Topmodel Heidi Klum liebt Birkenstock so sehr, dass sie ihre eigenen Modelle designen muss.Bild: James Devaney/Getty
An der Wall Street sprinten die Investoren dem schnellen Geld hinterher. Dazu seien die kultigen Treter gar nicht gut geeignet, warnt der Aktienspezialist von Rothschild & Co. in Zürich.
Daniel Zulauf / ch media
Beat Keiser hat ein Flair für starke Marken und ganz besonders für solche im Bereich der Fussbekleidung. Für den Aktienspezialisten und Fondsmanager der Zürcher Bank Rothschild & Co. war der 400 Seiten starke Birkenstock-Emissionsprospekt darum so etwas wie Pflichtlektüre. Der Prospekt richtet sich an Kreise, die anlässlich der im Oktober am New York Stock Exchange geplanten Publikumsöffnung mit dem Gedanken spielen, Aktien der fast 250 Jahre alten Firma aus der Pfalz zu kaufen.
Beat Keiser ist Fondsmanager und Leiter des Aktiengeschäfts der Zürcher Bank Rothschild & Co. «Das reisserische Finanzvokabular der Investmentbanken» sieht er als Warnung.Bild: Marion Nitsch/Lunax
«Ich erwarte ein riesiges Interesse», sagt Keiser. Er prophezeit Birkenstock eine Marktkapitalisierung von bis zu zehn Milliarden Euro unmittelbar nach der Börseneinführung. Das wäre das Zweieinhalbfache der Bewertung, zu der die Nachfahren der Firmengründer vor zwei Jahren die Mehrheit ihrer Anteile an die franko-amerikanische Investmentfirma L Catterton veräussert hatten.
Keiser ist überzeugt: «Der Zeitpunkt für den Börsengang ist perfekt gewählt». Die Bequemsandale, die den Fuss in portugiesische Kork-Eiche bettet, ist im Kreis der globalen Eliten längst salonfähig geworden. Die Hollywoodprominenz trägt sie, die Modewelt liebt sie, Topmodel Heidi Klum designt sie und einem anonymen Liebhaber war ein ausgelatschtes Paar des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs mehr als 200'000 Dollar wert.
Gewinnmargen von mehr als 30 Prozent
Dem Boom zugrunde liegt eine immense Wellnesswelle, auf deren Krone Birkenstock und viele andere surfen. Aktienspezialist Keiser spricht vom «Casual Hype», dem weltweiten Trend zum lockeren und stets behaglichen Bekleidungsstil, dessen Ende nicht abzusehen ist. Birkenstock hätte keine zusätzlichen Geldmittel benötigt, um das weitere Wachstum der Firma zu finanzieren, glaubt er.
Rund 30 Millionen Sandalen pro Jahr gehen derzeit über die Ladentheken. Es könnten bis zu 50 Millionen sein, bis das Image von Birkenstock zu leiden beginnt, meint Keiser. Die starke Marke lässt Preise zu, die operative Gewinnmargen von über 30 Prozent einbringen.
Bernard Arnault ist mit einem geschätzten Vermögen von zirka 183 Milliarden Dollar der reichste Mann Europas.Bild: AP
Solche Renditen sind nicht einmal für den französischen Luxuskönig Bernard Arnault selbstverständlich. Der reichste Mann Europas hat Birkenstock quasi in den Klammergriff genommen. Nebst einem kleineren Anteil, den er den Erben 2021 direkt abkaufen konnte, ist er mit seiner LVMH über deren 40-Prozent-Anteil an L Catterton vor allem indirekt gross engagiert.
Grösseres Ladennetz
Birkenstock könnte das Wachstum problemlos ohne zusätzliche Geldmittel aus dem Börsengang finanzieren, sagt Keiser. Trotzdem ist der Schritt an die Wall Street beschlossene Sache. Das hat viel mit dem Finanzinvestor und Mehrheitseigentümer L Catterton zu tun. «Je schneller solche Investoren ihre Beteiligungen gewinnbringend weiterverkaufen können, desto höher ist ihre Rendite», erklärt Keiser.
Im Fall Birkenstock erwartet der Portfoliomanager, dass die Finanzinvestoren ihre Anfangsinvestitionen aus dem Jahr 2021 zu einem Satz von gegen 40 Prozent werden verzinsen können. Für diese «enorme Rendite» hätten die neuen Eigentümer durchaus eine Leistung erbracht: Birkenstock habe in Europa die Qualität der Distribution verbessert, das eigene Ladennetz erweitert, die Präsenz in den USA ausgebaut und durch Kollaborationen mit anderen starken Marken die Begierde (im Jargon ist von «Desirability» die Rede) des Publikums nach der Marke erhöht, rühmt Keiser.
Doch die krampfhafte Art, wie sich die Firma dem Investorenpublikum nun «sexy» zu präsentieren versuche, sei «traurig», findet der 45-jährige Finanzmarktkenner. «Der Emissionsprospekt ist voll von Schlagwörtern aus dem reisserischen Finanzvokabular des Investmentbankings.»
Hohe Loyalität der Stammkundschaft
Traurig sei dies vor allem deshalb, weil Birkenstock diesen Bluff gar nicht nötig habe. «Die Marke ist stark, die Loyalität der Stammkunden extrem hoch – Birkenstock könnte die lange Firmengeschichte in aller Ruhe weiterschreiben.» Stattdessen begibt man sich an die Wall Street. Ausgerechnet dorthin, wo die Investoren «besonders verrückt sind nach Quartalszahlen und kurzfristigem Newsfutter».
Birkenstock beansprucht für sich das Gründungsjahr 1777 und kommt ursprünglich aus Deutschland.Bild: EPA
Der Schatten von Wall Street habe sich bereits über Birkenstock gelegt, glaubt Keiser. Die 2017 von CEO Oliver Reichert eingeleitete Ausweitung des Sortiments auf geschlossene Schuhe, Schuhpflegeprodukte und sogar Betten möge dem momentanen Wunsch der Börse nach mehr Wachstum entsprechen. Doch daraus resultiere am Ende eine Verwässerung der Marke, mit selbstverstärkendem Effekt. Eine geringere Anziehungskraft der Marke drückt auf die Preise und auf die Margen und zwingt die Firma, das Gewinnniveau mit einem noch grösseren Ausstoss zu stützen.
«Rothschild investiert nur selten in IPOs», sagt Keiser (IPO steht für Initial Public Offering und meint die Publikumsöffnung einer Firma via Börsengang). Das seien leider zu oft Fundraising-Kampagnen für Altaktionäre und ein paar Grossinvestoren. Die Birkenstock-Aktien dürften einen guten Börsenstart hinlegen. Danach gäbe es aber kaum mehr Luft nach oben, prophezeit Keiser.