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Nicht ohneeinander: Alice Springs aka June Newton in Berlin

Sie war eine Meisterin an der Kamera, wie ihr Mann. Und doch anders. Helmut Newtons Frau June nannte sich Alice Springs, porträtierte Prominente, adeligen Jetset, anonyme Punks, Rocker, Tänzerinnen und ihre große Liebe. In Berlin wird sie zu ihrem 100. Geburtstag gefeiert. 

Die Frau hinter der Fotografie-Ikone Helmut Newton war selbst ein Star mit Fotokamera. June Newton war Muse, engste Vertraute, Resonanzboden, Lebenspartnerin und zu jedem Zeitpunkt eine eigenständige, emanzipierte Persönlichkeit. Unter dem Pseudonym Alice Springs avancierte sie zu einer renommierten Fotografin. Ihre Porträtaufnahmen sind besonders, bleiben im Kopf.

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Authentische Bilder: Das Foto von Modeschöpfer Karl Lagerfeld und Prinzessin Caroline von Monaco mit ihrem Sohn Andrea entstand 1986.

(Foto: Helmut Newton Foundation / Alice Springs)

Jetzt, zu ihrem 100. Geburtstag, belegt das eine fulminante Ausstellung in der Berliner Helmut Newton Stiftung. "Alice Springs. Retrospektive" versammelt 200 teilweise unbekannte Arbeiten und spannt erstmals den Bogen chronologisch. Das Publikum erfährt in diesen Bildern viel über ihr Leben und trifft auf allerlei bekannte Gesichter.

Mal zart, verletzlich, mal lächelnd und sehr offen, mal wirken sie in sich gekehrt, dann wieder ernst, auch hart. Alle aber schauen direkt in Junes einäugigen Apparat. Sie shootete Werbekampagnen, machte Modefotos, Titel für Frauenmagazine und immer wieder Schwarz-Weiß-Porträts, für die sie bekannt ist. Prominente wie Karl Lagerfeld, glamouröse Stars wie Nicole Kidman, Audrey Hepburn oder Brigitte Nielsen, Künstlerkollegen und Ikonen wie Robert Mapplethorpe und Joseph Beuys, aber auch "normale Menschen" werden zu ihren Modellen. Alle sind Persönlichkeiten, die den Raum füllen. Sie kam ihnen so verdammt nah, dass das Publikum das Gefühl beschleicht, geradezu in die Seelen der Fotografierten zu blicken.

In dieser Retrospektive begegnet den Besucherinnen und Besucher June Brown auch als Schauspielerin in Melbourne, ihrem Geburtsort. Sie steht Newton, der auf der Flucht vor den Nazis in Australien gestrandet war, Modell. Es hat dann schnell klick gemacht. Ihre Ehe, ein halbes Jahr nach ihrem Kennenlernen, 1948 geschlossen, sollte bis zu seinem überraschenden Unfalltod 2004 halten. Sie fotografieren sich immer wieder gegenseitig, auch nackt, aber nie voyeuristisch.

"Es war eine große Liebe, mit unglaublichem Respekt füreinander", erzählt Philippe Garner ntv.de. Der 74-jährige Vizepräsident der Helmut-Newton-Stiftung kannte das Künstlerpaar seit den 70ern. "June hatte sein Talent erkannt und ihr berufliches Leben hinten angestellt, um ihn zu unterstützen. Rückblickend war das ein riesiges Zugeständnis. Und sicher nicht immer leicht", erinnert sich Garner.

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June Newton ging als Fotografin immer eigene Wege. Selbstporträt mit Sirpa Lane.

(Foto: Helmut Newton Foundation / Alice Springs)

Ihre erfolgreiche Schauspielerei hat sie in Paris nach ihrem gemeinsamen Umzug in den frühen 60er Jahren wegen der Sprachbarriere aufgeben. Plötzlich sei sie nur die Frau eines langsam bekannt werdenden Fotografen gewesen, erinnert Garner sich weiter. Langeweile? Die war ihr fremd. Während ihr Ehemann an seiner Karriere feilt, beginnt sie autodidaktisch zu malen. 1970 öffnete sich ihr unerwartet eine Hintertür und June Newton wurde von der Hobby- zur Starfotografin. Helmut lag mit einer fiesen Grippe im Bett, als ihr die Idee kam, ihn bei einem Werbeshooting für eine Zigarettenfirma zu vertreten. Der Kunde stieg auf den Deal ein. Und als der Scheck bei ihm ankam, war ihr frecher Griff zur Kamera der Start ihrer nächsten Karriere.

Kraftvoll, direkt, fordernd

Der Rest ist Geschichte. Sie warf eine Nadel auf eine Karte Australiens, die im Herzen des Landes landete: Alice Springs. Unter diesem Pseudonym konnte sie frei arbeiten, ohne in den Verdacht zu kommen, sie schwimme auf der Welle des berühmten Partners mit. June Newton hat sich in ihrem Leben mehrfach neu erfunden. Schauspielerin, Malerin, Fotografin und später Nachlassverwalterin. Niemals war sie nur die Ehefrau von Helmut Newton. Kein Wunder. Philippe Garner beschreibt sie als "kraftvoll, direkt, fordernd, unvorhersehbar und manchmal provokativ. Schon bei unserem ersten Treffen merkte ich, dass sie es mochte, wenn man ehrlich ist. Menschen, die sich eine Maske aufsetzen, waren nicht ihr Ding."

So wie ihr Charakter waren auch ihre Fotografien: unverstellt, direkt und spontan. Sie wollte die Dinge schnell erledigt haben. Während ihr Ehemann seine Fotos akribisch vorbereitete, seine Protagonistinnen sorgsam castete und auf diese Art komplexe, unverwechselbare Szenerien voller Referenzen und Symbolen schuf. Junes Porträts entstanden selten im Studio, meist mit natürlichem Licht. Sie machte die Orte der anderen zur Bühne. Das wird in der Berliner Schau deutlich, da in der Ausstellung Bildpaare der beiden in den Dialog gesetzt werden.

Fotografien von derselben Persönlichkeit, in verschiedenen Sitzungen aufgenommen, hängen unmittelbar nebeneinander. Ihr Porträt von Catherine Deneuve wirkt intimer, obwohl er die Schauspielerin lasziv im Spitzenhemdchen inszeniert. Ihre Fotografie von Yves Saint Laurent zeigt den Partner Pierre Bergé auf Augenhöhe, seines spielt beeindruckend mit Licht und Raum, stellt Bergé jedoch ins Abseits. Junes Foto landete in der Pariser Firmenzentrale und hängt dort bis heute.

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June Newton hat alias Alice Springs auch Aktfotografie gemacht. In Paris setzte sie 1972 die Schauspielerin Sirpa Lane in Szene.

(Foto: Helmut Newton Foundation / Alice Springs)

Während er mit seinen skandalösen Inszenierungen berühmt wurde, wählt sie ein unaufgeregtes, fast klassisches Format, fotografiert lediglich die Oberkörper. Als sie einmal einen Termin mit Karl Lagerfeld hatte, fand sie an dem Tag das Licht enttäuschend. Sie rief ihn an, um zu verschieben, erinnert sich Philippe Garner. Der Modeschöpfer meinte daraufhin, "es sei immer einfacher, Dinge nicht zu machen, als sie zu machen. Sie atmete tief durch, kam und machte beeindruckende Fotos von ihm".

Ganz sie selbst

June Newton war ein Mensch, der die Gelegenheit sah und sie ergriff. Kann sie heute ein Vorbild für junge Fotografinnen sein? "June war der Typ für Entscheidungen. Passivität ist kein Schlüssel zum Erfolg. Eigentlich ist sie für jeden ein Vorbild, denn sie hat hart gearbeitet. Nach dem Motto: Je härter du arbeitest, umso glücklicher wirst du", so Garner.

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Helmut und June fotografierten sich immer wieder gegenseitig. Hier taucht er in der 70ern als Nonne in einer Werbekampagne für den Friseur Jean-Louis David auf.

(Foto: Helmut Newton Foundation / Alice Springs)

Was sie erreicht hat, kann man in dieser bildstarken Schau erleben. June Newton alias Alice Springs hatte die Gabe, die Menschen vor der Kamera zu öffnen. So fing sie die bis heute berührenden Momente ein, schuf authentische Menschenbilder, ohne zu manipulieren. Die Porträtierten sind ganz sie selbst oder spielen eine selbst gewählte Rolle. Als gelernte Schauspielerin konnte die Fotografin nachempfinden, wie es ist, von dieser kalten Linse beobachtet zu werden. "June wusste, wie sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich lenken konnte, hatte gelernt, wie man sich am besten in Szene setzt. Das nutzte sie hinter der Kamera für sich. Sie beobachtete sehr genau und spürte, wann der Moment für das richtige Bild ist", erklärt Garner. Sie war, wie ihre Modelle, eine präsente Person und schaffte es dennoch, im Hintergrund zu bleiben.

Helmut Newton zog es immer wieder nach Berlin, an seinen Geburtsort. 2003 entwickelten die beiden die Idee, hier die Helmut-Newton-Stiftung zu gründen. Sie träumten davon, in dem Museum ein kleines Apartment zu beziehen. Noch in der Planungsphase verunglückte der Fotograf in Los Angeles tödlich und June Newton begann wieder eine neue Karriere. Als Stiftungspräsidentin pushte sie die Eröffnung des Hauses vorwärts und begleitete das fotografische Erbe ihres Mannes bis zu ihrem eigenen Tod 2021. In der Folge wird die gemeinsame Wohnung in Monte Carlo aufgelöst und nach Berlin gebracht.

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"The Living Room“ wird posthum zur Berliner Wohnung von June und Helmut Newton mit Möbeln, Kunst und persönlichen Gegenständen aus ihrem Appartement in Monte Carlo.

(Foto: SPK/photothek, Janine Schmitz)

Für ihre Retrospektive ist das Wohnzimmer, der sogenannte "The Living Room", in kleineren Dimensionen reinstalliert worden. Genau an der Stelle, wo die Berliner Wohnung des Paares geplant worden war und im ehemaligen "June's Room". Hier und in ihrem Werk treffen sich June aka Alice Springs und Helmut Newton wieder. Sie war ohne ihn nicht denkbar und er nicht ohne sie. In ihrer Arbeitsweise waren sie unterschiedlich, im Zusammenleben symbiotisch. Das Museum bietet Newton-Fans eine Zeitreise in damals Zeitgenössisches, das heute zeitlos geworden ist.

"Alice Springs. Retrospektive" bis zum 19. November, Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, 10623 Berlin