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Nato-Beitritt der Ukraine: Das würde es für Russland bedeuten

Im Juli entscheiden die Nato-Staaten über ihr künftiges Verhältnis zur Ukraine. Warum das Land unbedingt Mitglied des Bündnisses werden muss, schreibt der Außenexperte Michael Roth (SPD) im Gastbeitrag.

Russlands verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte kein baldiges Ende finden. Putin sitzt weiterhin fest im Sattel. Ein wachsendes Unbehagen in der russischen Gesellschaft über den verbrecherischen Krieg gibt es nicht. Russland verfügt nach wie vor über Material und Menschen, die der Kremlherrscher rücksichtslos verheizt.

Trotzdem müssen wir bereits jetzt die Weichen für die Nachkriegszeit stellen. Russland darf nie wieder die Sicherheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine gefährden oder infrage stellen. Dies kann nur mit einem ukrainischen Nato-Beitritt gewährleistet werden. Von dem nächsten Nato-Gipfel in Vilnius am 11./12. Juli 2023 muss deshalb ein klares Signal ausgehen, wie ein realistischer Pfad der Ukraine zu einer Nato-Mitgliedschaft aussehen kann.

Michael Roth (SPD) (Quelle: Martin Schutt/dpa-bilder)

Der Außenexperte

Michael Roth ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Präsidiumsmitglied der SPD. Im April 2022 handelte er sich auch aus der eigenen Partei Kritik ein, weil er gemeinsam mit der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter in die Ukraine reiste.

Zurzeit liegen unterschiedliche Modelle auf dem Tisch, wie die Sicherheit und die territoriale Integrität der Ukraine in der Nachkriegszeit garantiert werden können. Zum einen gibt es die Idee, von den Vereinten Nationen mandatierte internationale Friedenstruppen in der Ukraine zu stationieren, um einen möglichen Waffenstillstand zu sichern und die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten. Aus Sicht der Befürworterinnen und Befürworter wäre dieses Modell für Russland eher tragbar als eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft. Allerdings hat die Rücksichtnahme auf Russlands Sicherheitsinteressen nie zu mehr Sicherheit und Frieden in Europa geführt und würde der Ukraine abermals ihre freie Bündniswahl und Souveränität absprechen.

Eine weitere Option sind Sicherheitszusagen nach dem Vorbild der US-amerikanischen "Commitments" für Israel. Frankreichs Präsident Macron forderte kürzlich in Moldau Sicherheitsgarantien, die zwischen einer Nato-Mitgliedschaft und dem "Modell Israel" liegen. Die US-amerikanischen Sicherheitszusagen machen Israel zum größten Empfänger von Militärhilfe Washingtons und garantieren Israels stets militärische Überlegenheit gegenüber seinen Feinden.

Macrons Vorschlag geht aber noch weiter. Denn mit Sicherheitsgarantien würden sich Staaten dazu verpflichten, im Falle eines erneuten russischen Angriffs der Ukraine auch mit eigenen Soldatinnen und Soldaten beizustehen. Ein großer Vorteil dieser Ansätze ist, dass die Ukraine bereits vor Ende des Krieges diese Zusagen erhalten könnte. Jedoch frage ich mich, welche Länder ernsthaft im Falle einer abermaligen russischen Aggression bereit wären, die Ukraine gemeinsam mit wenigen Alliierten "on the ground" zu verteidigen? Fühlte sich Russland nicht ermutigt, eine kleine Koalition williger Staaten herauszufordern – hybrid, militärisch, propagandistisch?

Merkel wollte Putin nicht provozieren

Glaubhafte Garantien oder Zusagen können wichtige Zwischenetappen auf dem Pfad zu einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft sein. Aber sie können diese nicht ersetzen, insbesondere nicht vor dem Hintergrund schmerzhafter Erfahrungen der Ukraine in ihrer jüngsten Geschichte: Bereits 1994 verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien im Budapester Memorandum, als Gegenleistung für die Abgabe ihrer Nuklearwaffen die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren. Am Ende verhinderten diese Verpflichtungen weder die Annexion der Krim noch die russische Besatzung des Donbass oder den brutalen russischen Angriffskrieg im vergangenen Jahr.

Allzu lange haben wir die Souveränität der Staaten des östlichen Europas, allen voran der Ukraine und Georgiens, relativiert, um die angeblich berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands zu wahren. Bereits 2008 haben die Ukraine und Georgien ihren Wunsch geäußert, der Nato beizutreten, weil sie wussten, dass sie nur innerhalb der Allianz in Sicherheit und Frieden leben können. Damals stellten sich vor allem Deutschland und Frankreich gegen einen raschen Nato-Beitritt der beiden Staaten, um Russland nicht zu provozieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy begründeten dies damals auch mit der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz in beiden Ländern für eine Nato-Mitgliedschaft. Heute sind die Zustimmungswerte in der Ukraine und Georgien jedoch beeindruckend groß.

Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Geholfen hat die abermalige Rücksichtnahme auf vermeintliche russische Sicherheitsinteressen trotzdem nicht: nur wenige Monate später marschierte Russland in Georgien ein, und wenige Jahre später annektierte Russland die Krim und besetzte den Donbass. Wir sollten daher den Wunsch der souveränen und freien Ukraine endlich ernst nehmen und den Weg zur Nato-Mitgliedschaft freimachen.