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Wahlen in Italien: Wählt Italien heute die Rechten an die Macht?

Europa blickt wegen des erwarteten Rechtsrucks gespannt und sorgenvoll nach Rom. Noch bis 23.00 Uhr sind am Sonntag die Wahllokale in dem Mittelmeerland geöffnet. Am Mittag zeichnete sich eine geringe Wahlbeteiligung ab. Während die meisten Parteichefs schon am Vormittag wählten, verschob just Giorgia Meloni ihre Stimmabgabe spontan auf den Abend. Sie ist die Chefin der rechtsradikalen Partei Fratelli d’Italia, die stärkste Kraft werden dürfte.

Die Römerin sowie der von ihr angeführte Rechtsblock lag in den Umfragen deutlich vorne, die allerdings letztmals am 9. September veröffentlicht werden durften. Meloni könnte die erste Ministerpräsidentin Italiens werden.

Meloni ignoriert Social-Media-Vorgabe

«Lasst uns gemeinsam Geschichte schreiben», hatte Meloni am Morgen getwittert. Auch ihre Verbündeten setzten am Sonntag wie schon tags zuvor in den sozialen Netzwerken etliche Wahlbotschaften ab. Sie ignorierten damit eine Vorgabe, auf derartige Äusserungen am Vortag und am Tag der Wahl zu verzichten.

Bevor kurz nach 23.00 Uhr die ersten Prognosen und dann Hochrechnungen bekanntgegeben werden, teilte das Innenministerium eine vorläufige Wahlbeteiligung mit. Um 12.00 Uhr hatten 19,2 Prozent der Italiener ihre Stimme abgegeben, das waren etwas weniger als bei der Wahl 2018 (19,4). Damals hatte das Land am Ende mit knapp 73 Prozent die niedrigste Beteiligung an einer Parlamentswahl in der Nachkriegszeit registriert. Experten prognostizierten dieses Mal eine noch niedrigere Wahlbeteiligung von sogar unter 70 Prozent.

Giorgia Meloni scheint auf dem besten Weg, die erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung zu werden. In den zwei Wochen vor den heutigen Wahlen ist die Veröffentlichung von Umfragen in Italien verboten. Aber den letzten Daten zufolge lag das Rechtsbündnis aus Melonis ultrarechter Partei Fratelli d’Italia (FDI), der rechtsnationalen Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der Forza Italia (FI) des langjährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi klar vorne, bei Werten um rund 46 Prozent.

Die Rechten liegen vorne: Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Matteo Salvini (v.l.n.r.) an einer Veranstaltung in Rom. (Archivbild)

Die Rechten liegen vorne: Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Matteo Salvini (v.l.n.r.) an einer Veranstaltung in Rom. (Archivbild)

Foto: Keystone

Das Mitte-Links-Bündnis um die Partito Democratico (PD) um Ex-Regierungschef Enrico Letta lag demnach nur bei 28,5 Prozent. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung – bei der Parlamentswahl 2018 noch Wahlsiegerin mit über 30 Prozent – würden nur noch rund 13 Prozent wählen.

Bei solchen Werten hätten die Rechten, auch wegen des komplizierten Wahlrechts, wohl eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern, im Abgeordnetenhaus wie im Senat.

Linke setzt auf Verhinderung

Die Lage für die Mitte-Links-Parteien scheint so vertrackt, dass PD-Chef Letta Anfang September bereits an unentschlossene Wähler appellierte, mit einer Stimme für seine Partei doch wenigstens zu verhindern, dass die Rechten eine ausreichend grosse Mehrheit bekommen, um alleine die Verfassung ändern zu können.

Die Rechtskoalition hat im Wahlkampf enorm teure Rezepte präsentiert, um den Folgen von Energiekrise und Inflation beizukommen. Dazu gehören massive Steuersenkungen – ohne Erklärung, wie die finanziert werden sollen.

Ist Giorgia Meloni Frau genug?

Sollte die Postfaschistin Premier werden, wäre sie die erste Frau in diesem Amt in Italien. Nun tobt eine Debatte darüber, ob das ein Triumph für alle Italienerinnen wäre – oder gar nicht.

FDI-Chefin Meloni war ausserdem mit dem Versuch beschäftigt, ihre Partei im Inland wie international salonfähig zu machen. Das politische Erbe, auf dem die FDI 2012 gegründet wurde, ist das der in den 1990er Jahren aufgelösten postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI).

Gratwanderung bei EU und Ukraine-Krieg

Bei den Wahlen 2018 hatte die FDI nur knapp über vier Prozent der Stimmen geholt. Seither aber lief die Partei vor allem dank der charismatischen Meloni der Lega von Hardliner Salvini den Rang als stärkste rechte Kraft ab. Gelungen ist ihr das mit einem Balanceakt.

Zum einen steht Meloni immer noch zum Motto «Gott, Vaterland, Familie» aus der MSI-Zeit. Sie macht Stimmung gegen Migranten aus mehrheitlich muslimischen Ländern, gegen die «LGBT-Lobby», sie verspricht härteres Durchgreifen der Polizei. Andererseits erklärte Meloni, «Nostalgiker des Faschismus» hätten in ihrer Partei «keinen Platz».

Und obwohl sie das Verhältnis zwischen Rom und Brüssel neu verhandeln will, hat sie mehrfach versichert, dass es keinen harten Bruch gäbe, wenn sie die Regierung anführen würde.

Teil dieser Gratwanderung war auch Melonis eindeutige Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg. Doch bei diesem Thema zeigen sich in ihrem Rechtsbündnis schon vor der Wahl erhebliche Risse.

Denn während Melonis Partei in den vergangenen Monaten in der Opposition Waffenlieferungen an Kiew mitgetragen hat, hat Salvinis Lega seit Jahren immer wieder ihre Sympathie für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgedrückt – und seit Kriegsbeginn mehrfach die westlichen Sanktionen gegen Moskau angezweifelt.

Die wichtigsten Botschaften der Mitte-Links-Koalition um Enrico Letta hatten vor allem zwei Bestandteile: Drastische Warnungen vor einer rechten Regierung – und ein recht vages Versprechen, dort weiterzumachen, wo der im Juli gestürzte Ministerpräsident Mario Draghi aufgehört hat.

Die Meister der Selbstverhinderung

Das streitsüchtige progressive Lager verpasste es, geeint bei den italienischen Parlamentswahlen anzutreten. So kann die extreme Rechte eigentlich nur gewinnen.

Ob die Umfragen am Ende Recht behalten, wird auch an der Wahlbeteiligung liegen: Die ist in Italien traditionell vergleichsweise hoch, sank aber bei jeder Wahl seit 2001 immer weiter, auf nur noch knapp über 70 Prozent im Jahr 2018.

Ausserdem sind rund 20 Prozent der Wahlberechtigten den Befragungen zufolge noch unentschlossen. Politologin Nadia Urbinati sagte der Zeitung «Domani» daher mit Blick auf den 25. September: «Es gibt noch Raum für eine Überraschung.» (AFP)