Switzerland
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Immer mehr Flüchtlinge schlafen am Zürich HB im Freien – und fast niemand hilft

Weil der Meeresspiegel steigt, fürchten die Bewohner der Insel Pari um ihre Existenz. Nun wollen sie die Treiber des Klimawandels zur Rechenschaft ziehen. Weil ein Schlichtungsverfahren erfolglos blieb, reichen die Inselbewohner nun Klage gegen den Zementkonzern Holcim ein.

Arif, Asmania, Bobby und Edi ziehen gegen einen der weltweit grössten Baustoffproduzenten vor Gericht. Die vier Bewohner der vom Untergang bedrohten indonesischen Insel Pari haben am Montag beim Kantonsgericht Zug eine Klage gegen Holcim eingereicht. Damit muss sich erstmals ein Schweizer Konzern rechtlich für seinen Beitrag zum Klimawandel verantworten. Das schreibt das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) in einer Mitteilung. Es unterstützt die vier Kläger gemeinsam mit der europäischen Menschenrechtsorganisation ECCHR sowie der indonesischen Umweltorganisation Walhi.

Mitten in Zürich schlafen Flüchtlinge auf der Strasse. Grund: Für die Behörden existieren sie nicht. Zuständig fühlt sich ebenfalls niemand. Warum das so ist und was das Dublin-Verfahren damit zu tun ...

Passanten am Zürcher Hauptbahnhof auf der Seite Europaallee.Bild: KEYSTONE

Mitten in Zürich schlafen Flüchtlinge auf der Strasse. Grund: Für die Behörden existieren sie nicht. Zuständig fühlt sich ebenfalls niemand. Warum das so ist und was das Dublin-Verfahren damit zu tun hat.

Die Nächte im Winter sind kalt – diesen Januar waren es im Schnitt minus 2 Grad. Kaum jemand hält sich dann lange im Freien auf, geschweige denn schläft freiwillig draussen. Aber nicht alle haben die Wahl. Unter anderem die Flüchtlinge, deren Route durch die Schweiz führt. Sie kommen am Abend mit dem letzten Zug an und wollen am nächsten Tag mit dem ersten weiter, raus aus der Schweiz. Jede Nacht stranden Dutzende von ihnen am Hauptbahnhof in Zürich und sind gezwungen, die Nacht in der Kälte durchzustehen. Seit letztem Herbst werden es immer mehr.

«Für eine Stadt wie Zürich und das Schweizer Volk scheint mir so etwas doch recht erbärmlich»

«Für eine Stadt wie Zürich und das Schweizer Volk scheint mir so etwas doch recht erbärmlich», sagt Samuel Glausen. Als Verantwortlicher der Kältepatrouille des Sozialwerks Pfarrer Sieber ist er nachts unterwegs und hilft vulnerablen Personen.

Decken, aber kein Bett

Dazu gehören von Sonntag bis Donnerstag auch die Flüchtlinge rund um den Zürcher Hauptbahnhof. Dieser ist an diesen Tagen nachts zwischen 01:30 Uhr - 03:45 Uhr abgeriegelt. Wäre er geöffnet, würde er den mehrheitlich jungen Männern aus Afghanistan und Marokko Unterschlupf bieten. Da er das aber nicht ist, verteilen Glausen und sein Team Decken, Tee und warme Kleidung, um die Kälte erträglicher zu machen.

«Kaum einer ist warm genug angezogen für so tiefe Temperaturen», so Glausen. Und Kälte seien sie sich auch nicht gewohnt. Wie viele es sind, variiere von Nacht zu Nacht. Einmal sind es zwölf aus Marokko und vier aus Afghanistan, dann fünf aus Marokko und drei aus der Ukraine oder aber 35 aus Marokko und sechs aus Afghanistan. Das sind Zahlen aus Protokollen der Kältepatrouille.

Ein Bett in der Notschlafstelle könnten sie nur dann anbieten, wenn es nicht zu viele seien. Sonst müsste man selektieren und das wolle man auf keinen Fall. Zudem würden die meisten gar nicht dorthin wollen und hätten Angst. Angst, den ersten Zug am Morgen zu verpassen oder aufgegriffen und zurück an die Grenze gebracht zu werden, wo sie herkommen.

An der Grenze

In der Regel ist das Chiasso oder Buchs SG. Dort kontrolliert das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit bei der Einreise zwar die Personalien, lässt die Flüchtlinge aber weiterziehen, wenn sie keinen Asylantrag in der Schweiz stellen. Die Schweiz ist für viele nur ein Durchreiseland. Sie wollen nach England, Frankreich oder Deutschland.

Die meisten sind auf der Balkanroute, einer gängigen Strecke für Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten, unterwegs und haben bereits einen Asylantrag in einem anderen Land gestellt. Dass sie trotzdem problemlos durch die Schweiz weiterreisen können, kritisiert die EU, insbesondere Deutschland, und wertet es sogar als Verstoss gegen das Dublin-Verfahren. Laut diesem Verfahren müssen Flüchtlinge zurück in diesen Staat, wo sie den ersten Asylantrag gestellt haben.

Was ist das Dublin-Verfahren?

Dublin-Verfahren

Der Dublin-Raum umfasst 27 Staaten der Europäischen Union sowie Norwegen, Island, das Fürstentum Liechtenstein und die Schweiz. Grundlage des Dublin-Verfahrens bilden zwei Verordnungen des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission. Diese regeln die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren – das Ziel ist, dass nur ein einziger Dublin-Staat für die Prüfung des jeweiligen Asylgesuchs zuständig ist, um Mehrfachgesuche zu vermeiden. Es vereinheitlicht jedoch nicht das Asylverfahren im Dublin-Raum. Steht die Zuständigkeit fest, findet das nationale Recht des zuständigen Dublin-Staates Anwendung. Die Schweiz stellte seit Beitritt zum Dublin-Assoziierungsabkommen bislang bedeutend mehr Personen an andere Staaten über, als sie selbst übernehmen musste – im Verhältnis von ca. 4.5 : 1.

Quelle: SEM

Wie das Staatssekretariat für Migration SEM gegenüber dem SRF sagt, gebe es aber keine rechtliche Grundlage, diese Menschen festzuhalten, nur weil sie illegal in die Schweiz einreisen würden. Es werde lediglich ein Dokument ausgestellt, das sie auffordere, das Land wieder zu verlassen.

Das führt gleichzeitig dazu, dass diese Menschen behördlich nicht existieren in der Schweiz. Sie werden nirgends registriert. Darum ist offiziell niemand zuständig für Flüchtlinge auf der Durchreise.

Zuständig ist niemand

Auf die Frage, ob die Schweiz eine sichere und warme Nacht anbieten kann, verweist Lukas Rieder vom SEM auf die Bundesasylzentren: «Alle Asylsuchenden können sich bei einem Bundesasylzentrum melden. Wer jedoch den Schutz der Schweiz explizit nicht will, dem kann das SEM auch keine Hilfe anbieten.»

Tatsächlich könnten sich die Flüchtlinge an ein Asylzentrum wenden. Dann müssten sie aber einen Asylantrag in der Schweiz stellen. Was sie nicht können oder wollen.

Die Stadt Zürich teilt mit, dass man die Situation beobachten würde. «Wir sind uns bewusst, dass die Menge an Flüchtlingen auf der Durchreise zugenommen hat und sind im Austausch mit privaten Organisationen», sagt Heike Isselhorst vom Sozialdepartement. Sie verweist auf die städtische Notschlafstelle. Aber auch dort müsste man sich registrieren. Ausserdem liegt diese am Fusse des Üetlibergs, eine Stunde zu Fuss vom HB entfernt. Lohnt sich der Weg dahin, wenn man Gefahr läuft, aufgegriffen und an die Grenze zurückgeschickt zu werden?

Fragt man bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nach einer Lösung, antworten sie, dass sie nicht aktiv seien in diesem Bereich.

Bleibt also die Kältepatrouille von Samuel Glausen und seinem Team. Seiner Meinung nach würde es nur schon helfen, wenn der Hauptbahnhof, oder ein Teil davon, nachts offen wäre. Das liegt aber in der Hand der SBB.