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Giftige Bahnschwellen: Blausee-Betreiber reichen Strafanzeige gegen Bundes-Chefbeamten ein

Giftige BahnschwellenBlausee-Betreiber reichen Strafanzeige gegen Bundes-Chefbeamten ein

Im Umweltskandal Blausee gerät ein Sektionschef des Bundesamts für Umwelt ins Visier. Es geht um die zwielichtige Entsorgung von Bahnschwellen.

Giftige Holzschwellen lagern im Jahr 2020 im Steinbruch Mitholz: Die Baufirma Marti exportierte sie ins Ausland, das Bundesamt für Umwelt war einverstanden.

Giftige Holzschwellen lagern im Jahr 2020 im Steinbruch Mitholz: Die Baufirma Marti exportierte sie ins Ausland, das Bundesamt für Umwelt war einverstanden.

Foto: zvg

Es ist ein neues Kapitel im Umweltkrimi rund um den Blausee. Wegen des illegalen Deponierens von giftigem Material im Steinbruch Blausee-Mitholz und des Fischsterbens in der nahe gelegenen Zucht läuft seit bald drei Jahren eine Strafuntersuchung.

Jetzt wollen die Betreiber des Naturparks Blausee um Stefan Linder auch in der Affäre um den Export giftiger Bahnschwellen mutmasslich Mitverantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Sie haben bei der Berner Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte gegen den zuständigen Sektionschef im Bundesamt für Umwelt (Bafu) und gegen unbekannte Täterschaft eine Strafanzeige eingereicht.

Nach Belgien statt in Spezialanlage

Gegen den Chefbeamten steht der Vorwurf im Zentrum, er habe Pläne der Tunnelbaugruppe Marti für die Entsorgung der Holzschwellen nicht sachgemäss als zulässig erklärt. Diese Zeitung machte vor drei Jahren publik, dass aus dem alten Lötschbergtunnel 4100 Tonnen mit Teerölen imprägnierte Holzschwellen ausgebaut und grösstenteils auf Lastern an eine zweifelhafte Firma in Belgien verhökert werden.

Giftige Bahnschwellen gehören eigentlich als Sondermüll in eine speziell ausgerüstete Verbrennungsanlage. Es gibt aber eine Ausnahme von dieser Vorschrift. Ein Betreiber von Bahninfrastruktur darf solche Schwellen übernehmen, wenn er sie unverändert wieder in ein Gleisbett einbaut. In der Schweiz oder im Ausland.

Gemäss den Unterlagen, die dieser Redaktion vorliegen, erkundigte sich der Projektingenieur der Marti AG beim nun beschuldigten Bafu-Sektionschef telefonisch und dann auch per Mail, ob Gleisjoche – das sind komplette Gleisabschnitte mit Schienen und Schwellen – aus dem Lötschberg für die weitere Nutzung nach Belgien zu einer Firma namens Mevogra exportiert werden könnten. Dort würden sie eins zu eins wieder eingebaut und genutzt.

Spur verliert sich

Der Bafu-Spezialist für den Export von Sonderabfällen erklärte daraufhin, dass das Bundesamt Gleisjoche, die für den gleichen Zweck wieder eingebaut werden, nicht als Abfall erachte. Die Kläger monieren allerdings, dass der Beamte dabei nicht abgeklärt habe, ob die Gleisjoche tatsächlich wieder eingebaut würden. Und er habe weder die belgische Bahnaufsicht dazu kontaktiert noch vom Baukonsortium Marti eine Bestätigung für den Wiedereinbau verlangt. Er habe so faktisch eine Exportbewilligung erteilt, obwohl er dafür nicht zuständig sei.

Was sagt der Beschuldigte dazu? Auf Anfrage nimmt die Mediensprecherin des Bafu einzig wie folgt Stellung: Das Bafu habe keine Kenntnis von einer Strafanzeige.

Die Staatsanwaltschaft wird nun entscheiden müssen, ob sie auch die Rolle des Bafu-Abfallspezialisten in der Affäre aufklären will. Das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Berner Oberland zum Blausee-Umweltskandal läuft seit Mitte 2020.

Neue Sedimentanalysen

Für die Blausee-Betreiber ist der Zusammenhang illegaler Machenschaften im Steinbruch der Vigier-Gruppe und die Massen-Fischsterben in ihrer Forellenzucht klar. Denn im Steinbruch sind gemäss Recherchen nicht nur teilweise giftiger Gleisaushub aus dem Tunnel gewaschen sowie auch Betonschlämme anderer Herkunft illegal deponiert worden. Sondern zwischen Juni 2019 und September 2020 wurden auch die toxisch stark belasteten Schwellen auf dem Areal zwischengelagert und für den Lastwagentransport teilweise eingekürzt.

Stefan Linder, Präsident und Miteigentümer der Blausee AG, will die Rolle des Bundesamts für Umwelt beim Export giftiger Bahnschwellen aufklären lassen.

Stefan Linder, Präsident und Miteigentümer der Blausee AG, will die Rolle des Bundesamts für Umwelt beim Export giftiger Bahnschwellen aufklären lassen.

Foto: Susanne Keller

Dies im Freien ohne Witterungsschutz und ohne Entwässerung in eine Kanalisation. Die Schadstoffe – Schwermetalle, gefährliche Kohlenwasserstoffe (kurz PAK) und Teersubstanzen – seien durch Regen abgewaschen worden und so ins Grundwasser gesickert, sagen die Blausee-Betreiber.

Im September 2020 sind auf dem Umschlagplatz im Steinbruch im Beisein von Staatsanwalt und Vertretern des kantonalen Amts für Wasser und Abfall (AWA) diverse Proben genommen worden. Diese hätten massive Grenzüberschreitungen von toxischen Schadstoffen im abgeschwemmten Feinmaterial sowie im Pumpschacht gezeigt. Ende September stoppte das Bundesamt für Verkehr den Export der Schwellen.

Der Zusammenhang der Schadstoffe mit den grossen Fischsterben in der Blausee-Zucht ist aber weiterhin gerichtlich nicht anerkannt. Die beteiligten Baufirmen schliessen einen solchen Zusammenhang aus. Allerdings zeigen neue Sedimentsanalysen der Blausee-Betreiber vom August 2023 durch das Labor Bachema hohe Gehalte der identischen Schadstoffe, «die eindeutig und ausschliesslich von den Bahnschwellen vom Umschlagplatz im SHB Steinbruch herführen können», sagt Stefan Linder.

Doppelt verdient?

Das Bahnunternehmen BLS hat dem Baukonsortium Marti für die korrekte Entsorgung aller Schwellen fast eine Million Franken bezahlt. Der Export war wohl billiger. Gemäss Recherchen dieser Zeitung von 2020 konnte Marti die Schwellen über ein holländisches Transportunternehmen an ein belgisches Unternehmen für einen ähnlichen Betrag weiterverkaufen und damit doppelt verdienen.

Die Spur der Holzschwellen verlor sich in Belgien. In den vergangenen Monaten machte sich ein Netzwerk von Journalisten für das Magazin «Reportagen» erneut auf die Suche nach ihnen. Ein Gleisbauprojekt, bei dem sie wieder eingesetzt worden sein könnten, fand sich in Belgien immer noch nicht. Was effektiv mit den Schwellen geschehen ist, darüber gibt es bis heute nur Spekulationen. 

Julian Witschi ist Wirtschaftsjournalist im Ressort Bern. Er hat über 20 Jahre Berufserfahrung und wurde mit einem Swiss Press Award ausgezeichnet.Mehr Infos@JWitschi

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