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Analyse zu Amnesty International: Nach Vorwürfen gegen ukrainische Armee: Mehr als ein PR-Unfall

Analyse zu Amnesty InternationalMehr als ein PR-Unfall

Die Ignoranz von Amnesty International gegenüber den Opfern eines Zerstörungskrieges ist bestürzend.

Der Aggressor macht Städte zum Schlachtfeld, nicht die Verteidigung: Zerstörtes Quartier in Mariupol.

Der Aggressor macht Städte zum Schlachtfeld, nicht die Verteidigung: Zerstörtes Quartier in Mariupol.

Foto: AFP

Amnesty International ist es gewohnt, für die Menschenrechte die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Jetzt aber steht die Organisation selbst unter öffentlichem Druck. Oksana Pokaltschuk, Chefin der Ukraine-Sektion, ist aus Protest zurückgetreten. Amnesty hat nämlich der russischen Kriegspropaganda ein unverhofftes Geschenk gemacht durch einen Bericht, dem zufolge die Ukraine das humanitäre Völkerrecht verletze: Ihre Armee nutze zivile Gebäude in den Städten und gefährde so die Bevölkerung.

Der Vorwurf vor allem aus der Ukraine, Amnesty setze somit Angreifer und Verteidiger moralisch auf eine Stufe, ist zwar unberechtigt – der Bericht benennt Putins Russland eindeutig als Verursacher des Konflikts. Das Problem ist ein anderes: die atemberaubende Ignoranz gegenüber den Opfern eines Zerstörungskrieges.

Erst der Angriff des Aggressors macht Städte zum Schlachtfeld, doch nicht deren Verteidigung. Einmal abgesehen davon, dass sich die Ukrainer bemühen, Zivilisten aus den Kampfgebieten zu bringen: Die russische Kriegführung ist so brutal, dass sie ohnehin keinen Unterschied zwischen militärischen und zivilen Zielen macht, wie die Trümmerwüste von Mariupol belegt. Städte aber sind ein enormes Hindernis für Angreifer, Bastionen des Widerstandes.

In der seltsamen Logik des Ukraine-Berichts müsste man auch der Roten Armee, als sie 1942 Stalingrad gegen die Wehrmacht verteidigte, völkerrechtswidriges Verhalten vorwerfen. Obwohl noch Zivilisten in der Trümmerstadt waren, kämpften die sowjetischen Soldaten um jedes Haus. Was hätten sie sonst tun sollen?

Häme ist nicht angebracht, eher Bestürzung.

Für Amnesty ist die Affäre mehr als ein Public-Relations-Unfall. Die Führung der Menschenrechtsorganisation ist im Begriff, durch politischen Aktivismus ihr wichtigstes Kapital zu verspielen: ihre Glaubwürdigkeit. Den Millionen Mitgliedern und Unterstützern, vor allem aber der Sache tut die Generalsekretärin Agnès Callamard keinen Gefallen, wenn sie Kritiker nun als «Trolle» beschimpft. Erneut ist der Ruf der Unparteilichkeit erschüttert.

Scharf kritisiert wurde auch das jüngste Israel-Papier, das dem jüdischen Staat «Apartheid» vorwirft, also ein rassistisches System wie einst im weissen Südafrika. Es hätte genügt, das Unrecht der Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten zu benennen, statt sich politisch ganz offen auf eine Seite zu stellen und die Neutralität aufzugeben. Eine Redaktorin der deutschen Amnesty-Sektion, Lea de Gregorio, kritisierte das in der «Zeit»: «In dem Amnesty-Bericht gibt es die Guten, die Palästinenser, und den Bösen: Israel.» Sie hat gekündigt, «mit gebrochenem Herzen».

Bei Amnesty gab es schon immer Streit darum, wie politisch sich die Organisation äussern soll. 2001 hat sie den Einsatz auch für wirtschaftliche und soziale Rechte beschlossen; das entsprach dem Zeitgeist, hat aber auch Unschärfen über den eigentlichen Auftrag erzeugt, die sich jetzt bitter rächen. Häme ist nicht angebracht, eher Bestürzung. Denn die Verdienste von Amnesty International, 1961 als Hilfsorganisation für politische Häftlinge – «die vergessenen Gefangenen» – in aller Welt gegründet, sind gewaltig. Tausende verdanken der Organisation die Rettung aus Gefängnissen und Folterkellern. Ihr Nimbus gründete sich darauf, dass sie niemals einen Unterschied machte, wer diese Gefängnisse und Folterkeller betrieb. Dieses Amnesty wird weiterhin dringend gebraucht.

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