Frankreichs Ausbrecherkönig – Der Coup mit dem Helikopter
Unter dem Applaus der Mithäftlinge war Rédoine Faïd 2018 ein spektakulärer Gefängnisausbruch gelungen. Jetzt wird er dafür mit 14 weiteren Jahren Haft bestraft.
Für den Piloten war es ein Flug wider Willen: Diese Alouette II holte Rédoine Faïd aus dem Gefängnis von Réau
Foto: Ian Langsdon (EPA, Keystone)
Es gibt Verbrechen, denen wohnt eine verquere Faszination inne, als wehten Plot und Protagonisten direkt herüber aus einem dieser Ganovenfilme. Im Pariser Assisenhof, einem Geschworenengericht, wurde ein solches Verbrechen verhandelt, sieben Wochen lang, und die Besucherränge waren meistens voll.
In der ersten Reihe sassen jeweils Verehrerinnen des Hauptangeklagten, des sogenannten Ausbrecherkönigs, eine Zeit lang galt der sogar als Frankreichs Staatsfeind Nummer 1. Rédoine Faïd, 51 Jahre alt, flirtete mit dem Publikum, zwinkerte auch mal der Richterin zu, es war alles sehr theatralisch. Der Gerichtsreporter von «Le Parisien» schrieb, wenn Faïd hinter dem Glas seiner Hochsicherheitsbox die Augenbrauen hochzog, habe man das auch ganz hinten im Saal gesehen, dafür sorgte er schon. Einmal zitierte Faïd den Philosophen Spinoza, belesen ist er eben auch. Zu seinem ersten Auftritt im Gericht, der vier Stunden dauerte, kamen hundert Journalisten.
«Ich habe Leben kaputtgemacht»: Rédoine Faïd (51) dürfte den Rest seines eigenen Lebens im Gefängnis verbringen.
Zeichnung: Benoît Peyrucq (AFP)
Nun, die Geschworenen haben diese vermeintliche Romantik auf realitätsnähere Kategorien heruntergebrochen und den geständigen Rédoine Faïd zu 14 Jahren Haft verurteilt, für seine jüngste und vielleicht spektakulärste Tat vor etwas mehr als fünf Jahren.
Kein Schuss fiel, kein Blut floss
Am 1. Juli 2018 war er mit der Hilfe von elf Komplizen, unter ihnen zwei seiner Brüder und drei Neffen, aus dem Gefängnis von Réau bei Paris ausgebrochen. Auch dabei: ein Helikopter. Die Bande buchte einen Helikopterflug bei einem Privatpiloten eines nahen Flugfeldes. Zum Termin kamen sie zu dritt, bewaffnet.
Sie zwangen den Piloten zu einem Flug wider Willen. Er sollte seine Maschine im Innenhof der Haftanstalt landen. Zehn Minuten, dann hob die Maschine wieder ab unter dem Applaus beistehender Häftlinge, und Faïd sass mit an Bord: Seine Befreier hatten fünf Türen aufgesägt, bis sie bei ihm waren. Kein Schuss fiel bei der Operation, kein Tropfen Blut floss. Der Coup war ziemlich perfekt geplant.
Es gab danach Diskussionen in Frankreich, ob die Gefängnisse im Land überhaupt sicher genug seien. Doch sie legten sich bald: Immerhin war der Ausbruch das Werk des Besten gewesen, des Königs der Disziplin, und das war ja nicht sein erstes Mal gewesen. Drei Monate brauchte die Polizei, bis sie Faïd fand, nicht weit von Paris entfernt. Zuweilen hatte er sich in eine Burka gehüllt. Die Gefahr, dass man ihn erkennen würde, war gross.
«Ich stehle mehr fürs Adrenalin als fürs Geld»
Es gab eine Zeit, da war Faïd oft im Fernsehen, er baute selbst am Kult um seine Figur. In seinen Memoiren mit dem Titel «Braqueur» (Räuber) aus dem Jahr 2010 erzählte er seine Lebensgeschichte als eines von zehn Kindern von algerischen Eltern, die nach Creil gezogen waren, im Norden Frankreichs. Mit sechs hat er zum ersten Mal im grossen Stil gestohlen: einen Supermarktwagen voll mit Süssigkeiten und Spielzeugen.
Mit 18 überfiel er seine erste Bank, dann immer öfter auch Geldtransporter. «Ich stehle mehr fürs Adrenalin als fürs Geld», sagte er einmal. Er habe sich immer von den grossen Filmen inspirieren lassen, von «Heat» zum Beispiel, aus dem Jahr 1995, mit Robert De Niro in der Hauptrolle.
Nach einem Überfall, an dem er beteiligt gewesen sein soll, gab es einen Schusswechsel, eine 26-jährige Polizistin starb. Faïd beteuerte immer seine Unschuld. «Ich habe kein Blut an den Händen», sagte er nun auch wieder im Prozess. Aber klar, Gewalt sei auch beim Gefängnisausbruch dabei gewesen. Dafür entschuldigte er sich: beim Piloten, den die Bande bedroht, geschlagen und traumatisiert hat; bei seinen Brüdern, die er in diese Geschichte hineinzog. «Ich habe Leben kaputtgemacht», sagte er. Da das nicht die einzige Strafe ist, die er verbüssen muss, wird er den Rest seines eigenen Lebens im Gefängnis verbringen. Wahrscheinlich.
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