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In eigener Sache: Wenn die Zeitung das letzte Wort hat

In eigener SacheWenn die Zeitung das letzte Wort hat

Nachrufe – für einige Zeitungen eine noble Institution.

Sorgen nur selten für Kritik: Nachrufe in der Zeitung. 

Sorgen nur selten für Kritik: Nachrufe in der Zeitung. 

Foto: Getty Images

Gelegentlich ist von Leuten zu hören, sie hätten die Zeitung lediglich noch der Todesanzeigen wegen abonniert. Ein makabres Nachrichtenverständnis, aber nicht illegitim, obwohl es inzwischen ein Schweizer Todesanzeigenportal gibt, das täglich aktualisiert Informationen rund um Trauerfälle aus einem im Voraus definierten Umkreis liefert. Todesanzeigen lösen naturgemäss fast nie Beanstandungen aus – mit Ausnahme des Falles einer Leserin, die nach dem Aufgeben einer Traueranzeige irrtümlich ein Schreiben erhielt, in welchem ihr der Verlag viel Erfolg bei ihrer Werbung wünschte. 

Eher, aber nur selten Auslöser von Kritik sind Nachrufe, obwohl sich direkt Betroffene auch hier nicht mehr wehren können – es sei denn, sie sind gar nicht tot wie seinerzeit der Humorist Mark Twain (1835–1910), dessen Ableben amerikanische Zeitungen 1897 innert drei Monaten gleich zweimal vermeldeten. Was den Autor gemäss einem Artikel im «New York Journal» ratlos liess, ob er eher amüsiert oder verärgert reagieren sollte: «Die Nachricht meines Todes ist eine Übertreibung.» 

Auch sind klassische Nachrufe, so zumindest der Eindruck, als journalistische Rubrik eher aus der Mode gekommen. Gegensteuer gibt da der «Tages-Anzeiger», der 2022 eine dritte Staffel von Nachrufen auf Personen aus der Stadt oder dem Kanton Zürich veröffentlicht hat, die in keiner Weise prominent gewesen waren, deren Biografien aber trotzdem bewegten. Die nächste Staffel startet im Frühling.

Im Archiv der «Times» lagern 1850 Nachrufe, wobei es vorkommen kann, dass der Autor vor der gewürdigten Person stirbt.

Währenddessen gibt es im angelsächsischen Raum Publikationen, welche die noble Institution des Nachrufs nach wie vor engagiert pflegen. So etwa die «New York Times», die dafür ein eigenes Ressort eingerichtet hat, das hausintern «morgue», Leichenschauhaus, heisst und wohin ein früherer Chefredaktor lästige Untergebene zu verbannen pflegte. Das Ressort verfasst Nachrufe auf lebende Personen, die es periodisch aufdatiert, um sie bei einem Todesfall innert Minuten im Netz platzieren zu können. Im Archiv der «Times» lagern 1850 solche Beiträge, wobei es vorkommen kann, dass der Autor eines Nachrufs vor der gewürdigten Person stirbt. «Viele Reporter sind nach ihrem Tod produktiver», pflegt ein Insider zu scherzen.

Als vorbildlich gelten die anonymen Nachrufe, die wöchentlich auf der letzten Seite des britischen «Economist» erscheinen. Sie sind nicht nur berühmten Persönlichkeiten wie unlängst Queen Elizabeth II gewidmet, sondern würdigen auch Normalsterbliche wie den kongolesischen Taxichauffeur Pierre Mambele. Sogar verstorbenen Tieren wie Benson, «Grossbritanniens grösstem und beliebtestem Karpfen», oder Alex, dem Graupapagei, der in den USA dreissig Jahre lang Objekt eines wissenschaftlichen Experiments war, hat das Magazin die Ehre erwiesen. 

Hart traf das in Nachrufe vernarrte Königreich der 54-wöchige Druckerstreik, der 1986 in London die «Times» und die «Sunday Times» vorübergehend lahmlegte. Damals hiess es, im Land sei niemand richtig gestorben, dessen nicht eines der beiden Blätter gedacht hätte. Die «Times» wusste sich zu helfen: Nach Ende des Streiks im Februar 1987 veröffentlichte die Zeitung Sonderbeilagen, die nichts als Nachrufe auf einflussreiche Personen enthielten, die während des Streiks gestorben waren. 

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