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Geschockte All Blacks: «Einfach furchtbar» – nach dem Haka erleben sie ihr blaues Wunder

Geschockte All Blacks«Einfach furchtbar» – nach dem Haka erleben sie ihr blaues Wunder

Zum ersten Mal überhaupt verliert Neuseeland an einer Rugby-WM ein Vorrundenspiel. Das 13:27 zum Start gegen Frankreich zeigt den Absturz des Rekordweltmeisters.

Bitterer Auftakt für das erfolgsverwöhnte Neuseeland: Scott Barrett kann die Niederlage kaum fassen.

Bitterer Auftakt für das erfolgsverwöhnte Neuseeland: Scott Barrett kann die Niederlage kaum fassen.

Foto: Aurelien Morissard (AP Photo)

So schnell verlieren sie ihren Schalk nicht. Oder ist es schon Galgenhumor? Kaum war das Eröffnungsspiel der Rugby-WM zu Ende und die Niederlage der All Blacks gegen Frankreich Tatsache, blendeten sie beim neuseeländischen TV-Sender Sky Sport die Schlagzeile ein: «Sacre Bleu». Kurz und knapp: verdammt!

13:27 verlor das neuseeländische Nationalteam zum WM-Auftakt im Stade de France gegen den Gastgeber, Les Bleus – und es blickte zusammen mit seinen Landsleuten zerknirscht auf ein Spiel zurück, das ihm komplett entglitten war. Zu Beginn beider Halbzeiten hatten die All Blacks einen Try gelegt und so beste Voraussetzungen geschaffen, ideal in die Endrunde einzusteigen. Nie zuvor in 36 Jahren WM-Geschichte hatte Neuseeland ein Gruppenspiel verloren. Wieso sollte es jetzt anders kommen, wenn gleich alles gelingt?

Nun, es kam anders. «Ich bin, ehrlich gesagt, gerade etwas geschockt», sagte die Sky-Moderatorin unmittelbar nach Spielschluss. «Das ist schwer zu verdauen.» Währendessen Israel Dagg, der Experte an ihrer Seite mit 66 Einsätzen im Dress der All Blacks zwischen 2010 und 2017, kurzerhand den Zweihänder auspackte: «Keine Disziplin, schlechte Ballbehandlung, zu viele Strafen und viel zu viele unerzwungene Fehler. Einfach furchtbar.»

Nach dem Blitzstart gehts abwärts

Begonnen hatte der Abend standesgemäss aus Sicht des Rekordweltmeisters. Im ausverkauften Stade de France war die Bühne hergerichtet für eine Affiche, die ihresgleichen sucht. Angeführt von Captain Ardie Savea, zeigten die All Blacks ihren Haka mit der von ihnen erwarteten Intensität. Die Franzosen gaben sich als brave Gastgeber und verzichteten auf eine provokante Reaktion auf das Ritual, wie sie es sich bei früheren Gelegenheiten geleistet hatten. Im Viertelfinal der WM 2007 etwa oder im WM-Final vier Jahre danach.

Einmal mehr imposant: Captain Ardie Savea führt seine Mitspieler vor dem Anspiel durch den Haka.

Einmal mehr imposant: Captain Ardie Savea führt seine Mitspieler vor dem Anspiel durch den Haka.

Foto: Christophe Ena (AP Photo)

Und als nach gerade einmal 93 Sekunden die All Blacks durch Mark Telea mit grosser Lust und Leichtigkeit ihren ersten Try legten, da schien es, als wäre es mit der französischen Gegenwehr in diesem Prestigeduell tatsächlich nicht sehr weit her. Dabei fehlten den Neuseeländern mit Jordie Barrett, Emoni Narawa und besonders dem kurz vor dem Spiel ausgefallenen Captain Sam Cane gleich mehrere Schlüsselakteure.

Doch Frankreich zeigte sich als zäher Gegner, drehte das Spiel bald und führte zur Pause 9:8. Auch die Bleus mussten einige Stammspieler wegen Verletzungen ersetzen, trotzdem präsentierten sie sich präzise und fast fehlerlos und nutzten die Disziplinlosigkeiten der All Blacks gnadenlos aus. Thomas Ramos verwertete gleich fünf Strafkicks und trug massgeblich zum klaren Sieg bei. Auch auf den zweiten neuseeländischen Try von Telea unmittelbar nach der Pause hatten die Franzosen eine Antwort.

Jubel im ausverkauften Stade de France: Frankreichs Spieler lassen sich vom Heimpublikum feiern.

Jubel im ausverkauften Stade de France: Frankreichs Spieler lassen sich vom Heimpublikum feiern.

Foto: Christophe Ena (AP Photo)

«Sie haben uns bestraft. Respekt an Frankreich», sagte Neuseelands Captain Savea hinterher. Trainer Ian Foster befand: «Ein ganz schwieriges Spiel, das uns zeigt, was uns in diesem Turnier erwartet.» Härtester Gegner der Neuseeländer um einen Platz im Viertelfinal ist jetzt Italien. Das Vorrundenaus – es ist ganz und gar unvorstellbar für die erfolgsverwöhnten All Blacks.

Doch so schmerzhaft die Niederlage gegen Frankreich ist, ganz überraschend kommt sie nicht. Neuseeland befindet sich seit einigen Jahren in einer Sinnkrise. Bis 2019 während eines Jahrzehnts ununterbrochen die Nummer 1 der Welt, ist es seither auf Rang 4 abgerutscht. Nie war es schlechter, nie hat es mehr Spiele verloren. Kurz vor der WM hatte es eine 7:35-Klatsche gegen Erzrivale Südafrika abgesetzt.

In den 131 Jahren ihres Bestehens weisen die All Blacks eine sagenhafte Siegquote von über 80 Prozent aus. Seit 2020 liegt sie bei unter 70. Das mag Jammern auf hohem Niveau sein, es zeigt aber das neuseeländische Selbstverständnis in Sachen Rugby.

Die WM-Startniederlage wird vor allem die Kritik an Nationaltrainer Foster nicht verstummen lassen, der 58-Jährige ist schon länger angezählt. «Wir brauchen mehr Geduld», sagte er und meinte das Spiel seiner Mannschaft. Aber wie lange haben die neuseeländischen Fans noch Geduld mit ihm?

David Wiederkehr ist stellvertretender Ressortleiter der Tamedia-Sportredaktion und schreibt seit 2000 über Sport. Seine Fachgebiete sind Fussball, Kunstturnen und US-Sports.Mehr Infos

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