit 3-D-Technik perspektivisch gemachten Standbild, vor dem eine Kamera durchfährt, die chronologisch aufzeichnet, wie der grüne Wald Feuer fängt, brennt und in eine glühende Rauchwolke zusammenfällt. Das anzusehen, ist so schön, dass einen fröstelt.
Klara Lidén: «You’re All Places that Leave Me Breathless», 2020
Quelle: Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel
Auffällig an dem Überblick über die neuesten Anschaffungen der Emanuel-Hoffmann-Stiftung ist, wie viele Installationen, Videos und Filme in den letzten Jahren erworben wurden. Neben den bereits genannten begegnen wir hier unter anderem neuen Werken von Thomas Demand, Rodney Graham, Gary Hill, Jane und Louise Wilson sowie Klara Lidén, die sich in einem Film Purzelbäume schlagend eine Strasse in Marseille hinabbewegt («Closer Now», 2022).
In einem anderen windet sie sich aus einem Kühlschrank heraus («Out to Lunch», 2018), was wohl als feministischer Aufruhr für eine Befreiung der Frau aus dem Köchinnendasein verstanden werden darf. Fotografinnen und Fotografen wie Thomas Ruff oder Dayanita Singh sind eindeutig in der Minderheit. Malerei gibt es ausser bei Tacita Deans Bühnenbildern nicht.
Dieter Roth: «Solo Szenen», 1997–1998
Quelle: Emanuel-Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel
Das eigentliche Zentrum der Ausstellung ist vielleicht der grosse Universalkünstler Dieter Roth, von dem die Ausstellungsmacherinnen in der dem Eingang diagonal gegenüberliegenden Ecke der Show eine aus 128 Monitoren bestehende Fernsehwand aufgestellt haben («Solo Szenen», 1997–1998).
Die flimmernden Bildschirme zeigen nichts anderes als den 1998 im Alter von 68 Jahren verstorbenen Künstler, der die banalen Bilder von seinem Alltag als Antithese zu den falschen Bildern verstand, die das Fernsehen täglich verbreitet.
Alles ist endlich
Was wie eine narzisstische Anmassung eines alternden Künstlers wirkt, kann man heute auch als eine Vorwegnahme jenes Nachrichtenstroms verstehen, den uns Social-Media-Kanäle Tag für Tag aufs Handy spülen, ohne Synthesen und ohne qualitative Unterschiede zu machen. Als Betrachter fühlt man sich angesichts der Fülle von Informationen solchen Darstellungen eigentlich nie gewachsen.
Aber man kann trefflich darüber sinnieren, wie interessant das langweilige Leben des Künstlers wohl war. Ob ein Künstlerleben automatisch auch Kunst ist. Ob Kunst vielleicht, wenn man sie der formalen und kreativen Auswüchse entledigt, einfach das Ich ist, das da auf 128 Monitoren sein unspektakuläres Dasein fristet?
Manches, was dieser Künstler schuf, ist dem Verfall geweiht. Das gilt besonders für die hoch aufragenden Doppeltürme aus aufeinandergestapelten Schokolade- und Zuckergussbüsten, welche das Schaulager in einem vom Künstler Peter Fischli konzipierten Prachtband mit dem Titel «Selbstturm; Löwenturm» würdigt (Die Skulpturen sind nach wie vor in einem Raum beim Kunstmuseum Gegenwart in Basel zu besichtigen). Das Buch lässt auf über 1000 Bildern den Entstehungsprozess dieser langsam, aber sicher verfaulenden, verschimmelnden und zerbröckelnden Süssigkeiten fürs Auge, die den Restauratoren fast unlösbare Probleme aufgeben, Revue passieren.
Die Ausstellung im Schaulager dauert bis zum 19. November.
Dieter Roth: «Selbstturm; Löwenturm», hrsg. von der Laurenz-Stiftung, Schaulager Basel, 59 Franken.
Fehler gefunden? Jetzt melden.