Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Ökonom für radikale Reform: "Es besteht kein Bedarf, neue Wohnungen zu bauen"

In den Ballungsräumen fehlen Hunderttausende von Wohnungen. Der Ökonom Steffen Sebastian will dagegen ankämpfen und macht einen radikalen Vorschlag: Die bisher niedrigen Mieten in Altverträgen sollen steigen. Wie das den Mangel auf dem Wohnungsmarkt beenden soll, erklärt er im Interview mit ntv.de.

Steffen_Sebstian_030_HQ.jpg
Steffen_Sebstian_030_HQ.jpg

Steffen Sebastian ist Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung an der Universtität Regensburg sowie stellvertretender Geschäftsführer des Real Estate Business School Instituts für Immobilienwirtschaft.

ntv.de: Herr Sebastian, Sie haben mit Ihrem Vorschlag für Aufsehen gesorgt: Höhere Mieten sollen die Wohnungsknappheit lösen. Wie passt das zusammen?

Steffen Sebastian: Wenn ein Preis durch staatliche Eingriffe sehr niedrig ist, dann wird mehr verbraucht. Das gilt grundsätzlich für alle Güter. Und das ist auch genau das Phänomen, das wir auf dem Mietwohnungsmarkt beobachten. Ein Teil der Mietverträge wird durch die Mietrechtsregulierung subventioniert; die betroffenen Mieter "verbrauchen" mehr Wohnraum als andere. Das ist auch nichts Neues - dies wird von der Wissenschaft seit Jahrzehnten kritisiert. Dieses Phänomen beobachten wir international auf allen Wohnungsmärkten, bei denen der Staat die Mieten verbilligt. Man spricht hier auch von der "Hortung von Wohnraum".

Welche Subventionen meinen Sie genau?

Wenn man einem Eigentümer verbietet, ein Gut zu dem Preis zu verkaufen, den er dafür bekommen kann, dann ist das aus wirtschaftlicher Sicht nichts anderes als eine Steuer. Das heißt, jeder Vermieter, der seine bestehende Miete aufgrund einer gesetzlichen Regelung nicht auf den Preis anheben kann, den er bei einer Neuvermietung erzielen könnte, unterliegt faktisch einer Steuer. Und jeder Mieter, der dadurch eine verbilligte Miete erhält, erhält eine steuerfreie Subvention.

Warum ist es schlecht, wenn Menschen, die lange in ihrer Wohnung leben, weniger für ihren Wohnraum bezahlen?

Dieses System sorgt nicht für bezahlbaren Wohnraum. Die steuerfreie Subvention wird willkürlich an diejenigen verteilt, die schon lange in der Wohnung leben. Es wird nicht darauf geachtet, ob sie reich oder arm sind, sondern es wird gleichmäßig an diejenigen verteilt, die das Glück haben, alte Mietverträge zu haben. Und so ist es auch bei den Vermietern: Sie müssen diese Steuer nicht zahlen, weil sie besonders viel verdienen, sondern weil sie das Pech haben, einen alten Mietvertrag zu haben.

Sie sagen, Mieter in bestehenden Wohnungen "horten Wohnraum". Warum ist das ein Problem, wenn Menschen viel Wohnraum beanspruchen?

Es wäre kein Problem, wenn wir genug Wohnraum hätten und wenn das Ganze nicht so teuer wäre. Aber beides ist nicht der Fall. Wohnraum ist ein knappes Gut, sowohl ökologisch als auch ökonomisch. Wohnraum zu schaffen ist sehr teuer und in mehrfacher Hinsicht sehr umweltschädlich. Nicht nur wegen der CO₂-Emissionen, sondern zum Beispiel auch aufgrund der Bodenversiegelung.

Die Bundesregierung will 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen, um die Wohnungskrise zu lösen. Brauchen wir die also nicht?

Ausgehend von der durchschnittlichen Wohnfläche, die uns zur Verfügung steht, besteht eigentlich gar kein Bedarf, neue Wohnungen zu bauen - auch nicht in den Großstädten. Wir haben kein Angebotsproblem auf dem Wohnungsmarkt, sondern ein Verteilungsproblem.

Wie kam es zu diesem Verteilungsproblem?

Die Knappheit, die wir auf dem Wohnungsmarkt sehen, ist hausgemacht. Ein Teil des Wohnungsmangels wurde durch die Wohnungspolitik überhaupt erst geschaffen. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass der Wohnungsmarkt reguliert werden muss. Der Markt allein reguliert sehr wenig. Aber die aktuelle Fehlregulierung schadet mehr als dass sie nutzt.

Welche Fehlregulierung?

Wir haben uns in der Vergangenheit dafür entschieden, nicht die Mieter mit niedrigem Einkommen, sondern die Mieter mit niedrigen Mieten zu schützen.

Das wollen Sie mit ihrem Vorschlag ändern. Wie?

Wir haben derzeit ein System von Steuern und Subventionen für Millionen von Mietverträgen. Aber sie sind versteckt. Wir möchten dies durch ein System ersetzen, das transparent ist und an das Einkommen gekoppelt ist. Nicht bedürftige Menschen brauchen keine Subventionen. Subventionen brauchen Menschen mit geringem Einkommen.

Können Sie Ihren Vorschlag an einem Beispiel erläutern?

Nehmen wir eine Person, die auf 50 Quadratmetern lebt. Sie zahlt derzeit 500 Euro und ihr Einkommen ist sehr gering. Aber eigentlich ist die Wohnung 1000 Euro wert. Nach unserem Reformvorschlag würde sie diesen Preis zahlen, aber 500 Euro Wohngeld bekommen. Am Ende zahlt sie das Gleiche, aber jetzt ist transparent, welchen Zuschuss sie bekommt. Der Vermieter, der jetzt mehr Miete einnimmt, muss dann im Umkehrschluss auch mehr Steuern zahlen.

Aber das löst nicht das Problem des mangelnden Wohnraums.

Nehmen wir erneut das Beispiel einer Person, die nun aber auf 100 Quadratmetern lebt und dafür 500 Euro zahlt. Eigentlich ist die Wohnung aber 1500 Euro wert. Selbst, wenn sie sich dies von ihrem Einkommen leisten kann, wird sie es sich genau überlegen, ob eine kleinere Wohnung nicht ausreichend ist, damit sie mehr Geld für andere Ausgaben zur Verfügung hat.

Und wenn sie sich die Wohnung dann nicht mehr leisten kann?

Grundsätzlich wird man nach einer angemessenen Frist wie bei allen Förderungsempfängern auch hier verlangen, dass sie in eine kleinere Wohnung umzieht. Bei Härtefällen, z. B. sehr alten Menschen, ist auch ausnahmsweise eine höhere Förderung denkbar, sodass die Wohnung beibehalten werden kann. Vergleichbare Härtefallregelungen kennt das Sozialrecht schon heute. Im Wohngeldgesetz wäre dies aber eine Neuerung.

Und wie soll das erhöhte Wohngeld finanziert werden?

Statt der bisherigen ungerechten Besteuerung soll für Mieteinnahmen ein Vermieter-Soli als Zuschlag auf die Einkommensteuer erhoben werden. Damit wird, wie aktuell auch, vom Vermieter zum Mieter umverteilt, aber gerecht entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Besteht in Ihrem Vorschlag noch Bedarf an Mieterschutz?

Auf jeden Fall. Das deutsche Mietrecht ist im Grunde gar nicht so falsch, wie es ist. Im Gegenteil, es ist im internationalen Vergleich sogar sehr gut. Wir hatten hier früher einen guten Kompromiss gefunden. Aber es geht seit einigen Jahren in die falsche Richtung. Wir haben 2001 die Kappungsgrenze eingeführt …

... die regelt, um wie viel der Vermieter die Miete in einem laufenden Mietverhältnis erhöhen darf. Im Bereich des angespannten Wohnungsmarktes liegt diese derzeit bei 15 Prozent in drei Jahren ...

… das war ein großer Fehler, denn das schützt nur Mieter mit niedrigen Mieten. Warum sollten aber ausgerechnet diejenigen besonders geschützt werden, die niedrige Kosten haben? Hilfe brauchen doch vor allem diejenigen, die hohe Kosten haben! Und noch genauer: Eigentlich müssen diejenigen unterstützt werden, die ein geringes Einkommen haben.

Sie sind also dagegen, dass die Koalition die Kappungsgrenze auf 11 Prozent senken möchte?

Das ist genau die falsche Richtung. Ich sage es noch einmal: Wir müssen nicht Mieter mit niedrigen Mieten schützen, sondern Mieter mit niedrigen Einkommen.

Mit Steffen Sebastian sprach Clara Suchy