Während sich freischaffende Künstlerinnen und kleine Kulturbetriebe nur schwer über Wasser halten können, spülen die staatlichen Hilfsgelder manch stark subventionierter Institution zu viel Geld in die Kasse. Profitieren können sie davon aber nur bedingt.

Das Schauspielhaus Zürich spielt auch in Pandemie-Zeiten, aber nur noch für 50 Zuschauer. Im Dezember kommen Live-Streamings von ausgewählten Inszenierungen hinzu. Zudem soll die Pfauen-Bühne für freischaffende Künstler geöffnet werden.
Leere oder gelichtete Zuschauerränge, abgesagte oder stark eingeschränkte Aufführungen: Der wirtschaftliche Schaden der Corona-Krise ist im Kultursektor besonders gross. Theater und andere Kulturinstitutionen können deshalb nicht nur Kurzarbeit, sondern auch Ausfallentschädigungen beantragen.
Während viele Einrichtungen ohne diese Hilfen kaum überleben würden, ergibt sich für manche Häuser eine vollkommen andere Ausgangslage: Sie sind so stark subventioniert, dass sie trotz Pandemie mehr in der Kasse haben könnten als budgetiert – auch deshalb, weil sie wegen abgesagter Aufführungen Kosten einsparen.
Unverhoffte Überschüsse
Dass dieses paradoxe Szenario eintreten könnte, zeichnete sich schon während des Lockdowns ab. So stellte der Zürcher Stadtrat im April fest, dass der zusätzliche Erhalt von wirtschaftlichen Unterstützungsgeldern bei subventionierten Trägerschaften mit einem hohen Subventionsgrad dazu führen könnte, «dass der effektiv eintretende finanzielle Schaden überkompensiert wird und ein ‹unbeabsichtigter Gewinn› resultiert».
Inzwischen ist klar: Von den durch die Stadt Zürich subventionierten Häusern verzeichnet das Schauspielhaus einen solchen Überschuss, aber auch das Theater des Kantons Zürich: Es schloss die Saison 2019/20 trotz Pandemie positiv ab. Einen Einnahmenüberschuss dürfte auch das Opernhaus feststellen. Wie viele Institutionen effektiv betroffen sind, steht wohl erst im Frühling fest, wenn das Gros der Abschlüsse per Ende 2020 vorliegt.
Präzedenzfall im Subventionswesen
Fast noch interessanter als die überschüssigen Gelder selbst ist die Frage, was damit geschehen soll. Zu ihrer Beantwortung kann noch nicht einmal auf bewährte Lehre oder Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Die rechtlichen Fragen seien «neuartig und vielschichtig», heisst es in einem Stadtratsbeschluss.
Das kantonale Recht sieht eine Kürzung von Subventionen vor, wenn die Auflagen zur Leistungserbringung nicht mehr oder nicht vollständig erfüllt sind. Was passiert, wenn Einrichtungen schliessen oder Angebote wegen Epidemien, behördlicher Massnahmen oder höherer Gewalt eingestellt werden, ist in den Subventionsverträgen indes nicht geregelt. Der Zürcher Stadtrat beschloss deshalb, weiterhin Subventionen auszurichten.
Fest steht, dass subventionierte Kulturinstitutionen grundsätzlich keinen Gewinn erwirtschaften dürfen. Bloss: Müssen sie diesen nun zurückzahlen, und wenn ja, wem? Ob die Institutionen in diesem speziellen Fall zu viele Subventionen oder zu hohe Unterstützungsgelder erhalten haben, ist nämlich nicht klar.
Entrichtete zum Beispiel das Schauspielhaus einen allfälligen Überschuss an die Stadt Zürich als Subventionsgeberin, würde womöglich deren Gemeindekasse zulasten der Bundes- und Kantonskasse aufgebessert – was nicht Sinn und Zweck der Hilfsmassnahmen sein kann.
Rückstellung statt Rückerstattung
Mittlerweile haben Stadt und Kanton Zürich – genauer die beiden Kulturvorsteherinnen, Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp.) und Regierungsrätin Jacqueline Fehr (sp.) – eine Übereinkunft getroffen, wie die Kulturabteilung der Stadt Zürich und die kantonale Fachstelle Kultur auf Anfrage mitteilen: Die betreffenden Institutionen müssen die überschüssigen Einnahmen nicht zurückzahlen, dürfen sie aber auch nicht in den laufenden Betrieb einrechnen.
Vielmehr sollen sie diese ausschliesslich für den Zweck der Tilgung künftiger Einbussen aufgrund der Corona-Pandemie zurückstellen oder abgrenzen. So lange dürfen sie auch keine weiteren Unterstützungsgelder beantragen. Damit erübrigt sich die Frage nach der Rückerstattungsadresse vorerst, und überdies wird der Kanton entlastet, weil er weniger Gesuche prüfen muss.
So haben das Schauspielhaus Zürich, das Theater Kanton Zürich und das Opernhaus zwar Kurzarbeitsgelder erhalten, aber keine Ausfallentschädigungen beantragt. Aufgrund der Rückstellung für die Corona-Pandemie wird das Opernhaus im Abschluss 2019/20 auch keinen Gewinn, sondern sogar einen Verlust ausweisen, wie es auf Anfrage mitteilt.
Auch das Schauspielhaus, welches den vorläufig entstandenen Überschuss in der Jahresrechnung abgrenzt, könnte einen Verlust oder eine Null schreiben. Der Abschluss der Spielzeit 2019/20 sei gerade in Arbeit, teilt dessen kaufmännischer Direktor Peter Hüttenmoser auf Anfrage mit. Welche Situation eintrete, könne er noch nicht sagen.
Auch der Verwaltungsleiter des Theater Kanton Zürich, Manuel Gasser, relativiert die Überschüsse seiner Institution: Das Plus sei deshalb zustande gekommen, weil man während des Lockdowns zwei Monate Kurzarbeit beantragt und die Bilanz im Juli, kurz nach den ersten Lockerungen also, abgeschlossen habe. Parallel dazu zahlten die Geldgeber weiterhin, und man sparte aufgrund wegfallender Vorstellungen und einer Produktionsabsage Sachkosten.
Das Theater hat die Überschüsse als Corona-Pandemie-Reserve zweckgebunden in die kommenden Spielzeiten übergeführt. «Die effektiven Auswirkungen der Krise beginnen wir auch erst jetzt zu spüren», sagt Gasser. So zeichne sich ab, dass einzelne Vorstellungen nicht nur verschoben werden müssen, sondern ganz wegfallen. Entsprechend froh sei man um die Reserve, welche gewisse Ausfälle wiedergutmache.
Unterschiedlich lange Spiesse
Doch selbst wenn die Überschüsse nur vorübergehender Natur sind, ist die Ausgangslage der stark subventionierten Zürcher Kulturbetriebe doch ungleich komfortabler als diejenige derer, die gewissermassen am anderen Ende der staatlichen Nahrungskette stehen. Viele kleinere Einrichtungen können sich gerade noch so über Wasser halten oder kämpfen derzeit ums Überleben – obschon auch sie mitunter subventioniert werden und Unterstützungsgelder beantragen können.
Ihnen fehlen aber oft Drittmittel wie Sponsoringgelder oder Spenden, die bei manchen einen substanziellen Teil der Einnahmen ausmachen und nur durch Ausfallentschädigungen gedeckt werden, wenn sie plausibel, also für die Vorjahre, nachgewiesen werden können. Kurzarbeit zu beantragen, ist für sie nur begrenzt möglich, da die Betriebe weiterhin geöffnet bleiben und sie zumindest im administrativen Bereich wegen immer neuer Anpassungen im Spielplan mehr und nicht weniger Arbeit haben.
Ausserdem decken die Kurzarbeitsentschädigungen in der Regel nur 80 Prozent der versicherten Verdienste. Die Löhne wie etwa vom Zürcher Stadtrat vorgeschlagen entsprechend zu kürzen, kommt für viele nicht infrage, da sich diese bereits auf Minimalniveau bewegen. Ein Viertel der Antragsteller wartet zudem noch auf einen Bescheid zu den Ausfallentschädigungen, manche noch auf die Auszahlung.
Die Leiterin des Miller’s, Andrea Fischer Schulthess, bringt zum Ausdruck, was viele der kleineren Kulturbetriebe empfinden: «Ich finde es schön, dass es Häuser wie das Schauspielhaus gibt, die aufgrund ihrer Finanzlage künstlerisch ganz gross denken dürfen», sagt sie, «aber in der jetzigen Situation entsteht eine komplette Schieflage zwischen den einzelnen Institutionen.» Sie hoffe schon, dass man hier nochmals genauer hinschaue.
Darauf angesprochen, sagt der Stadtzürcher Kulturdirektor Peter Haerle: «Die Spielregeln für die verschiedenen Hilfsmassnahmen sind für alle die gleichen; sie sind transparent und allen bekannt.» Zentral sei, dass sie griffen und dazu dienten, Zürichs Kulturlandschaft über diese schwierige Zeit zu retten. «Die Hilfsmassnahmen sind aber nicht dazu da, allfällige – empfundene – Ungleichheiten auszugleichen», sagt er.
Ähnlich formuliert es die Leiterin der kantonalen Fachstelle Kultur, Madeleine Herzog. Das System der Ausfallentschädigungen funktioniere, und man habe einige Justierungen vorgenommen wie jene, dass Kulturvereine mit vielen ehrenamtlichen Mitgliedern keine Kurzarbeit beantragen müssten. «Aber natürlich wird das bestehende System gestützt, wonach die grösseren Häuser höhere Ausfallentschädigungen erhalten – es macht eben keine gerechtere Welt.»