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Brisantes Manifest: Ein Schweizer Grüner stört sich am Klima-«Katastrophismus»

Brisantes ManifestEin Schweizer Grüner stört sich am Klima-«Katastrophismus»

Der Genfer Regierungsrat Antonio Hodgers ist besorgt über den Klimawandel. Trotzdem ruft er dazu auf, weniger Ängste zu schüren und mehr Hoffnung zu verbreiten.

In der Klimakrise rät der grüne Genfer Regierungsrat Antonio Hodgers zu mehr Gelassenheit und weniger Alarmismus.

In der Klimakrise rät der grüne Genfer Regierungsrat Antonio Hodgers zu mehr Gelassenheit und weniger Alarmismus.

Foto: Lucien Fortunati

Das Buch ist dünn, der Inhalt politisch brisant. «Manifest für eine Ökologie der Hoffnung» nennt der grüne Genfer Regierungsrat Antonio Hodgers seine neu erschienene Programmschrift. Darin rät der Grüne zu «weniger Katastrophismus und Kolapsomanie» und einem entschieden gelasseneren Umgang mit dem Klimawandel. Apokalypse und die Bewirtschaftung von Existenzängsten seien ebenso wenig angezeigt wie blosse Nonchalance. Das ständige Schüren von Endzeitstimmung ermutige die Menschen nicht, im Gegenteil, so Hodgers’ These. Er schreibt: «In der heutigen öffentlichen Debatte werden zwei stereotype Haltungen vertreten: Ignoranz oder Depression. Das ist frustrierend.» Was tun?

Hodgers rät, in der Energiewende den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Hodgers nennt insbesondere das Verbot neuer Ölheizungen (wie in Zürich und Genf), den Ausstieg aus der fossilen Energie, neue technologische Lösungen, Änderungen im Konsumverhalten, Städte zu verdichten, statt Landschaften zu zerstören, sowie mehr internationale Solidarität. Der Klimawandel, so Hodgers, mache die Landwirtschaft und den Welthandel instabiler, treibe Menschen in die Migration und richte derartige Zerstörungen an, dass sich manche Staaten nicht mehr um den Schutz der Bevölkerung kümmern könnten. Trete der Staat in der Klimapolitik aber zu autoritär auf, sei dies kontraproduktiv, das habe die Covid-Krise gezeigt. 

Botschaften für rechts und links

Mehr Gelassenheit, weniger Alarmismus: Wer Antonio Hodgers’ Buch liest, denkt unweigerlich, dass sich der Genfer Klimaaktivisten vorknöpft, sich aber auch an seine eigene Partei richtet und eine Grundsatzdiskussion auslösen will. «Dieser Eindruck ist falsch», sagt der 47-Jährige. «Es ist kein Manifest für die Grünen, sondern richtet sich an die breite Öffentlichkeit, unabhängig davon, wo die oder der Einzelne politisch steht.» Den Text habe er im Übrigen schon vor drei Jahren entworfen und auch mit Parteikollegen darüber diskutiert. (Podcast: Wie stehen die Chancen für das Klimaschutzgesetz?)

Bei den Grünen ist man über Hodgers’ Manifest jedoch wenig erfreut, wegen seines Inhalts und wegen des Zeitpunkts. Man konzentriere sich jetzt auf die Abstimmung zum Klimagesetz und dann sogleich auf die Gesamterneuerungswahlen im Oktober, tönt es aus den Reihen der Partei. Es sei der falsche Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion über ökologische Politik.

Gelesen hat es Ueli Leuenberger, langjähriger Genfer Nationalrat und ehemals Präsident der Grünen Schweiz. Er sagt: «Antonio Hodgers’ Forderung nach einer Politik der Hoffnung ist richtig und entspricht dem Grundsatz der Grünen, dass eine andere Welt möglich ist. Aber noch immer sieht ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung keinen dringenden Handlungsbedarf in der Klimapolitik.» Nur so liessen sich die bröckelnde Zustimmung für die anstehende Abstimmung über das Klimagesetz und die Pläne für Autobahnausbauten erklären, so Leuenberger. Darum brauche es seitens der Grünen auch weiterhin einen gewissen Alarmismus. «Darum müssen die Grünen auch weiterhin warnen und alarmieren, um den dringlichen Handlungsbedarf in die Köpfe der Leute hineinzukriegen.»

«Ich verstehe, dass sich Leute an Bäume ketten, statt ins Kino zu gehen, in der Hoffnung, Dinge ändern zu können.»

Nicolas Walder, Nationalrat der Genfer Grünen

Diese Auffassung teilt der grüne Genfer Nationalrat Nicolas Walder. Er sagt: «Ich verstehe, dass sich Leute an Bäume ketten, statt ins Kino zu gehen, in der Hoffnung, Dinge ändern zu können.» Dieses Engagement sei angesichts des Klimanotstands unabdingbar, denn die Zeit dränge. Er, Walder, habe anders als Hodgers wenig Vertrauen darin, dass die Bürgerlichen für rasche Änderungen Hand böten. Deren Haltung sei klar, so Walder. «Bürgerliche Politiker spielen die Situation herunter, um wirtschaftliche Interessen zu schützen. Sie stützen sich auf die Mehrheit der Schweizer, die nur ungern auf fossile Energien verzichten.» Die Bürgerlichen wollten daher mit Gesetzesänderungen warten, bis die Mehrheit ihre Meinung ändere, so Walder. Diese Haltung sei angesichts der Dringlichkeit des Klimawandels aus grüner Sicht unhaltbar.

Der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod will vor allem eines: bei Lösungen für Umweltprobleme auf Kapitalismus und Liberalismus setzen. Antonio Hodgers’ Manifest hat er zwar nicht gelesen, kennt aber dessen Thesen, und die überraschen ihn. «Ich stelle fest, dass die Grünen plötzlich einen doppelten Diskurs pflegen, da die katastrophistische Rhetorik offensichtlich nicht mehr funktioniert», analysiert Nantermod. Seine Kommunikationsstrategie einige Monate vor den Wahlen zu ändern, sei jedenfalls originell.

Verständnis für Aktivisten

Natürlich befasst sich Antonio Hodgers in seinem Buch auch mit den Klimaaktivisten. Er lobt Greta Thunberg dafür, dass sie als Ikone der Klimabewegung den Wirtschaftseliten den Spiegel vorgehalten habe. Aber jede neue Warnung, es sei der letzte Moment, die Klimakatastrophe noch zu verhindern, macht die Leute gemäss Hodgers teilnahmsloser und demotiviert sie.

Für die Aktionen der Klimabewegung habe er durchaus Verständnis, signalisiert Antonio Hodgers. Er meint damit zum Beispiel jene 100 Aktivistinnen und Aktivisten, die letzte Woche auf dem Rollfeld des Genfer Flughafens gewaltfrei und unverhüllt gegen Privatjets demonstriert hätten. Hodgers sagt: «Privatjets werden von einigen wenigen Personen genutzt und gehören gleichzeitig zu den grössten Umweltverschmutzern. Ein Privatjet produziert in drei Stunden Flugzeit gleich viel CO₂ wie ein Durchschnittsschweizer in einem Jahr.» Das müssten die Menschen  einfach wissen. Wenn Aktivisten aber ein Van-Gogh-Gemälde mit Tomatensauce bewerfen, geht das Hodgers zu weit.

Philippe Reichen ist seit 2012 Westschweizkorrespondent mit Sitz in Lausanne. Er hat an den Universitäten in Zürich und Freiburg im Breisgau Geschichte, Philosophie und Allgemeines Staatsrecht studiert.Mehr Infos@PhilippeReichen

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