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Revolutionärin in Libyen: Sie kämpft unbeirrt gegen die Männerherrschaft

Revolutionärin in LibyenSie kämpft unbeirrt gegen die Männerherrschaft

Amal Elhaj aus Tripolis sieht Libyen zwölf Jahre nach dem Sturz von Muammar Ghadhafi im Wandel. Wie die Frauenaktivistin eine Bewegung gründete und landesweit Frauen vernetzte.

Engagement für Gerechtigkeit: Amal Elhaj (56), gläubige Muslimin, stets Kopftuch tragend.

Engagement für Gerechtigkeit: Amal Elhaj (56), gläubige Muslimin, stets Kopftuch tragend.

Foto: PD

Das Leben von Amal Elhaj entschied sich an einem Sommernachmittag im Jahr 1984. Sie hatte gerade die Matura geschafft und bat ihre Eltern ums Ausrichten einer grossen Feier, so teuer wie jene ihrer Mitschüler. «Lerne für das viele Geld lieber die Welt kennen», riet ihr Vater. Die junge Frau folgte seinem Rat.

Innerhalb eines Monats bereiste sie sieben Länder. «Die kritischen Kommentare seiner Freunde, dass seine Tochter allein reisen durfte, liessen meinen Vater kalt», sagt sie heute. «Für mich hat diese Reise den Willen bestärkt, den ich seit früher Kindheit hatte: mich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen.»

«Ich benötige die Freiheit, dafür zu kämpfen, was uns Frauen auch nach dem Sturz von Ghadhafi verwehrt geblieben ist: ebenbürtige Staatsbürger zu sein.»

Amal Elhaj

Der Widerstand gegen die sozialen Normen der libyschen Gesellschaft ist ihr Lebensinhalt geworden. Elhajs Grossvater war Anführer von gleich zwei Stämmen, an der Grenze zu Tunesien. «Bei den vielen Besuchen, die mein Grossvater empfing, sah ich, wie sehr die Gesellschaft von Klassendenken geprägt war und dass uns Frauen viele Rechte verwehrt bleiben.»

Mit Unterstützung des Vaters zog sie allein nach Tripolis, wo sie auch heute mit 56 Jahren noch lebt, unverheiratet, eine gläubige Muslimin, stets Kopftuch tragend. «Ich benötige die Freiheit, dafür zu kämpfen, was uns Frauen auch zwölf Jahre nach dem Sturz von Muammar Ghadhafi verwehrt geblieben ist: ebenbürtige Staatsbürger zu sein.»

Revolution gegen Ghadhafi gehörte den Männern

Schon nach dem Sieg der Revolutionäre 2011 wurde klar, dass die Revolution den Männern gehörte. Abdul Jalil, der Chef des Übergangsrats, versprach in seiner ersten Rede, dass Männer nun wieder das Recht hätten, mit fünf Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Die geschockte Amal Elhaj gründete zusammen mit Freundinnen die «Bewegung libyscher Frauen».

In Workshops klärten sie über Frauenrechte und häusliche Gewalt auf. Libyerinnen aus dem ganzen Land vernetzten sich erstmals seit der Unabhängigkeit im Jahr 1951, um Führungspositionen in Gemeinden und Parteien zu besetzen. Doch während die meisten Libyer in ihr altes Leben zurückkehrten, hatten auf den Strassen islamistische Milizen das Sagen. Auf vier Jahrzehnte Ghadhafi folgte die nächste Diktatur.

Mittlerweile sind 17’500 Libyerinnen Teil der Gruppe, sie arbeiten an einem Gesetz für Frauenrechte.

Aktivistinnen wurden ermordet. «Ich erkannte, dass wir mit Seminaren nichts ausrichten können», sagt Elhaj. «Ich musste Teil der Staatsmacht werden.» Als 2012 der Premier Ali Seidan nach einer Entführung durch Milizen aufgab, fasste sie sich ein Herz und bewarb sich für das Amt. Aus ganz Libyen kam Zuspruch, doch im letzten Moment verschwand sie von der Kandidatenliste. «Kreise um den obersten Mufti forderten sogar, ich solle öffentlich zugeben, wie unangemessen es sei, sich als Frau für ein öffentliches Amt zu bewerben.»

Elhaj weigerte sich, aufzugeben, nach Morddrohungen floh sie nach Tunesien. Doch auch die dortigen Muslimbrüder hatten für selbstbewusste Frauen nicht viel übrig. Sie zog weiter, nach Kairo. «Dort erlebte ich dann, wie es ist, wenn überhaupt niemand mehr seine Meinung äussern darf.» Im September 2022, als die Autokraten der Region den Arabischen Frühling bereits zu Grabe getragen hatten, gründete die Professorin Fawzia al-Shareef in Benghazi den «Rat libyscher Frauen».

Neue Form bürgerschaftlichen Engagements

Amal Elhaj, gerade wieder zurück in der Heimat, schloss sich begeistert an. Nachdem ein Dutzend Aktivistinnen ihre Erfahrungen der vergangenen zwölf Jahre zusammenwarfen, ging alles ganz schnell. Mit einem Sitzstreik vor dem Parlament erzwang die Gruppe im vergangenen November den Status einer staatlich legitimierten, aber unabhängigen Institution.

Mittlerweile sind 17’500 Libyerinnen in 114 Gemeinden Teil der Gruppe, sie arbeiten an einem Gesetz für Frauenrechte und helfen bei der Organisation von Neuwahlen – eine ganz neue Form bürgerschaftlichen Engagements in der Region. «Weil wir konkrete soziale Arbeit in Gemeinden leisten, kommen die Machthaber an uns nicht mehr vorbei», sagt Elhaj. Der Wandel habe begonnen, «gerade erst».

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