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Größte ungenutzte Energiequelle: "Abwärme kann ganze Städte mit Strom versorgen"

Abwärme ist die größte ungenutzte Energieressource der Welt, sagen Firmen wie Orcan Energy. Doch selbst, wenn sie wollen, finden klassische Quellen wie Rechenzentren oftmals keine direkten Abnehmer. Andreas Sichert überrascht das nicht. Denn Abwärme wird meistens weit entfernt von Wohngebieten produziert, erklärt der Chef von Orcan Energy im "Klima-Labor" von ntv. Ein weiteres Problem: Das Abwärme-Angebot ist in Deutschland viel größer als der jährliche Wärmebedarf. Sichert plädiert deshalb für einen anderen Ansatz. Abwärme-Giganten wie Glashütten oder Zementwerke können aus ihrer Abwärme vor Ort günstig eigenen Strom herstellen und ihren Energiebedarf auf diese Weise um bis zu 25 Prozent senken. "Und weil der Strom genau dort erzeugt wird, wo man ihn benötigt, braucht man keine neuen Netze", sagt Sichert. "Da auch der CO2-Ausstoß reduziert wird, betreibt man profitablen Klimaschutz."

ntv.de: In Frankfurt heizen bald 1300 Haushalte mit der Abwärme eines Rechenzentrums. Die Betreiber würden gerne noch mehr Wärme abgeben, finden aber keine weiteren Abnehmer. Wie kann das sein, wenn gleichzeitig über Wärmewende und Heizungsgesetz gestritten wird und viele Menschen die teure Wärmpumpe fürchten?

Andreas Sichert: Das ist einfach erklärbar. Abwärme wird meistens dort produziert, wo es örtlich oder zeitlich keinen direkten Abnehmer gibt. Wenn wir vom Rechenzentrum weggehen und an Industriebetriebe wie Stahlwerke, Zementwerke oder Glashütten denken, …

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... betreibt in Rüdersdorf das größte Zementwerk Deutschlands. Derzeit wird es von Orcan Energy ausgerüstet, um aus der Abwärme künftig Strom zu erzeugen.

(Foto: imago images/Christian Kielmann)

… die alle Arbeitsprozesse haben, bei denen wahnsinnig viel Wärme erzeugt wird?

Absolut. Irgendein Werkstoff wird erzeugt oder geformt. Und die Energie, die man dazu braucht, wird nicht chemisch in diesem Werkstoff gebunden, sondern geht in den meisten Fällen in Form von Abwärme ungenutzt verloren. Eine Glasschmelzwanne wird mit Gas beheizt und läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche über 10 bis 14 Jahre. Wenn man den Ofen ausschalten und diese Glasschmelze hart werden würde, könnte man den Ofen wegwerfen.

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Andreas Sichert ist Mitgründer und CEO von Orcan Energy.

Der Ofen bleibt die ganze Zeit an?

Und produziert rund um die Uhr Abwärme. Nur stehen diese Werke selten in einem Wohngebiet. Aber selbst, wenn man Abnehmer hätte: Das Jahr hat 8760 Stunden. Wir brauchen in Deutschland aber nur 2500 bis 3500 Stunden Heizenergie. Selbst mit direkten Abnehmern würde also jedes Jahr mehr als 5000 Stunden Heizenergie aus Abwärme verschwendet.

Weil es die meiste Zeit warm genug ist?

Ja. Im Sommer müssen wir nicht heizen. In dieser Zeit habe ich also in einem Wohngebiet keine Verwendung für Abwärme. Und bei Zementwerken kommt hinzu: Jedes einzelne produziert 7000 bis 7500 Stunden Heizenergie im Jahr. Aber wann steht das Werk still und es werden Wartungsarbeiten durchgeführt?

An Weihnachten?

Was ist Abwärme?

Jedes Mal, wenn ein Motor läuft, erzeugt er Wärme. Selbiges gilt für Computer, aber auch Kühlschranke - und im größeren Maßstab ebenso für Supermärkte, Rechenzentren, Fabriken, Kläranlagen, U-Bahnhöfe und Geschäftsgebäude. Diese Abwärme kann vor Ort als Wärmelösung wiederverwendet werden. Überschüssige Wärme kann zudem in ein Fernwärmesystem eingespeist und an benachbarte Haushalte und Unternehmen weitergegeben werden. Mit Lösungen wie von Orcan Energy ist auch die lokale Stromerzeugung möglich. Das Potenzial ist riesig: Danfoss - ein dänisches Unternehmen für Kälte- und Wärmetechnik - kommt in einer neuen Untersuchung zu dem Schluss, dass Abwärme die größte ungenutzte Energiequelle der Welt ist. In der EU beträgt der Wärmeüberschuss demnach 2.860 TWh im Jahr und somit dem gesamten Energiebedarf der EU für Wärme und Warmwasser in Wohn- und Dienstleistungsgebäuden. Mit effizienter Nutzung könnten Orcan Energy zufolge jährlich 750 Mio. Tonnen CO2 vermieden werden.

Fast. Ein bisschen im Dezember, aber vor allem im Januar und im Februar, wenn es Frost auf der Baustelle gibt und man nicht arbeiten kann. Also immer dann, wenn ich Abwärme aus einem Zementwerk zum Heizen brauchen könnte, läuft diese Quelle nicht. Und selbst wenn Angebot und Nachfrage zusammenpassen, kann es sein, dass zwischen Anbieter und Abnehmer viele Kilometer liegen. Denn Wärmeleitungen unter Autobahnen zu graben, wäre sehr aufwendig. Wenn wir uns noch vom Festland lösen und an die Schifffahrt denken, wo Motoren Strom, Energie und Abwärme produzieren … eine flexible Fernwärmeleitung von Hamburg nach Singapur wird eher schwierig. Lange Rede, kurzer Sinn: Die direkte Nutzung von Abwärme ist super, in den meisten Fällen aber nicht möglich.

Trotzdem wollen Sie mit Ihrem Unternehmen Geld mit Abwärme verdienen. Welche Lösungen haben Sie denn für die genannten Probleme gefunden?

Abwärme findet sich in ganz vielen Prozessen der modernen Welt, man kann sie in den meisten Fällen aber nicht direkt zum Heizen verwenden. Deswegen wandeln wir Abwärme um. In etwas, das man immer nutzen kann: Strom. Denken wir noch mal an das Glaswerk oder Zementwerk. Die können mit Abwärme vor Ort eigenen Strom herstellen - ähnlich wie mit PV und Wind und total netzdienlich ohne zusätzliche Leitungen. Ich reduziere meinen Strombezug aus dem Netz und entlaste damit sogar noch Übertragungs- und Verteilnetze.

Und spare Geld.

Genau. Meine CO2-Emissionen werden auch reduziert. Das klappt im Zementwerk, im Stahlwerk, im Glaswerk. Und selbst, wenn ich den Strom nicht brauche: Wir haben Biogasanlagen ausgerüstet, die den Strom für jemand anderes ins Netz einspeisen. Denn alles, was produziert, hängt typischerweise schon am Stromnetz.

Könnte ein Rechenzentrum seine Abwärme im Winter zum Heizen bereitstellen, im Sommer aber daraus Strom gewinnen?

Das ist eine super Idee und könnte theoretisch funktionieren. Der einzige Haken ist, dass Abwärme in typischen Rechenzentren nur relativ niedrige Temperaturen erreicht, denn die werden mit Luft gekühlt. An der Lüftung, wo die warme Luft herausgeblasen wird, liegen sie nur bei ungefähr 40 Grad. Um überhaupt Strom zu gewinnen, braucht man 65 bis 70 Grad heiße Luft.

Die Abwärme müsste also heißer sein?

Wir bieten ja sozusagen kleine Dampfkraftwerke an, wie man sie früher in der Schule kennengelernt hat. Darin wird herkömmlicherweise Kohle, Öl, Gas oder auch nuklearer Treibstoff verbrannt und Wasser verdampft. Der Wasserdampf treibt bei hohen Temperaturen und unter hohem Druck eine Turbine an, die am Generator hängt und Strom produziert. In einem Kühlturm wird der Dampf wieder flüssig und der Kreislauf beginnt von neuem. Unsere Geräte machen nichts anderes. Wir verwenden aber kein Wasser, sondern ein organisches, ungiftiges Arbeitsmedium, das schon bei 17 Grad anfängt, zu verdampfen. Wir können also sehr niedrige Temperaturen nutzen, um Dampf zu erzeugen. Würden wir ein flüssiges Abwärme-Medium nutzen, könnten wir ab 80 Grad wirtschaftlich Strom erzeugen.

Und diese Temperaturen erreicht man in Rechenzentren nicht, in Industriebetrieben aber schon?

Die Industrie hat immer gedacht, dass alles über 300 Grad für eine große Dampfturbine genutzt werden kann. Wir haben die Groß-Kraftwerkstechnologie inzwischen so weit vereinfacht, dass man unsere Lösung als Produkt kaufen und auch bei niedrigeren Temperaturen wirtschaftlich einsetzen kann. Ähnlich wie eine Wärmepumpe. Man muss keinen Anlagenbauer mehr bemühen. Wir installieren Anlagen schlüsselfertig, sodass viele Anwender ihre Abwärme, die eh in normalen Prozessen kostenintensiv mitproduziert wird, nutzbar machen können.

Sie gehen also zu einem Zementwerk und bauen Ihre Maschine ein?

Genau. In Zementwerken gibt es zwei typische Abwärme-Quellen. In beiden kann man einen Wärmetauscher installieren, der den heißen Abgasen die Wärme entzieht und Wasser aufwärmt. Dieses heiße Wasser - das erreicht bei uns typischerweise Temperaturen von 150 Grad - geht dann in unsere Produkte. Die erzeugen daraus Strom.

Und den Strom kann das Zementwerk selbst benutzen?

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Ja. Werden beide Quellen genutzt, kann man den Strombedarf eines Zementwerks um ungefähr ein Viertel reduzieren - und zwar lukrativ. Unsere Lösung kann durchaus mit PV und Wind mithalten und hat den Vorteil, dass sie immer automatisch produziert, wenn das Werk läuft und der Strombedarf vorhanden ist. Und weil der Strom genau dort erzeugt wird, wo man ihn benötigt, braucht man keine neuen Netze. Da auch der CO2-Ausstoß reduziert wird, betreibt man profitablen Klimaschutz.

Und wie viel Strom könnte deutschlandweit eingespart werden, wenn alle Zementwerke und Co. ihre Abwärme nutzen?

Mit dem Strom, den wir aus der Abwärme aller deutschen Zementwerke erzeugen könnten, ließe sich eine Stadt wie Mannheim versorgen. Das ist schon substanziell. Und die Abwärme, die nicht genutzt wird, ist Energie, die einfach verloren geht. Sie wird jede Stunde einfach hinausgeblasen. Oder noch schlimmer: Sie wird wie in Zementwerken sogar mit zusätzlichem Stromverbrauch weg gekühlt.

Was bräuchte es politisch, um diesen Ausbau zügig voranzubringen? Würde eine Quote oder eine Pflicht helfen, dass Abwärme genutzt werden muss?

So etwas hat man im Biogasbereich eingeführt, aber es gab wie immer zwei Milliarden Schlupflöcher. Ich bezweifle, dass so etwas sinnvoll ist. Ich bin kein Freund von Verboten, sondern wünsche mir Vergünstigungen, wenn man seine eigenen Potenziale ausschöpft. Einen einfachen und pragmatischen Ansatz, wie den Inflation Reduction Act in den USA. Man erklärt, was man macht, und das wird gefördert und belohnt. Dann entstehen neue, moderne Dinge und das, was sich nicht mehr lohnt, wird automatisch nicht mehr gemacht.

Wir brauchen also finanzielle Anreize?

Das müssen nicht nur finanzielle sein. Hilfreich wären auch schon eindeutige Regularien zwischen Bund, Ländern und EU. Schauen Sie sich die EU-Taxonomie an: Nuklearstrom ist grün. Strom aus fossilem Erdgas ist grün. Wärme aus Abwärme ist grün. Strom aus Abwärme aber nicht. Dafür gab es damals schlicht keine Lobby.

Mit Andreas Sichert sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed