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Die Gewalteskalation im Kosovo und was der serbische Präsident Vucic damit zu tun hat

Gewaltbereite serbische Demonstranten attackieren im Norden des Kosovo KFOR-Soldaten, während diese Rathäuser und neugewählte albanische Bürgermeister beschützen. Novak Djokovic meldet sich dazu kontrovers bei den French Open. Die Ereignisse in der Übersicht.

Mindestens 34 Soldaten der KFOR (Kosovo Force), die im Kosovo im Auftrag der Vereinten Nationen den Frieden sichern soll, wurden in der Ortschaft Zvecan im Norden Kosovos bei Zusammenstössen mit gewaltbereiten serbischen Protestierenden verletzt. Laut Berichten handelt es sich um 20 ungarische Soldaten und um 14 italienische, wie es aus Regierungskreisen aus den beiden Ländern hiess.

Innenpolitisch steht Aleksandar Vucic seit den beiden Amokläufen mit 18 Toten stark unter Druck. Es gibt Hinweise darauf, dass der serbische Präsident den jüngsten Gewaltausbruch im Kosovo nicht nur instrumentalisiert, sondern auch aktiv befeuert.

Bojan Stula / ch media

epa10662196 Soldiers of NATO-led international peacekeeping Kosovo Force (KFOR) clash with ethnic Serbs in front of the building of the municipality in Zvecan, Kosovo, 29 May 2023. Protests and clashe ...

Brutale Auseinandersetzung Kfor und Serben.Bild: keystone

Der Zeitpunkt erscheint günstig: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic reagiert in gewohnter Manier auf die Gewalteskalation im Norden Kosovos. Alarmistisch hat er die serbische Armee über das Pfingstwochenende in «höchste Gefechtsbereitschaft» versetzt und mobile Einheiten an die Grenze verlegen lassen. In einem Interview am Montagabend betonte Vucic, Serbien werde den Ereignissen im Kosovo «nicht tatenlos zusehen».

Nach schweren Krawallen am Montagnachmittag im Norden Kosovos wurden mindestens 34 Nato-Soldaten der Kfor-Truppe verletzt, als diese Rathäuser in Zvecan und anderen Gemeinden vor den Protesten teilweise militanter Serben abschirmten. Dabei setzten sie Blendgranaten und Tränengas ein. Die Menge bewarf sie wiederum mit Steinen und Brandsätzen und prügelte mit Schlagstöcken auf den Soldatenkordon ein.

Die serbischen Proteste über das Pfingstwochenende richteten sich gegen die Einsetzung albanischer Bürgermeister, die als Sieger aus den von Serben boykottierten Regionalwahlen hervorgegangen waren. Die serbische Seite beklagte dabei über 50 Verletzte in den eigenen Reihen.

Nach diesen Tumulten ist es bereits das zweite Mal innert weniger Monate, dass der serbische Präsident im Kosovo die Armee aufmarschieren lässt. Ebenfalls zum üblichen Vorgehen gehört, parallel dazu die internationale Diplomatie zu intensivieren.

Serbian President Aleksandar Vucic speaks during a major rally in front of the Serbian parliament building in Belgrade, Serbia, Friday, May 26, 2023. At three large anti-government protests held earli ...

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic.Bild: keystone

So will sich Vucic heute in Bratislava mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron treffen, um die Lage zu diskutieren. Morgen Mittwoch sind in Moldawien laut eigener Ankündigung Treffen mit Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala und Montenegros Präsident Jakov Milatović vorgesehen.

Für internationale Beobachter steht ausser Frage, dass Vucic die aktuelle Lage im Kosvoso dazu benutzt, um von seiner schwierigen innenpolitischen Lage abzulenken und seine geschwächte Position im Inneren durch aussenpolitische Standhaftigkeit zu stärken.

Es ist kein Zufall, dass es im Kosovo eskaliert, wenn Aleksandar Vučić innenpolitisch unter Druck steht:

- Er kann in Serbien selbst von den Protesten gegen ihn ablenken.

- Er kann sich sich außenpolitisch als Stabilitätsgarant und unverzichtbarer Partner verkaufen.

— Krsto Lazarević (@Krstorevic) May 29, 2023

Nach den beiden Amokläufen in der ersten Maiwoche sieht sich Aleksandar Vucic heftigen Angriffen der Opposition und Massenprotesten der Bevölkerung ausgesetzt. Erst vor wenigen Tagen trat er am Kongress in Kragujevac vom Vorsitz der Serbischen Fortschrittspartei SNS zurück, betonte aber am Montagabend auf Pink-TV, er lasse sich von der Opposition «nicht erpressen».

Insbesondere lehnte er die Entlassung von Innenminister Bratislav Gasic ab, der nach den beiden Amokläufen mit insgesamt 18 Toten in die Kritik geraten war: «Das ist eine bedeutungslose Forderung, Gasic hat alle Mörder verhaftet», wehrte Vucic dessen Rücktritt ab.

Beinahe im selben Atemzug gratulierte er dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Wiederwahl, indem er süffisant anmerkte: «Sehen Sie, einige können auch nach 20 Jahren noch Wahlen gewinnen, wenn sie für ihr Volk gut gearbeitet haben.» Dabei stellte Vucic klar, dass er nicht daran denke, nach elf Jahren von der Macht abzutreten: «In dieser Zeit haben wir alle Wahlen deutlich gewonnen, und ich hoffe, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.»

Von der Opposition werde er sich jedenfalls nicht besiegen lassen, sondern erst dann aus eigenem Antrieb abtreten, wenn er das Gefühl habe, für das Amt «nicht mehr genügend Energie und Kraft» zu haben.

Mutmassliche serbische Provokateure unter den Demonstranten

Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, wie Vucic die Gewalt im Kosovo nicht nur dazu nutzt, eigene Stärke zu demonstrieren, sondern auch mittels eigener Provokateure zusätzlich anheizt. In den sozialen Medien wurde einer der Hauptangreifer auf die Nato-Soldaten in Zvecan als serbischer Polizist aus der südserbischen Stadt Rudare identifiziert.

In Zvecan, Kosovo, KFOR troops tried to disperse a violent crowd of Serbs. At least 11 Italian soldiers were injured, 3 of them severely, though not life-threatening. #Kosovo pic.twitter.com/clEkJD1qln

— (((Tendar))) (@Tendar) May 29, 2023

Andere Augenzeugen der Ereignisse machten unter den Demonstranten Schläger aus der serbischen Gang von Veljko Belivuk aus. Der mutmassliche Mafiaboss steht in Belgrad wegen mehrfachen Mordes und organisierter Kriminalität vor Gericht. In einer Voranhörung vor zwei Monaten gab Belivuk zu, in der Vergangenheit für Staatspräsident Vucic «die Drecksarbeit erledigt» zu haben, was Letzterer vehement bestreitet.

Inwiefern Russland direkt am Anheizen der Ereignisse im Kosovo und an der Destabilisierung des Westbalkans beteiligt ist, muss hingegen Spekulation bleiben. Die «Z»-Zeichen, mit denen ein US-Polizeifahrzeug der Kfor-Truppe vollgeschmiert wurde, waren wohl eher ein Zeichen der Provokation an die bei Serben verhassten ausländischen «Besatzungstruppen» als ein tatsächlicher Beweis für die lange Hand Moskaus.

Dessen ungeachtet liegt für Serbiens Präsident die Quelle allen Übels im Regime von Kosovos Präsident Albin Kurti. Dieser werde von seinen «unverantwortlichen Provokationen» nicht ablassen und träume wohl davon, «eine Art Selenski zu sein», warf Vucic seinem Gegenspieler in Pristina vor und warnte «vor einem grossen Konflikt, weil ich weiss, dass die Serben das nicht tolerieren können».

FILE - Kosovo's Prime Minister Albin Kurti speaks during an interview with the Associated Press in capital Pristina, Kosovo, Sunday, Feb. 5, 2023. Western officials are hoping for progress this w ...

Albin Kurti.Bild: keystone

International hat sich die Stimmung nach den Angriffen vom Montag und den verletzten Nato-Soldaten gegen Serbien gedreht. Hatten die USA und die EU Ende vergangener Woche noch die kosovarische Regierung scharf dafür kritisiert, sich mit Hilfe der eigenen Polizei Zugang zu den Rathäusern im Nord-Kosovo verschaffen zu wollen, steht jetzt die Rolle der serbischen Nationalisten im Visier.

Ein Tiefpunkt in einer langen Reihe von Eskalationen im Verhältnis zwischen 🇽🇰 + 🇷🇸. Aber mit der tätlichen Gewalt gegen KFOR-Soldaten durch radikale Serben ist das Maß voll. Diese Ausschreitungen sind nicht nur inakzeptabel sondern müssen Folgen haben. https://t.co/bRC9GRea5t

— Michael Roth - das Original 🇪🇺🇺🇦 (@MiRo_SPD) May 29, 2023

So kritisiert der deutsche SPD-Politiker Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, die Vorfälle vom Pfingstwochenende als Tiefpunkt des Kosovo-Konflikts: «Mit der tätlichen Gewalt gegen Kfor-Soldaten durch radikale Serben ist das Mass voll. Diese Ausschreitungen sind nicht nur inakzeptabel, sondern müssen Folgen haben.»