Analyse
Mehrere Anwälte des Ex-Präsidenten haben sich für schuldig bekannt – und sagen nun gegen ihn aus.
Sidney Powell, die Anwältin im Cardigan mit dem Leopardenmuster, spuckte einst grosse Töne: Sie werde bald den Kraken, ein Tiefseemonster, loslassen und beweisen, dass die Wahlen zum Schaden von Donald Trump manipuliert worden seien, drohte sie. Keine Verschwörungstheorie war ihr dabei zu absurd. Der Wahlmaschinenhersteller, die Software, Hugo Chávez, der 2013 verstorbene Diktator von Venezuela, Chinesen, Kubaner, ja selbst Italiener seien in den Plot zur Verhinderung der Wiederwahl von Trump involviert gewesen, gab Powell zu Protokoll.
Ein Duo aus der Hölle: Rudy Giuliani und Sidney Powell.Bild: keystone
Powells Krake entpuppte sich bald als harmloser denn ein gemeiner Tintenfisch, und die einst so militante Anwältin ist mittlerweile kleinlaut geworden. Sie hat sich vor dem Gericht in Georgia in mehreren Punkten für schuldig erklärt und eine fünfjährige bedingte Gefängnisstrafe, eine Busse in der Höhe von 5000 Dollar und 100 Tage gemeinnützige Arbeit akzeptiert.
Kenneth Chesebro hat einen Abschluss in Jurisprudenz von der renommierten Harvard University. Er war der Kopf der Alternativen-Elektorenstimmen-Verschwörung, will heissen: Das Trump-Team hat parallel zu den legitimen Elektorenstimmen für Biden eine Fake-Elektoren-Liste für Trump erstellen lassen. Diese haben sie dem für die Zertifizierung der Wahlen zuständigen Vize-Präsident Mike Pence zukommen lassen, mit der Aufforderung, er solle diese Liste berücksichtigen. Auch Chesebro ist umgefallen. Er hat einen ähnlichen Deal wie Powell akzeptiert und sich für schuldig erklärt.
Powell und Chesebro waren in Zugzwang. Die beiden haben einen Speedy-Trial verlangt, sie wollten die gegen sie erhobenen Klagen möglichst rasch verhandelt haben. Der zuständige Richter gab diesem Begehren nach, der Prozess gegen die beiden stand unmittelbar bevor. Zuvor hatte Scott Hall, ein Vermittler von Kautionen, der in einer Nebenrolle ebenfalls angeklagt war, bereits einen Deal akzeptiert und sich bereit erklärt, gegen die anderen auszusagen.
Hat sich für schuldig erklärt, Kenneth Chesebro.Bild: keystone
Deshalb erinnerten sich Powell und Chesebro wohl an ein legendäres Zitat von Samuel Johnson, dem englischen Moralisten aus dem 18. Jahrhundert. Dieser pflegte zu sagen, eine bevorstehende Hinrichtung konzentriere den Geist aufs Trefflichste.
Powell und Chesebro mussten zwar nicht mit der Todesstrafe rechnen, doch sie waren unter Rico angeklagt, dem legendären Mafia-Gesetz, das im Bundesstaat Georgia eine besonders perfide Ausprägung kennt. Wären die beiden schuldig gesprochen worden – und mehr als 90 Prozent aller Angeklagten in einem amerikanischen Geschworenenprozess werden schuldig gesprochen –, dann wären sie für mindestens 5, im Extremfall gar für 20 Jahre ins Gefängnis gewandert. Ohne Aufschubmöglichkeit. Als Strafverteidiger kennen die beiden die Zustände in amerikanischen Gefängnissen, und dasjenige in Atlanta soll besonders übel sein.
Diese Überlegungen dürfte sich auch Jenna Ellis gemacht haben. Die 38-jährige Anwältin war die rechte Hand von Rudy Giuliani in dessen absurdem Feldzug gegen die angeblich manipulierten Wahlen. Auch Ellis schreckte damals vor nichts zurück. So erklärte sie etwa öffentlich, Tausende von Stimmen von bereits Verstorbenen seien zugunsten von Joe Biden abgegeben worden und hätten das Resultat verfälscht. Beweise dafür konnte sie nie vorlegen.
Auch Ellis hat das Lager gewechselt. Sie erklärte sich am Dienstag für schuldig, entschuldigte sich öffentlich und akzeptierte einen ähnlichen Deal wie Powell und Chesebro. «Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiss, dann hätte ich niemals die Interessen von Donald Trump vertreten», erklärte sie vor dem Richter mit tränenerstickter Stimme.
Der Plan von Fani Willis, der Staatsanwältin in Fulton County in Georgia, geht auf. Anders als der Sonderermittler Jack Smith hat sie sich nicht auf die Anklage gegen Donald Trump konzentriert. Sie hat eine Rico-Klage gegen insgesamt 19 Personen – darunter auch Trump – eingereicht. Das bedeutet, dass sie die Möglichkeit hat, alle Aspekte einer Verschwörung gleichzeitig aufzuzeigen.
Tränenreiche Schulderklärung: Jenna Ellis vor Gericht.Bild: keystone
Die drastischen Strafen bei einer Rico-Verurteilung führen dazu, dass die Kleinen umfallen und gegen die Grossen aussagen. Wer dies gleich zu Beginn tut, kann mit dem besten Deal rechnen. Powell, Chesebro und Ellis sind daher verhältnismässig ungeschoren davongekommen.
Die Logik des Rico-Gesetzes dürfte sich weiter entfalten. Experten gehen davon aus, dass noch weitere Dominosteine fallen werden. Chuck Rosenberg, ein ehemaliger hoher Strafverfolgungsbeamter, erklärt in der «New York Times»: «Die drei, die sich für schuldig bekannt haben und so eine Gefängnisstrafe vermeiden konnten, haben ein unmissverständliches Signal an die anderen Angeklagten ausgesandt. Diese müssen sich nun entscheiden, ob sie sich ebenfalls für schuldig erklären wollen oder nicht.»
Dieses Signal wendet sich beispielsweise an Jeffrey Clark. Diesen eher unbedeutenden Angestellten im Justizdepartement wollte Trump im letzten Moment zum Justizminister erheben, weil er sich bereit erklärt hatte, die Wünsche des Ex-Präsidenten zu erfüllen. Oder an John Eastman, einen Verfassungsjuristen, der Trump den absurden Plan mit den Fake-Elektorenstimmen untergejubelt hatte. Oder selbst an Rudy Giuliani, den inzwischen zur Lachnummer verkommenen ehemaligen persönlichen Anwalt von Trump, der die Zirkusnummer der Big Lie angeführt hat.
Auch du, Mark? Trumps ehemaliger Stabschef Mark Meadows soll umgefallen sein.Bild: keystone
Bereits die Seiten gewechselt hat möglicherweise Mark Meadows. Das zumindest meldet die TV-Station ABC. Trumps ehemaliger Stabschef soll mit dem Sonderermittler einen Deal ausgehandelt haben, der ihm Straffreiheit verspricht, wenn er auspackt. Meadows' Anwalt dementierte jedoch diese Meldung, allerdings nur halbherzig.
Sollte Meadows tatsächlich umgefallen sein, wäre dies katastrophal für Trump. Der Stabschef ist der innigste Vertraute des Präsidenten. Er ist stets im Zimmer, wenn etwas Wichtiges passiert. Meadows soll nun bereit sein zu bezeugen, dass er Trump mehrmals darauf hingewiesen habe, dass dieser die Wahlen verloren habe. Mit dieser Aussage würde Meadows Trumps Verteidigung zusammenkrachen lassen. Er habe die Demokratie retten und einen Wahlbetrug aufdecken wollen, lautet das zentrale Element dieser Verteidigung, das damit jedoch hinfällig würde.
Trump lässt sich davon nicht beirren. Die Wahlen seien manipuliert und gestohlen worden, lässt er weiterhin auf seiner Plattform Truth Social verlauten und kündigt einmal mehr an, er werde demnächst diesbezüglich «massive Informationen und hundertprozentige Beweise» enthüllen.