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Nothilfe für Stromkonzerne: Ist der Rettungsschirm für die Strombranche zu klein?

Nothilfe für StromkonzerneIst der Rettungsschirm für die Strombranche zu klein?

Der Bundesrat will den Stromkonzernen im Notfall mit bis zu 10 Milliarden Franken helfen. Das sei zu wenig, sagt ein Professor der Universität St. Gallen – und tritt damit einen Streit los. Mittendrin: die Axpo.

Die Axpo steht im Fokus einer Analyse der Universität St. Gallen.

Die Axpo steht im Fokus einer Analyse der Universität St. Gallen.

Foto: Michael Buholzer (Keystone) 

10 Milliarden Franken: So viel Geld will der Bundesrat für systemkritische Stromkonzerne in Form von Notfallkrediten bereitstellen. Dieser Rettungsschirm soll sicherstellen, dass die Stromversorgung in der Schweiz auch dann funktioniert, wenn Alpiq, Axpo und BKW wegen weiterer starker Preisaufschläge im internationalen Stromhandel in Liquiditätsengpässe geraten sollten.

Seit Anfang 2021 haben sich Gas und Strom stark verteuert, unter anderem wegen des Ukraine-Kriegs. Entsprechend haben sich auch die finanziellen Sicherheiten erhöht, welche die Firmen im Stromhandel hinterlegen müssen.

«Allein für die Axpo schätzen wir, gestützt auf ihren Finanzbericht 2020/21, im Krisenfall einen Bedarf von 12 bis 18 Milliarden Franken.» 

Karl Frauendorfer, Professor an der Universität St. Gallen

Die bundesrätliche Vorlage hat in der Vernehmlassung Kritik hervorgerufen, etwa weil die Teilnahme am Rettungsschirm nicht freiwillig sein soll. Ein Punkt, der bislang wenig zu reden gegeben hat, ist die Höhe der Notfallkredite. Karl Frauendorfer, Professor an der Universität St. Gallen, hält die veranschlagten 10 Milliarden Franken für viel zu niedrig: «Allein für die Axpo schätzen wir, gestützt auf ihren Finanzbericht 2020/21, im Krisenfall einen Bedarf von 12 bis 18 Milliarden Franken.» 

Frauendorfer und sein Team haben das Geschäftsmodell der Axpo untersucht. Das Resultat: Die Axpo habe zwischen 2008 und 2021 mit spekulativen Handelsgeschäften Verluste in der Höhe von 8,5 Milliarden Franken eingefahren.

Dazu muss man wissen: Im Stromhandel unterscheidet man zwischen Handel mit eigenen Kraftwerkskapazitäten, Absicherungsgeschäften, Lieferverträgen sowie spekulativem Eigenhandel, der ohne Bezug zu bestimmten Ressourcen wie Kraftwerken läuft. Vereinfacht gesagt, packt die Axpo spekulative Handelspositionen laut der Analyse in dasselbe Portfolio, das auch die skizzierten Absicherungsgeschäfte im Stromhandel enthält.

Ortet bei der Axpo Handlungsbedarf: Karl Frauendorfer von der Universität St. Gallen.

Ortet bei der Axpo Handlungsbedarf: Karl Frauendorfer von der Universität St. Gallen.

Foto: PD

Frauendorfers Analyse der Axpo-Finanzberichte dokumentiert «Ineffizienzen», die letztlich dazu führen, dass der Bund den Rettungsschirm üppiger ausgestalten muss. «Wir orten Handlungsbedarf im Verwaltungsrat der Axpo», sagt Frauendorfer. Zum einen sei das Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen, insbesondere, ob der spekulative Handel nicht völlig getrennt von der Bewirtschaftung des Portfolios zu dokumentieren sei. Zum anderen sieht Frauendorfer die interne Kontrolle in der Pflicht, den Verwaltungsrat darüber zu informieren, warum Verluste im Energiehandel entstünden.

Auch mehr als 10 Milliarden möglich

Braucht es also viel mehr Geld, als der Bundesrat im Notfall bereitstellen möchte? Das Problem, das sich dem Bund stellt: Die öffentlichen Informationen zum Energiehandel sind lückenhaft. Das Uvek, das Departement von Simonetta Sommaruga, erläutert, bei den 10 Milliarden Franken handle es sich um eine grobe Schätzung. Der Bundesrat bringe mit seiner Vorlage zum Ausdruck, dass der Bund bereit sei, in Notsituationen Liquidität bereitzustellen, «theoretisch kann das auch mehr sein».

Das Uvek betont indes: Die Finanzhilfe des Bundes soll nur subsidiär erfolgen, also erst, wenn alle anderen zumutbaren Massnahmen ausgeschöpft sind. Gefordert sind also in erster Linie die Unternehmen und deren Eigner, also mehrheitlich Kantone und Gemeinden.

Nutzt die Wasserkräfte eines 200 km2 grossen Einzugsgebiets im oberen Valsertal und im Safiental: Blick auf die Staumauer der Kraftwerke Zervreila.

Nutzt die Wasserkräfte eines 200 km2 grossen Einzugsgebiets im oberen Valsertal und im Safiental: Blick auf die Staumauer der Kraftwerke Zervreila.

Foto: Gian Ehrenzeller (Keystone)

​Und was sagt die Axpo zu Frauendorfers Analyse? Sie weist den Befund zurück. Frauendorfer versuche seit Jahren in seinen Studien, das Energiehandelsgeschäft der grossen Schweizer Stromkonzerne zu diskreditieren, sagt Sprecher Tobias Kistner. Dabei verwende er intransparente und praxisferne Modellrechnungen, setze ungeeignete Kennzahlen ein und ziehe falsche Schlüsse. «Dies gilt auch für die jüngste Studie.»

Die Axpo betont, sie verfolge eine diversifizierte Handelsstrategie, die in den vergangenen Jahren positiv zum Ergebnis beigetragen habe. Die Annahme, dass das Management und der Verwaltungsrat über zehn Jahre kontinuierlich Verluste in Milliardenhöhe im Eigenhandel zulassen würden, sei «unglaubwürdig». «Das widerspräche sowohl der betriebswirtschaftlichen Logik wie auch der rechtlichen Verantwortung.» ​

Frauendorfer seinerseits weist die «undifferenzierten Vorwürfe» der Axpo zurückIn seiner jüngsten Studie würden ausschliesslich die Kenngrössen in den jeweiligen Finanzberichten verwendet. Die von ihm ausgemachten «Ineffizienzen» seien quantifiziert und öffentlich verfügbar. 

Erste Hürde genommen

Politisch ist der Rettungsschirm derweil einen Schritt weiter. Die ständerätliche Umweltkommission erachtet den Bedarf als «unbestritten», wie sie am Dienstag mitgeteilt hat. Der Entscheid, auf die Vorlage einzutreten, fiel einstimmig. Allerdings hat die Kommission den Vorschlag des Bundesrats in mehreren Punkten abgeändert. So etwa will sie den Rettungsschirm auf kleinere Stromversorgungsunternehmen ausweiten, sollte der Bund sie wie Alpiq, Axpo und BKW als systemkritisch einstufen. Zudem sollen die Unternehmen ihren Verpflichtungen gegenüber Kantonen und Gemeinden auch dann nachkommen müssen, wenn sie vom Bund einen Notkredit beziehen, also etwa weiterhin Wasserzinse zahlen müssen.

Das Geschäft kommt im Juni in den Ständerat. Der Rettungsschirm ist damit frühestens in der Herbstsession unter Dach und Fach. Falls bis dahin ein Notfall eintritt, müsste der Bundesrat mit Notrecht reagieren.

Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.

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