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Xherdan Shaqiri: «Ohne die Schweiz wäre diese Karriere schwierig geworden»

Swiss soccer player Xherdan Shaqiri, poses for the media, during a round table in Saillon, Switzerland, Thursday, September 7, 2023. Switzerland faces Kosovo and Andorra in the UEFA European qualifier ...

Fast immer ein Lächeln auf den Lippen: Xherdan Shaqiri.Bild: keystone

Interview

Kurz vor seinem 32. Geburtstag absolviert Xherdan Shaqiri erstmals ein Länderspiel mit der Schweiz im Kosovo. Ein Gespräch über seine zweite Heimat, Shaqiris Zukunft - und eine Begegnung mit Fans tief in der Nacht an der Tankstelle.

Etienne Wuillemin / ch media

Sie reisen am Freitag mit der Schweizer Nationalmannschaft für ein EM-Qualifikationsspiel in Ihre zweite Heimat, den Kosovo – was löst die Reise bei Ihnen aus?
Xherdan Shaqiri:
Es wird ein spezielles Spiel für mich, das ist klar. Ich bin im Kosovo geboren, dann als Einjähriger in die Schweiz gekommen. Ich habe noch immer sehr viele Familienangehörige im Kosovo, meine Eltern haben beide je neun Geschwister, Sie können sich etwa ausmalen, wie viele Cousinen und Cousins ans Spiel kommen werden (lacht). Ich freue mich sehr, dass sie mich live im Stadion sehen. Viele von ihnen können nicht einfach rasch durch Europa reisen für meine Spiele.

Wen werden Ihre Familienangehörigen unterstützen? Xherdan Shaqiri oder den Kosovo?
Das ist eine gute Frage (lacht.) Ich weiss es nicht! Sie sollen einfach das Spiel geniessen. Aber eigentlich hoffe ich schon, dass die Familie vorgeht …

Welche Verbindung haben Sie noch zum Kosovo?
Eine gute. Ich hatte in letzter Zeit kaum die Möglichkeit, ins Land zu reisen. Für dieses Jahr ist es aber geplant. Wenn die Saison zu Ende ist, nehme ich mir die Zeit. Schliesslich ist in diesem Winter auch keine WM.

Swiss soccer player Xherdan Shaqiri takes a picture with a fan as he arrives to the hotel prior to a public training, Monday, September 4, 2023 in Saillon, Switzerland. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)

Ankunft im Nati-Camp in Saillon am letzten Montag. Shaqiri ist stets gefragt.Bild: keystone

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und dem Kosovo ist freundschaftlich. Trotzdem: Rechnen Sie damit, am Samstag auch ausgepfiffen zu werden?
Ich erwarte schon, dass wir positiv empfangen werden. Aber: Man kann es nie allen Recht machen. Selbst wenn 95 Prozent der Menschen Freude an uns haben – es wird auch einige geben, die pfeifen. Das haben wir schon beim Spiel in Zürich gesehen.

Nun ist Kosovo-Schweiz ein EM-Qualifikationsspiel. Erwarten Sie mehr Spannungen als beim Freundschaftsspiel im März 2022?
Ich denke schon. Es geht um vieles, für den Kosovo auch. Ihr Start in diese EM-Qualifikation war nicht gut. Das sieht man auch an den Reaktionen der Fans, sie sind nicht zufrieden. Nun hat ein neuer Trainer übernommen (der Slowene Primoz Gliha, d.Red) und eine Reaktion wird gefordert. Ich denke, wir werden eine emotionsgeladene Partie sehen. Mannschaften aus dem Balkan ziehen daraus häufig ihre Stärken. Die Fans sind heissblütig und werden die Spieler mitziehen.

Waren Sie überrascht vom schlechten Start des Kosovo?
Ja, schon ein bisschen. Vor allem von den Resultaten zu Hause. Ich finde, die Qualität in der Mannschaft würde schon für höhere Ansprüche genügen. Das zeigt sich ja auch in der Unzufriedenheit der Fans. Ich bin aber zuversichtlich, dass bald wieder eine Euphorie entstehen kann.

Bevor der Kosovo 2016 von der Fifa als 210. Mitglied aufgenommen wurde und danach auch Qualifikationsspiele bestreiten durfte, hatten auch Sie Kontakt mit dem Verband. Die Kosovaren lockten Sie mit der Aussicht, Captain zu werden – wie haben Sie das in Erinnerung?
Ich kann mich noch gut erinnern an diese Zeit. Ich fand es schön und war happy, dass der Kosovo endlich auch Spiele austragen und ein Nationalteam aufbauen konnte. Und ja, ich muss nicht lügen, ich war auch in Gesprächen mit einigen Leuten, aber es war schnell alles klar: Ein Wechsel war nicht möglich. Aber ich war und bin ja zufrieden mit der Schweizer Nationalmannschaft.

Haben Sie sich einmal überlegt, wie Ihr Leben und Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn Ihre Familie nicht in die Schweiz gekommen wäre?
Ehrlich gesagt: Ja, das habe ich schon einige Male überlegt. Aber ich bin nie zu einer Antwort gekommen, was gewesen wäre. Das kann auch keiner wissen. Ich bin 1991 geboren, noch vor dem Krieg. Wir verliessen das Land, als ich einjährig war. Wenn wir geblieben wären … vermutlich wäre ich spätestens mit acht oder zehn Jahren doch geflüchtet, die Frage wäre: wohin? Ich weiss es nicht. Es wäre schwierig geworden, diese Karriere als Fussballer zu machen ohne die Schweiz.

Sie spielen nun seit anderthalb Jahre in der Major League Soccer in Amerika bei Chicago. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ich würde im Moment lieber Fragen zur Nationalmannschaft beantworten – ist das ok?

FILE - Chicago Fire's Xherdan Shaqiri celebrates his goal against the Vancouver Whitecaps during the first half of an MLS soccer match Saturday, July 23, 2022, in Vancouver, British Columbia. Chi ...

Erwartungen noch nicht erfüllt: Xherdan Shaqiri spielt seit 2022 für Chicago Fire. Die Playoff-Qualifikation droht auch in der zweiten Saison zu entgleiten.Bild: keystone

Selbstverständlich. Falls Sie am Samstag gegen den Kosovo ein Tor erzielen würden …
… ich werde alles dafür tun, dass mir das gelingt. Ich gehe professionell mit der Situation um. Ich gebe in jedem Spiel zu 100 Prozent mein Bestes. Aber klar ist auch: Wenn ich ein Tor schiesse, werde ich nicht gross jubeln, weil ich Respekt habe für das Land, in dem ich geboren bin. Ich lasse meine Mannschaftskollegen jubeln für mich.

Mittlerweile haben Sie 114 Länderspiele für die Schweiz absolviert. Rekordhalter Heinz Herrmann steht 118, Granit Xhaka bei 115 – was bedeuten Ihnen diese Zahlen?
Rekorde sind etwas schönes, aber nicht mein primäres Ziel. Ich will nicht als Rekordspieler in Erinnerung bleiben, sondern als ein spezieller Spieler. Es wäre schön, wenn die Leute mich später einmal mit verschiedenen schönen Momenten in Verbindung bringen, sei es in einzelnen Spielen oder an grossen Turnieren.

Was denken Sie, wie hat sich Ihr Standing in der Schweizer Bevölkerung über all die Jahre verändert?
Ich darf sagen: Ich habe nie eine schlechte Erfahrung gemacht. Immer wenn ich in der Schweiz bin, kommen die Leute ganz lieb auf mich zu und geben mir zu verstehen, dass sie mich mögen. Ich versuche immer, authentisch zu bleiben. Klar ist auch, dass es im Leben wie im Fussball immer mal wieder Höhen und Tiefen gibt. Aber ich hätte nie etwas gespürt in der Bevölkerung. Im Gegenteil. Es ist unglaublich, auch wenn ich mal um 4 Uhr morgens an einer Tankstelle bin, kommen Fans und wollen ein Selfie machen. Das sagt doch schon alles, wenn ich auch unter Alkoholeinfluss noch erkannt werde (lacht schallend.)

Wir nehmen an: Nicht Sie selbst stehen unter Alkoholeinfluss …
… richtig! Ab und zu brauchte es dann halt eben zwei oder drei Versuche, bis das Foto scharf wurde.

Switzerland's midfielder Granit Xhaka and Switzerland's midfielder Xherdan Shaqiri celebrate the victory and the qualification during the FIFA World Cup Qatar 2022 group G soccer match betwe ...

Der Jubel nach dem Sieg über Serbien an der WM 2022, der die Achtelfinal-Qualifikation bedeutete.Bild: keystone

Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen dereinst für spezielle Momente in Erinnerung bleiben. Welcher Traum bleibt mit der Nationalmannschaft? Ein Titel?
Wir haben uns jetzt regelmässig für grosse Turniere qualifiziert. Klar, dass ein Titel irgendwann für uns alle ein grosser Traum wäre. Aber man kann auch zu viel träumen. Wir wissen um die Qualitäten der Schweiz. Aber wir wissen vor allem auch, dass wir am Boden bleiben sollten. Für einen Exploit braucht es 25 Spieler auf Topform und gleichzeitig einiges an Glück.

Könnte die EM 2024 Ihr Abschiedsturnier für die Schweiz werden? Oder liebäugeln Sie auch noch mit der WM 2026 in Ihrer fussballerischen Heimat USA?
Ich lebe von Tag zu Tag im Moment. Ich schaue nicht gerne allzu weit voraus. Wir spielen jetzt am Samstag im Kosovo und versuchen uns zu qualifizieren für die EM 2024. Alles andere blende ich aus! Solange ich Spass habe und mich gut fühle, ist alles ok. Und ich weiss natürlich auch, dass man noch mehr machen muss, wenn man älter wird.

In dieser EM-Qualifikation warten auf die Schweiz ausschliesslich Pflichtaufgaben. Kann sich das Team trotzdem weiterentwickeln?
Ja, ich denke, es ist ein guter Test, um zu sehen, wie wir mit dem Druck umgehen. Wenn wir unentschieden spielen, ist das derzeit für uns wie eine Niederlage, so hat sich auch das 2:2 gegen Rumänien zuletzt angefühlt – und das ist auch gut so.

Ist so ein Erlebnis auch hilfreich, um nicht den Boden unter den Füssen zu verlieren?
Also ich wäre schon lieber mit zehn Siegen durchmarschiert … Aber vielleicht ist es ein Weckruf für alle. Dass wir merken, dass nicht alles perfekt läuft. Dass wir wieder über die volle Distanz konzentriert und dominant auftreten.

Sie persönlich nehmen aus diesem 2:2 gegen Rumänien vermutlich das Erlebnis des wunderbaren Assists per Aussenrist mit- wie haben Sie die Szene erlebt?
Yann Sommer hatte den Ball in den Händen, ich lief los Richtung Aussenlinie und plötzlich merke ich, dass der Ball schon bei mir ist, nach dem ersten Schock sehe ich, dass ich mit dem Ball laufen kann, weil keiner bei mir steht. Und dann habe ich gesehen, wie Zeki Amdouni rennt und rennt und dachte: ok, ich versuch’s einfach mal per Aussenrist. Es war ein sehr spezielles und schönes Tor. (aargauerzeitung.ch)