Terézia Moras neuer Roman – Warum verlassen Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht?
Die preisgekrönte Autorin erzählt in «Muna oder Die Hälfte des Lebens» von Gewalt in der Liebe. Die weibliche Hauptfigur ist so wiederkennbar, dass es unheimlich ist.
Sie beginnt mit einer «Trilogie der Frauen». Den ersten Teil hat die deutschsprachige Ungarin Terézia Mora soeben veröffentlicht.
Foto: Imago
Würden Sie sich in diesen Mann verlieben? «Und schon wieder war ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich brutal abgekanzelt hatte oder ob ich zu empfindlich war.» Fragt sich eine Achtzehnjährige. Trau deinem Bauchgefühl, antwortet der Therapiesprech von heute. Aber der innere Kompass fehlt auch, «weil ich so völlig allein war, weil ich niemanden fragen konnte, was wovon zu halten war – Du wirst doch nicht hier anfangen zu heulen?» Das ist die Stimme des Geliebten – oder der Mutter? –, die sich ins Selbstgespräch drängt. Also tapfer bleiben.
Die Schlagwörter liegen nahe für die Beziehung, oder eigentlich Beziehungen, von denen Terézia Moras Roman «Muna oder Die Hälfte des Lebens» handelt. Womöglich zu nahe, in einer von der #MeToo-Bewegung und populärem Feminismus gestählten Leserschaft: emotionale Misshandlung, toxische Männlichkeit, Gewalt, Machtmissbrauch. All das liegt von Anfang an auf der Hand, Terézia Moras Erzählerin Muna ist vielleicht verloren, jung, naiv, aber sie sieht die «red flags». Trotzdem käme es einem grausam und besserwisserisch dieser Figur gegenüber vor, den Roman nicht in der Hoffnung zu lesen, dass eine Liebesgeschichte daraus wird. Die Hoffnung macht einen selbst wie Muna verletzbar durch ihre Vergeblichkeit.
Der Anfang des Romans ist mustergültig.
Eine Scheu, diesem Buch mit Begriffen zu Leibe zu rücken, kommt auch daher, dass Terézia Mora kaum explizit wird in der Figurenpsychologie. Eher bringt sie ihre Form zur höchsten Kunst, in wenigen Strichen, mit eher spontan wirkenden Bemerkungen ihre Figuren sehr nahe kommen zu lassen, von dem mustergültigen Romananfang an: «Nachdem sie meine Mutter mit Blaulicht weggebracht hatten, ging ich in den Hof, wo das Fahrrad stand, und schon wieder hatte es einen Platten. Ihr miesen Arschlöcher!»
Stilistisch ein Erlebnis
Laute und leise, innere und äussere Stimmen, Vorfälle und Wahrnehmungen fliessen ohne Anführungszeichen ineinander, und es gibt keine Welt in dieser Erzählung als die der Ich-Erzählerin Muna Appelius. Darin bleibt das Mehrdeutige, Unklare einfach stehen. Das ist Terézia Moras genial präziser Realismus. Rhythmus und Textur dieser Erzählweise sind ein Erlebnis, selbst wenn man vor ihrem Thema zurückscheuen sollte.
Ihre vorherigen Romane «Der einzige Mann auf dem Kontinent», «Das Ungeheuer» und «Auf dem Seil» bilden eine Trilogie, deren Hauptfigur Darius Kopp in seiner ausdrücklichen Normalität sehr männlich gezeichnet war. In ihrem Arbeitstagebuch «Fleckenverlauf», das 2021 erschien, gibt es den Hinweis, dass mit «Muna» jetzt eine «Trilogie der Frauen» beginnt. In einer unsicheren Erzählsituation wirkt es wie eine politische Entscheidung, bei dieser Frau und ihrer Sicht zu bleiben. So schmerzhaft es ist, dass gerade sie selbst unendlich bereit ist, die Gewalt, die sie erfährt, kleinzureden und wegzuinterpretieren.
Sucht sie, weil sie es von zu Hause als Liebe kennt, das Unheil?
Die Mutter: mässig erfolgreich und Alkoholikerin.
Am Anfang wird Muna gerade volljährig. Sie lebt in einer Kleinstadt in der DDR mit dem fiktiven Namen Jüris. Die Mutter ist eine mässig erfolgreiche Schauspielerin am Stadttheater und spätestens seit dem Tod des Vaters Alkoholikerin. Sie zupft und massiert an ihrem Körper herum, der keine jugendliche Form mehr annehmen will, und gibt Muna die Regeln des Lebens unter männlichen Blicken weiter: «Irgendwann muss man sich als Frau sowieso entscheiden: Ziege oder Kuh.»
Nach einem Suizidversuch der Mutter ist Muna auf sich allein gestellt. Sie jobbt bei einer Zeitung und deren Magazin, wo der «schönste Mann» als Autor und Fotograf auftaucht. Eigentlich ist er Lehrer. Und von vornherein abweisend. Womöglich ein vom Leben in der Diktatur deformierter Charakter.
Muna folgt ihm auf dem Fahrrad durch die Stadt, beobachtet, mit wem er ins Theater geht, und nachdem sie Abitur gemacht hat, kommt es zu einer Nacht gespielter Abgeklärtheit und zu erstem Sex. Dann verschwindet dieser Magnus Otto. Er sagt, auf eine Fahrradtour, die dann wohl doch eher in den Westen geht, und kurz darauf löst die Wende die Welt, in der sie sich begegnet sind, auf.
Männer missachten Grenzen
Bis sie ihn wieder trifft, hat Muna studiert, und es gibt eine Reihe weiterer Männer, die unversehens ihre Grenzen missachten. Ein Englischdozent in Berlin überrumpelt sie. Der Vater der Kinder, die sie in London babysittet, ist seiner Familie gegenüber kalt, weshalb sie ihn ausgerechnet zu begehren beginnt. Ein verkrachter Schriftsteller in Wien vergewaltigt sie beinahe.
Der unschlagbare Vorteil des Romans ist, diese Reihe nicht kommentieren zu müssen: Zieht Muna kalte Egomanen an, aus Schwäche aggressiv gewordene Männer? Löst die ihr eigene Mischung aus Liebesbedürftigkeit und Abwesenheit (sie wartet immer noch täglich auf Magnus) den Impuls aus, sich ihrer zu bemächtigen? Sucht sie, weil sie es von zu Hause als Liebe kennt, das Unheil? Da trifft sie Magnus wieder.
Und auch hier gibt es ein paar Fragen, die man besser nicht eindeutig beantwortet: Was macht sie da eigentlich, indem sie jahrelang Briefe an einen schreibt, den sie kaum kennt, der offenbar nicht gekannt werden will, als wäre er ihr engster Vertrauter? Warum gibt sie mehrmals fast oder ganz ihr Leben auf, um ihm hinterherzuziehen, und hält sich doch auch an seinen Wunsch nach Abstand?
Nebenbei arbeitet sie für feministische Forschungsprojekte und Verlage, ihr Dissertationsthema heisst: «Tagebuch und Autobiografie: Weiblichkeitskonstruktionen und Erinnerungskultur». Sein Habil-Projekt: «Männlichkeitskonstruktionen bei Hans Henny Jahnn». Der Spott über das akademische Milieu ist milde in diesem Roman, der Ernst des Scherzes besteht darin, dass Wissen und fatales Begehren völlig nebeneinanderstehen können. Es hat umso mehr tragische Züge, wie Muna die Laufbahn, die man ihr nahelegt, in Hingebung an Magnus versenkt. Und Freundschaften gleich mit.
An der Gewaltspirale, in die sich das zuerst noch als existenzialistische Distanziertheit missverständliche Verhalten dieses Mannes hineindreht, gibt es nichts zu deuteln. Muna überredet Magnus, ihr seine Fotos von einer gemeinsamen Reise zu zeigen: «Es sind nie Menschen drauf.» «Ich fotografiere keine Menschen. Ich beherrsche es nicht, und ich kann schlechte Bilder nicht leiden.»
Noch eine Abwehr ihrer überschwänglichen Zugewandtheit, nur einen Tick zu hart. Dann gehen sie zusammen zu einem Empfang, sie fühlt sich wohl, er: «Man hätte denken können, du seist die Hauptperson.» Ein Abend mit ihren Freunden, sie flüstert ihm eine Indiskretion ins Ohr, er: «Und was soll das jetzt?», wirft ein Weinglas um und verlässt wortlos das Lokal. Droht überhaupt permanent zu verschwinden.
Sie versucht ein ums andere Mal, seine «Regeln» zu befolgen, ihn und sich vor den irritierten Blicken Dritter zu isolieren. Man könnte das nun alles als Studie zur alarmierten Frage der Beziehungsberatung interpretieren: Warum verlassen Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht? Aber die eigentliche Sensation dieses Romans ist subtiler, denn in ihrer Wiedererkennbarkeit ist Muna eine Ikone – diese spezielle Kombination aus leise egoistisch gepflegten Illusionen und umso aufopferungsvollerer Hingabe an das Liebesgegenüber, sein Begehren, seine brutale Abgrenzung, die Realitätsverweigerung und Tapferkeit, mit der sie die Hoffnung auf eine ganz einzigartige Liebe aufrechterhält. So wiedererkennbar, dass es geradezu unheimlich ist.
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