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Till Lindemann im Kreuzfeuer: Rammstein … ein Mensch brennt

Die Selbstmystifizierung ist Nukleus des Rammstein-Erfolgs. Provozieren, Tabus brechen, aber dazu schweigen - als Kunstfiguren sind Till Lindemann und Co damit weit gekommen. Im Licht der aktuellen Vorwürfe funktioniert das aber nicht mehr. Statt sich zu erklären, nun die juristische Keule zu schwingen, ist schäbig.

Nicht zart besaitet zu sein, ist dem Image von Rammstein immanent. Als "Neue Deutsche Härte" bezeichnete man etwa das, was die Gruppe seit Mitte der 90er-Jahre musikalisch auf die Beine stellte. Unumstritten war das nicht, auch und gerade aufgrund der Assoziationen zum Nationalsozialismus, die von der Band hervorgerufen wurden.

Vergleiche zwischen dem Timbre von Sänger Till Lindemann und dem Rededuktus von Adolf Hitler waren gang und gäbe. Auf Rammstein-Konzerten wurden immer wieder auch Neonazis gesichtet. Rufe nach einem Auftrittsverbot für die Gruppe wurden laut.

Rammstein gossen dabei gerne noch Öl ins Zwielicht. Berühmt-berüchtigt ist ihr Musikvideo zur Depeche-Mode-Coverversion "Stripped", für das sie Sequenzen von NS-Regisseurin Leni Riefenstahl verwendeten und das MTV seinerzeit aus dem Programm nahm. Im Lied "Links 2 3 4" sahen hingegen viele eine Distanzierung von rechtem Gedankengut - auch wenn der zugehörige Clip, in dem ein Ameisenstaat wie bei einem Reichsparteitag in Reih und Glied aufmarschiert, dies abermals süffisant konterkarierte. Viele verwiesen zudem auf die Wurzeln der Band im Punk der DDR, um Spekulationen über eine rechte Gesinnung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Nazis? Natürlich nicht!

Wirklich eindeutig Stellung bezogen Rammstein hingegen schon damals nicht. Schließlich erwies sich die Selbstmystifizierung, in der möglichst gar nichts erklärt wird und die Dinge im Unklaren bleiben, als absoluter Verkaufsschlager, auch und erst recht außerhalb Deutschlands, wo die Befindlichkeiten weniger historisch beladen sind. Provozieren, Tabus brechen, aber dazu schweigen - das sind Grundzutaten der Erfolgsrezeptur von Rammstein, mit der es die Band bis ganz nach oben geschafft hat. Und mit ihrem exzeptionellen Sound, versteht sich.

Das gilt bis heute, wenn sich die Bandmitglieder etwa im Video zum 2019 veröffentlichten Song "Deutschland" in der Montur von KZ-Häftlingen zeigen. Von den zahlreichen sexuellen Grenzüberschreitungen, die im Lauf der Jahre in Wort, Bild und Show mehr und mehr hinzugekommen sind, ganz zu schweigen. Von "Bück dich" bis "Pussy", von Lindemanns Pornofilmen bis zur "Peniskanone" auf ihren Konzerten - dass man es weit bringen kann damit, Sex und Gewalt zur Kunstform zu stilisieren, haben Rammstein förmlich inhaliert.

Es hat ja auch funktioniert. Dass es sich bei ihnen ernsthaft um eine Nazi-Band handeln würde, glaubte alsbald niemand mehr. Das "Lyrische Ich" attestierte man Lindemann schließlich auch, wenn er in Gedichten Vergewaltigungsfantasien ausbreitete, vor laufender Kamera Hate-Sex praktizierte oder eben scheinbar ironisch auf einer albernen Peniskanone dahergeritten kam. Das kam nicht nur beim tumben Metal-Proll mit zwölf Bieren im Schädel gut an, sondern durchaus auch beim Feuilleton und einem intellektuellen Publikum, das auch nicht zum Lachen in den Keller geht, wenn in "Pulp Fiction" das Gehirn eines Erschossenen durch die Gegend spritzt.

Kunstfigur Lindemann?

Alles von der Kunstfreiheit gedeckt. So weit, so gut, solange es eben um die Kunst geht. Doch schon bei Lindemanns Pornofilmen konnte man sich fragen, ob er hier nicht die Rolle der Kunstfigur längst verlassen hat. Im Lichte der nun abseits der Bühne gegen ihn erhobenen Vorwürfe wird er aber ganz sicher nicht mehr von ihr gedeckt.

Die ersten Antworten Rammsteins auf diese Situation wirkten hilflos. Die dürren Statements, in denen dementiert wurde, dass sich das, "was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat", und auf das Recht gepocht wurde, "nicht vorverurteilt zu werden", waren unbefriedigend. Schließlich trugen sie zur Aufklärung der Vorwürfe kein bisschen bei. Mochte man da noch der Band die Überforderung mit der Lawine, die auf einmal über sie hereinbrach, zugutehalten, gilt das für den nun von Lindemann gewählten Schritt nicht mehr.

Mit der Kanzlei Schertz Bergmann hat er Anwälte beauftragt, die spezialisiert darauf sind, Prominenten in Auseinandersetzungen mit der Presse beizustehen. Eher ungewöhnlich ist indes, dass eine Kanzlei dies nicht nur in einem diskreten Schreiben an die Medien bekannt gibt, sondern per Pressemitteilung in die Welt bläst. Die Anwälte kündigten dabei nicht nur an, gegen Medien, die ihrer Ansicht nach gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstoßen hätten, vorzugehen, sondern auch gegen Frauen, die öffentlich Vorwürfe gegen Lindemann erhoben haben.

"Ausnahmslos unwahr"

"Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr", könnte man aus der Mitteilung herauslesen, alles, was dem Rammstein-Sänger an fragwürdigem Verhalten inzwischen angelastet wird, sei gelogen. Die Aussage bezieht sich aber auf den Satz davor und damit lediglich auf Behauptungen, "Frauen seien bei Konzerten von 'Rammstein' mithilfe von K.O.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können". Mit anderen Worten: Es geht vor allem darum, strafrechtlich relevante Anschuldigungen vom Tisch zu räumen.

Man darf gespannt sein, wie die Anwälte den Konsum von Alkohol auf Aftershow-Partys oder die Möglichkeit, dort von wem auch immer K.O.-Tropfen (und Drogen nicht zu vergessen) untergejubelt zu bekommen, widerlegen wollen. Das eigentlich Schäbige jedoch ist, dass Lindemann nun Star-Anwälte auf Frauen ansetzt, die - wie Rammstein in ihrem zweiten Schreiben selbst betont hatten - ebenfalls ein Recht auf ihre Sicht der Dinge haben. Dass viele Frauen erklären, sie trauten sich gar nicht, ihnen womöglich widerfahrenes Unrecht in die Öffentlichkeit zu tragen, macht ihre Sorgen nur umso verständlicher.

Sollte an all den Vorwürfen samt und sonders nichts dran sein, hätten Rammstein und Lindemann jede Möglichkeit der Welt, auf die Frauen zuzugehen, anstatt nun die juristische Keule zu schwingen. Sie könnten sich in den sozialen Netzwerken erklären, stammeln hier aber nur herum. Sie könnten einem beliebigen Medium ein Interview geben, haben nach Angaben diverser Presseorgane bisher aber alle Anfragen dazu unbeantwortet gelassen. Sie könnten eine Pressekonferenz geben - im Rahmen ihrer Shows in München ein infrastruktureller Klacks. Lindemann könnte auch einfach nur mal erklären, er sei sich keiner Schuld bewusst, entschuldige sich aber, falls er sich Frauen gegenüber unangemessen verhalten haben sollte. Aber er schweigt.

So gerieren sich Sänger und Band weiterhin wie in ihrer Selbstmystifizierung gefangen. Eine Selbstmystifizierung, die aber nicht mehr verfängt, wenn sie, wie jetzt, so knallhart auf die Wirklichkeit trifft. Angesichts des Kreuzfeuers, in dem Till Lindemann seit Tagen steht, konnte einem schon mal die Songzeile "Rammstein … ein Mensch brennt" in den Kopf kommen. Die aktuelle Tour soll noch bis Anfang August fortgesetzt werden. Spätestens wenn das Millionengeschäft gemacht ist, könnte es aber schon heißen: Rammstein … eine Band brennt.