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Der gefürchtete Plagiatsjäger: Er hat Annalena Baerbock hundert Plagiate nachgewiesen

Porträt des Plagiatforschers Stefan WeberEr hat Annalena Baerbock hundert Plagiate nachgewiesen

Der österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber ist der bekannteste Plagiatsjäger im deutschen Sprachraum. Gerade beschäftigt er sich mit zwei Fällen aus der Schweiz. Einmal wird er während unseres Gesprächs resolut.

«Ich kann nicht verstehen, warum jemand so etwas tut»: Stefan Weber.

«Ich kann nicht verstehen, warum jemand so etwas tut»: Stefan Weber.

Foto: Joachim Bergauer

«Sie werden enttäuscht sein», sagt Stefan Weber, bevor er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnet, in einem Bürogebäude mit der Aufschrift «Techno 13». Es steht in einem Gewerbeviertel in Salzburg, ein Güterbahnhof, eine Tankstelle, eine Ausfallstrasse, Grünflächen, eine Bäckerei, andere Geschäftsgebäude mit farbigen oder gläsernen Fassaden. Die meisten Journalisten, sagt Weber, erwarten in seinem Büro stapelweise Manuskripte und Bücher zu sehen, am liebsten mit vielen Ausrufezeichen, Post-its und Eselsohren, für jede Passage, die der Verfasser oder die Verfasserin abgeschrieben hat.

Stattdessen: Kargheit. Zwei Schreibtische, drei Computerbildschirme, ein Beistelltischchen und zwei Sessel. Weber, ein wuchtiger Mann Anfang fünfzig, mit kurzen grauen Haaren, breitem Gesicht und geradem Blick, stellt eine Schachtel Mozartkugeln auf den Tisch und sagt, das sei die Entschuldigung dafür, dass er zehn Minuten verspätet zum Treffen erschienen sei. «Aber einen Schweizer kann ich mit Schokolade wohl nicht beeindrucken.»

Dann setzt er sich und redet – und damit kann er einen Schweizer schon eher beeindrucken – eineinhalb Stunden lang in halsbrecherischem Tempo über seinen Beruf und seine Passion, was offensichtlich dasselbe ist. Für einen ehemaligen Hochschuldozenten, Verfasser mehrerer Bücher sowie einer Habilitation mit dem Titel «Non-dualistische Medientheorie» gibt sich Weber wenig Mühe, seine handfeste österreichische Sprachvariante in Richtung Standarddeutsch zu rücken. Unsympathisch macht ihn das nicht.

«Zehn Jahre lang systematisch plagiiert»

Der Medienwissenschaftler Stefan Weber ist der bekannteste deutschsprachige Plagiatsjäger – eine Bezeichnung, zu der er sich noch äussern wird. Auf seinem Blog hat er gerade Henrique Schneider, dem designierten Präsidenten des Schweizerischen Gewerbeverbandes, vorgeworfen, «seit mindestens zehn Jahren in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen systematisch plagiiert und zwei Professuren, nämlich an den Universitäten Wien und Graz, vorgetäuscht zu haben». Schneider bestreitet die Anschuldigungen. Als Erste hat die NZZ über den Fall berichtet. 

Hat der designierte Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes, Henrique Schneider, abgeschrieben oder nicht? Er bestreitet es.

Hat der designierte Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes, Henrique Schneider, abgeschrieben oder nicht? Er bestreitet es.

Foto: PD

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat Weber laut eigenen Angaben überdies 13 hochrangigen österreichischen Politikerinnen und Politikern Plagiate nachgewiesen, unter ihnen ein Innenminister sowie eine Arbeits- und eine Justizministerin. Insgesamt, sagt Weber, haben Universitäten aufgrund seiner Gutachten einem guten Dutzend Personen den akademischen Titel aberkannt. Seiner Meinung nach hätten es viel mehr sein müssen. 

Weber hat auch ein Gutachten in jenem Plagiatsfall verfasst, der die HSG heftig erschüttert und die Leitung der St. Galler Universität vor einigen Wochen dazu veranlasst hat, zwei Professoren freizustellen. Allerdings sagt Weber: «Der Hund liegt in der Dissertation des Professors begraben, dessen Arbeiten ich mir angeschaut habe. Und diese Dissertation hat er an der Technischen Universität Darmstadt eingereicht.» Die Habilitation, die der Betriebsökonom in St. Gallen vorgelegt habe, enthalte hingegen deutlich weniger plagiierte Stellen. Wie der Stand sei in dieser Angelegenheit, weiss Weber nicht. Von der HSG habe er schon seit Wochen nichts mehr gehört.

Vom Begriff «Diebstahl geistigen Eigentums» hält er nichts.

Aber was ist überhaupt ein Plagiat? Weber lehnt sich nach vorne, er schüttelt seine flach aneinandergelegten Hände leicht vor der Brust, wie um zu betonen: Jedes einzelne Wort ist jetzt wichtig: «Ein Plagiat ist eine Übereinstimmung von einem Text mit einem älteren Text, wobei eine zufällige Identität so gut wie ausgeschlossen werden kann.» Vom Begriff «Diebstahl geistigen Eigentums» halte er nicht viel, das sei zu schwammig. Es gebe auch plagiierte Bilder, Grafiken oder Abbildungen. 

Im Sommer 2021 hat Weber im Buch – oder besser: in der als Buch getarnten Wahlkampfschrift – der damaligen grünen Kanzlerkandidatin und heutigen deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock genau hundert abgekupferte Passagen entdeckt. Ausserdem hat er der Politikerin nachgewiesen, ihren beruflichen Lebenslauf aufgehübscht zu haben.

Erhält Weber den Auftrag, einen Text zu prüfen, lässt er davon zunächst eine durchsuchbare PDF-Datei erstellen. Es folgt die Analyse durch die amerikanische Plagiatsoftware Turnitin. Finden sich verdächtige Stellen, beginne für den Plagiatsjäger erst die Knochenarbeit, sagt Weber. Er müsse jeden verdächtigen Halbsatz überprüfen. Stimmt er mit einer Stelle aus einer späteren oder aus einer früheren Publikation überein? Oder anders gefragt: Hat der Verfasser plagiiert, oder hat jemand von ihm abgeschrieben? Oder wurde korrekt zitiert?

Könnte es sich auch um eine – wie Weber es nennt – «zufällige Wortketten­übereinstimmung» handeln? «Das weiss die Software nicht, das kann nur ein Mensch herausfinden.» Dafür sucht Weber nach der digitalisierten Originalquelle, etwa im Internetarchiv Wayback Machine oder in einer von Turnitin angelegten Kopie sämtlicher Inhalte, die seit Ende der 1990er-Jahre online publiziert wurden. «Findet sich nichts, schreibe ich zum Beispiel die niedersächsische Handelskammer an und frage, ob sich bei ihnen noch dieses oder jenes Dokument findet. Oder ich versuche, mir ein Buch oder eine Dissertation physisch per Fernleihe aus einer öffentlichen Bibliothek zu verschaffen.»

Wie eine Mücke im Triebwerk eines Jets

Aber ist nicht längst alles gesagt? Wir alle navigieren durch einen Ozean an Texten und Textfragmenten, an Gelesenem und Halbgelesenem, wir leben inmitten von Informations- und Wissenspartikeln, die wir in irgendwelchen Medien gehört, gesehen oder aufgeschnappt haben. Und all dies verbinden wir mit eigenen Gedanken und Erinnerungen. Wirkt da der Begriff Plagiat nicht schwammig, ist die moralische Empörung darüber nicht scheinheilig? Im Grunde ist das Plagiat doch die Textsorte, die wie keine andere zu unserer Zeit passt. 

Bei Weber ergeht es solchen Einwänden wie einer Mücke, die ins Triebwerk eines startenden Jumbojets gerät. «Nein», sagt er, «eindeutig nein. Seit meiner ersten Seminararbeit über Ideologiekritik an der Universität Salzburg ist Plagiieren in meinen Augen ein absolutes Tabu. Ein klares ethisches No-go.» Und ja, er sei noch immer empört über jedes einzelne Plagiat, das er entdecke. «Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum jemand so etwas tut.»

In Annalena Baerbocks Buch hat Weber Dutzende Plagiate gefunden: Die Aussenministerin im März 2023 während ihres Besuchs in Bagdad, Irak.

In Annalena Baerbocks Buch hat Weber Dutzende Plagiate gefunden: Die Aussenministerin im März 2023 während ihres Besuchs in Bagdad, Irak.

Foto: Hady Mizban (AP)

Auch das Argument, mit dem die deutschen Grünen ihre plagiierende Kanzlerkandidatin verteidigt haben, nämlich, dass man an ein Sachbuch nicht dieselben Kriterien anlegen könne wie an eine akademische Arbeit – Weber lässt es nicht gelten. Die strengen Regeln des wissenschaftlichen Zitierens, mit Fussnoten und allem, die könne man bei einem Sachbuch tatsächlich nicht anwenden. Aber den Begriff des Plagiats schon.

Ein Beispiel aus Webers Gutachten über Annalena Baerbocks Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern». Links ein Text aus der «Süddeutschen Zeitung», rechts aus dem Buch der grünen Politikerin.

Ein Beispiel aus Webers Gutachten über Annalena Baerbocks Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern». Links ein Text aus der «Süddeutschen Zeitung», rechts aus dem Buch der grünen Politikerin.

Screenshot: Blog für wissenschaftliche Redlichkeit

Eines allerdings räumt Weber ein: Ob es sich bei einer verdächtigen Stelle tatsächlich um ein Plagiat handelt und wie schlimm es ist, sei oft eine Frage des Kontextes. «Das Plagiat ist ein Netzwerk», sagt Weber. Eine isolierte, eher kurze Übereinstimmung mit einer einzigen Quelle – gut, das könnte auch Zufall sein. Aber mehrere identische Passagen aus derselben Quelle nicht. Und anders als es ihm Kritiker vorwerfen, sei er nicht übermässig streng, im Gegenteil. Bauernopfer lasse er zum Beispiel oft durchgehen. Bauernopfer? «Jemand übernimmt einige Sätze aus einer Quelle und zitiert sie korrekt – um die folgenden zwei oder drei Sätze aus derselben Quelle als eigene auszugeben.» Dieser Graubereich geistiger Schummelei breite sich in vielen Arbeiten aus. 

«Ob jemand heimlich eine unversteuerte Zweitwohnung hat, eine Pistole, eine Liebhaberin oder einen unehelichen Sohn – das interessiert mich nicht.»

Stefan Weber

Etwa die Hälfte seiner Aufträge stamme von Privatpersonen, die andere von Anwaltskanzleien. Einmal habe ihn ein deutscher Unternehmer kontaktiert und gesagt: «Die Scheidung von meiner Frau hat mich eine Stange Geld gekostet, könnten Sie mal überprüfen, ob die Doktorarbeit, die meine Verflossene damals im Fach Kommunikations­wissenschaft geschrieben hat, sauber ist?» Weber erzählt von der nachehelichen Rachsucht in einem Tonfall, wie man ihn für Anekdoten aus der Rubrik «Was es nicht alles gibt auf dieser Welt» verwendet. Um aber ernsthaft hinzuzufügen: Er überprüfe Texte, die Korrektheit von Lebensläufen und akademischen Titeln, aber nicht mehr. Ob jemand heimlich eine unversteuerte Zweitwohnung habe, eine Pistole, eine Liebhaberin oder einen unehelichen Sohn – das interessiere ihn nicht. 

Bei Aufträgen aus Anwaltskanzleien gehe es oft darum, dass sich ein Paar während einer Scheidung um die Kinder streite. «Ein psychologisches Gutachten, das die Behauptungen der Mutter stützt – und schon lässt der Vater überprüfen, ob die Fachperson, die es erstellt hat, ihren Titel zu Recht führt. Oder umgekehrt.» Häufig wolle jemand auch wissen, ob ein Gegenanwalt oder eine Gegenanwältin bei ihrer Abschlussarbeit nicht vielleicht plagiiert habe.

Ein ähnlicher Instinkt wie nach einem Mord

Bis zu seinem 32. Lebensjahr arbeitete Weber als Journalist, Dozent und Marketingexperte, ohne je auch nur an Plagiate zu denken. Dann hält er 2002 an der Universität Klagenfurt eine Vorlesung. Die Suchmaschine Google gibt es seit fünf Jahren, die Online-Enzyklopädie Wikipedia seit einem. Weber fällt auf, dass Studentinnen und Studenten bei ihren Seminararbeiten seitenweise aus dem Internet kopieren. Als er sie zurechtweist, rufen einige noch während der Lehrveranstaltung den ordentlichen Professor für Kommunikations­wissenschaft an, der ihnen recht gibt. «Ich konnte es nicht glauben», sagt Weber. Es sei zu heftigen Streitereien über korrektes Zitieren gekommen, in deren Verlauf ihm der Institutsvorstand zugestimmt habe. Immerhin. 

«Dass sich Plagiatoren selber ans Messer liefern, ist gar nicht so selten.»

Stefan Weber

Drei Jahre später stellt Weber fest, dass ein Dozent der Universität Tübingen aus seiner, Webers, Dissertation über Erkenntnistheorie abgeschrieben hat. Bizarrerweise lädt der Tübinger Akademiker Weber als Gastreferent ein, wobei er sich gleichzeitig für die vielen plagiierten Stellen entschuldigt. Nachdem ihn Weber angezeigt hat, verliert er seinen Doktortitel.

Dass sich Plagiatoren selber ans Messer liefern, sei gar nicht so selten. «Wahrscheinlich derselbe Instinkt, der einen Mörder an den Tatort zurücktreibt», sagt Weber. Es gebe Akademiker, die, von Gewissensbissen gequält, unter falschem Namen ihre eigene Arbeit überprüfen lassen. «Sie hoffen, ich merke nichts oder komme zum Schluss, es sei nicht so schlimm», sagt Weber. Und dann gebe es Uniabsolventen, die nicht abgeschrieben haben, sondern sicher sein wollen, dass ihnen beim Zitieren keine Fehler unterlaufen sind. Rund 300 Anfragen erhält Weber jährlich, vier bis acht Euro verlangt er pro überprüfte Seite. Aber nicht aus jeder Anfrage werde ein Gutachten. Durchschnittlich verrechne er pro Auftrag zwischen 1000 und 3000 Euro. Um die Arbeitslast zu bewältigen, arbeitet er mittlerweile mit fünf Wissenschaftlern und Detektiven zusammen. 

«Das ist Wissenschaft auf Mickey-Mouse-Niveau.»

Stefan Weber

Weber vibriert, wenn er von Plagiaten redet. Für eine plagiierende Autorin rutscht ihm der Begriff «Zitierschlampe» raus, worauf er kurz stoppt und den Satz «Sie hat schlampig zitiert» nachschiebt. Er sagt, an dieser Fakultät werde «Wissenschaft auf Mickey-Mouse-Niveau betrieben» und jener Professor sei «die coolste Socke an der ganzen Uni» gewesen. Und ja, es stimme schon, «ich bin da ganz ehrlich»: Wenn er ein Manuskript vor sich sehe, dann überkomme ihn das brennende Bedürfnis, zu wissen, ob alles sauber sei. Und ja, er lasse alles stehen und liegen, wenn ein Plagiat aufpoppe, «da gibt es nichts schönzureden».

Eines hingegen, behauptet Weber, empfinde er nie: Schadenfreude oder Häme, wenn eine demaskierte Plagiatorin, ein entlarvter Plagiator in Depressionen stürzt oder entlassen wird. Einmal seien zwei Plagiatoren wegen seiner Gutachten psychisch derart zusammengebrochen, dass sie für mehrere Wochen in eine Klinik gemusst hätten. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie sich so etwas anfühlt, sagt Weber. Als man ihn vor Jahren einmal überraschend aus einem Marketingjob und aus einem Team entlassen habe, das seine Ersatzfamilie gewesen sei, sei er ins Leere gestürzt. «Ich musste mich behandeln lassen.»

«Ich sass mit zwei kleinen Kindern zu Hause und dachte, das wird jetzt eine Millionenklage, mein Leben ist verpfuscht.»

Stefan Weber

Es komme aber selten vor, dass das Schuldbewusstsein überführte Plagiatorinnen und Plagiatoren in Sack und Asche wandeln lasse. Viel häufiger streiten sie ihre Plagiate ab, verharmlosen sie, rechtfertigen sich – und schalten einen Anwalt ein. «Gerade jetzt habe ich wieder eine Klage an der Backe», sagt Weber, und einer der beiden depressiven Plagiatoren habe nach der Entlassung aus der Klinik einen der schärfsten deutschsprachigen Medienanwälte verpflichtet. Weber erinnert sich, wie es war, als er 2013 erstmals verklagt wurde. «Ich sass mit zwei kleinen Kindern zu Hause und dachte, das wird jetzt eine Millionenklage, mein Leben ist verpfuscht.» Inzwischen habe er sich daran gewöhnt. Juristische Klagen empfinde er als lästig, aber nicht mehr als existenzbedrohend.

Apropos Bedrohung: Zweimal habe er jemanden angezeigt, der ihn mit dem Tod bedrohte. Physische Angriffe habe er indessen nie erlebt. «Dass ich im Bus sitze und mir ein ertappter Plagiator ein paar Watschen gibt – nein, zum Glück nicht.»

Häufig steigen Plagiatoren sogar auf

Es gebe einen weiteren Grund, weshalb sich sein Mitleid mit Schummlern in Grenzen halte: Universitäten ringen sich laut Weber oft nicht einmal in wirklich gravierenden Fällen dazu durch, einen akademischen Titel abzuerkennen, und selbst wenn: «Oft fallen Plagiatoren weich. Häufig steigen sie sogar auf.» Ein ertappter Landesrat in der Steiermark zum Beispiel, der sei nach seinem Rücktritt in einem anderen Gremium entsorgt worden, da habe er jetzt weniger Stress und weniger Arbeit, aber mehr Lohn. 

Im österreichischen Magazin «Falter» sagte vor zwei Jahren der Medienwissenschaftler Peter A. Bruck, bei dem Weber seine Dissertation geschrieben hatte, er halte diesen «für einen der besten Absolventen der Publizistik in Salzburg». Jahre zuvor hatte Bruck seinem einstigen Zögling allerdings vorgeworfen, vom «Spürhund zum Richter» geworden zu sein und ein «Medien-Halali» gegen einen Minister erzeugt zu haben.

Auf die Kritik angesprochen, erwähnt Weber Namen, Titel und Intrigen, die ausserhalb Österreichs niemanden kümmern. Es klingt, als wolle er seinen Sprechapparat dazu zwingen, alles gleichzeitig zu sagen, alle Verwicklungen gleichzeitig zu entwirren statt in zeitlicher Reihenfolge. Kern seiner Aussage ist: Bruck sei damals von der ÖVP unterstützt worden und habe es nicht goutiert, dass Weber einem ÖVP-Minister unseriöses Zitieren nachgewiesen habe.

Die Publizistin Diana Kinnert sagt über Weber: «Ich schätze Herrn Webers Arbeit und habe durch einige seiner Vorwürfe eigene Fehler erkannt; dafür bin ich ihm dankbar.»

Die Publizistin Diana Kinnert sagt über Weber: «Ich schätze Herrn Webers Arbeit und habe durch einige seiner Vorwürfe eigene Fehler erkannt; dafür bin ich ihm dankbar.»

Foto: Getty Images

Die junge deutsche Publizistin Diana Kinnert, in deren Buch «Die neue Einsamkeit» Weber zahlreiche Plagiate gefunden hat, schreibt in einer Mail: «Ich schätze Herrn Webers Arbeit und habe durch einige seiner Vorwürfe eigene Fehler erkannt; dafür bin ich ihm dankbar.» Allerdings sei es unseriös, dass er sie persönlich für sämtliche Fehler verantwortlich gemacht habe und nicht auch den Co-Autor des Buches.

Der Jurist Gerhard Dannemann lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin englisches Recht und hat selber schon Plagiatsgutachten verfasst. Auf Anfrage schreibt er: «Herr Weber dokumentiert Plagiate sehr professionell und arbeitet mit seriösen Methoden. Wir liegen gelegentlich bei der Bewertung einzelner Befunde etwas auseinander, aber das ist normal.» Allerdings, fügt Dannemann hinzu, sei Weber «bedauerlicherweise einmal einer aufwendig gefälschten Quelle aufgesessen, wofür er sich aber auch entschuldigt hat».

«Mehr Blödsinn kann man gar nicht machen.»

Stefan Weber über seinen bisher grössten Fehler

Der Berliner Professor spricht vom Fall Graw, dessen bizarre Wendungen wir hier in einigen wenigen Sätzen zusammenfassen: 2022 bestellt jemand bei Weber ein Plagiatsgutachten über die Doktorarbeit des Münchner Gerichtsmediziners Matthias Graw. Dabei fälscht der Auftraggeber mit grossem Aufwand die Quelle, von welcher der Arzt angeblich abgeschrieben hat. Er behauptet, sie sei während der Ceausescu-Diktatur in Rumänien entstanden. Der Auftraggeber benutzt Webers Prestige, um Graw beruflich zu diskreditieren, und Stefan Weber sowie ein anderer Plagiatsexperte fallen darauf herein. Am 30. November 2022 schreibt die deutsche «Zeit»: «Ein Professor soll vernichtet werden.»

Weber hat damals seinen Fehler eingeräumt, sich entschuldigt und von deutschen Ermittlern befragen lassen, die eigens an die österreichisch-bayrische Grenze gereist seien. Er sagt auch heute noch: «Mehr Blödsinn kann man gar nicht machen. Ich habe die strengen Massstäbe, die ich an die Arbeit anderer anlege, selber missachtet. Für die Plagiatsforschung war das eine Katastrophe.» Er rechne es Graw, der monatelang unter dieser Rufschädigung gelitten habe, hoch an, dass er seine Entschuldigung akzeptiert habe. 

Was man Weber neben seiner Kritikfähigkeit zugutehalten muss: Dass ihm ein Auftraggeber eine derart perfide Falle stellt, damit konnte er kaum rechnen. Dennoch habe er damals daran gedacht, die Plagiatsjägerei aufzugeben, um wieder zu forschen, zu schreiben und zu unterrichten. Funktionäre der ÖVP hätten seine Rückkehr an die Universität verhindert.

Eine tote Giraffe in der Savanne

Den Begriff «Plagiatsjäger» mag Weber nicht. Er sei negativ konnotiert und erinnere an eine Grosswildjagd, bei der am Ende eine Giraffe tot in der Savanne liege. Schöner fände er den Vorschlag eines Journalisten: «Plagiatsförster». Aber weil das andere Wort allgegenwärtig sei, seit es der «Spiegel» 2002 erstmals benutzte, bringe es nichts, dagegen anzukämpfen. «Auf meinem Grabstein sollte aber nichts von Plagiatsjäger stehen», sagt Weber, auch nicht der Satz: «Er sorgte für den Rücktritt von drei Ministern und machte die Welt um 14 Doktoren ärmer.»

Sondern? Weber überlegt einen Moment, dann sagt er: «Er war ein Revoluzzer gegen das Hochschulsystem und ein angefeindeter Denker.» Und fügt hinzu: «Oder was auch immer. Letztlich ist es mir wurscht.»

Sandro Benini ist Redaktor im Ressort Kultur und Gesellschaft. Er hat italienische und deutsche Literatur studiert und war elf Jahre lang Lateinamerika-Korrespondent mit Wohnsitz in Mexiko. Mehr Infos

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