Koch oder Kellner, das war bei VW schon immer unklar. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat ist der Vorstand gegenüber den Gewerkschaftern immer in der Defensive. Konzernchef Diess wollte das System brechen – nun steht ein neuerlicher Showdown an.

VW-Chef Diess mit Betriebsratschef Osterloh gemeinsam auf einer Fussball-Tribüne.
An dieser Festung scheitert offenbar selbst der härteste Manager, doch noch ist die Schlacht nicht endgültig geschlagen. In der Konzernzentrale von Volkswagen in Wolfsburg läuft eine neue Runde im Dauermachtkampf zwischen dem Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess und den bei Volkswagen äusserst einflussreichen Arbeitnehmervertretern, die an der Spitze seit Jahren den machtbewussten Bernd Osterloh haben. Schon mehrfach ist es in diesem Jahr zum Kampf der Kulturen gekommen. Doch im kruden System Volkswagen wird nicht etwa der Gewerkschaftsführer zurückgepfiffen, sondern der erfolgreiche Vorstandsvorsitzende konnte vor einem halben Jahr nur um Haaresbreite seine fristlose Entlassung vermeiden.
Streit um Besetzung vakanter Vorstandsposten
Jetzt geht es dem Vernehmen nach um die Neubesetzung von zwei Posten im Konzernvorstand. Finanzchef Frank Witter will im kommenden Juni aus persönlichen Gründen aufhören und vor ein paar Monaten hatte bereits Einkaufsvorstand Stefan Sommer gekündigt. Diess hat klare Favoriten für die Positionen. Doch offenbar sperrt sich Osterloh, der auch im paritätisch besetzten 20-köpfigen Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt, seit längerem gegen die ausgesuchten Nachfolger. Der Konzernchef wünscht sich als Nachfolger von Witter den derzeitigen Audi-Finanzvorstand Arno Antlitz, den Osterloh wiederum strikt ablehnen soll. Antlitz leitete früher das Finanzressort der Marke Volkswagen in Wolfsburg und war in dieser Funktion laut Berichten immer wieder mit dem Betriebsratschef aneinandergeraten.
Antlitz wäre für Diess ein verbündeter, um die verkrusteten Strukturen bei Volkswagen aufzubrechen, das Unternehmen vor allem an den deutschen Standorten noch stärker auf Effizienz zu trimmen und so die Festung Wolfsburg einzunehmen. Neuer Chefeinkäufer soll laut Medienberichten Murat Aksel werden, der gegenwärtig den Einkauf der Marke Volkswagen verantwortet. Osterloh favorisiert offenbar Kandidaten, die weniger Veränderungsdruck ausüben, sondern eher der Konsenskultur in Wolfsburg huldigen.
Verschärft wird der Konflikt dadurch, dass der 62-jährige Diess zur Halbzeit seiner Amtszeit nun angeblich eine vorzeitige Vertragsverlängerung anstrebt. Er wünsche sich einen Vertrauensbeweis des Aufsichtsrates, heisst es. Ob der Taktiker an der Konzernspitze damit lediglich seine Verhandlungsposition in Hinblick auf seine Wunschkandidaten für die vakanten Vorstandsposten verbessern will oder es tatsächlich mit der vorzeitigen Vertragsverlängerung sehr ernst meint und gegebenenfalls sogar die Brocken hinwerfen würde, ist eine offene Frage. Er dürfte jedenfalls wissen, dass er für eine vorzeitige Verlängerung aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse auch die Zustimmung von Osterloh benötigt, die zu diesem Zeitpunkt äusserst unwahrscheinlich erscheint. Am Dienstagabend ging eine Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums, das mit vier Vertretern der Kapitalseite und vier Vertretern der Arbeitnehmer besetzt ist, offenbar ergebnislos zu Ende, nachdem Diess seine Vorstellungen präsentiert und das Gremium danach darüber beraten hatte.
Fristlose Kündigung stand im Raum
Der promovierte Ingenieur Diess ist bei Teilen der Gewerkschaftsvertreter, der Belegschaft und sogar des Managements wenig beliebt, weil er hohe Anforderungen an seine Mitarbeiter stellt und ein hohes Tempo in allen entscheidenden Themenfeldern vorgibt, etwa beim Umbau des Konzerns in Richtung Elektromobilität und bei der Digitalisierung. Ferner soll der Umgangston des gebürtigen Münchners, der vor fünf Jahren von BMW zu Volkswagen gewechselt ist und seit zweieinhalb Jahren als Vorstandsvorsitzender amtiert, häufig sehr ruppig sein, was zart besaitete Seelen im Management stört.
In diesem Jahr ist der schwelende Machtkampf schon mehrmals offen ausgebrochen. Im Frühjahr macht der Betriebsrat Diess für Softwareprobleme bei neuen VW-Modellen wie dem Golf 8 und dem Elektroauto ID.3 verantwortlich, zwei für den gesamten Konzern sehr wichtiger neue Fahrzeuge. Wenig später warf Diess dem Aufsichtsrat in einer Runde mit hauseigenen Managern Gesetzesverstösse vor und zielte dabei wohl auf die Gewerkschaftsvertreter im Kontrollorgan. Er konnte seine Vorwürfe allerdings nicht belegen. Die Affäre hätte um Haaresbreite dazu geführt, dass Diess gefeuert worden wäre.
Er musste im Aufsichtsrat zu Kreuze kriechen und durfte schliesslich Vorstandsvorsitzender bleiben. Die Leitung der Marke Volkswagen, die er in Personalunion führte, verlor er jedoch. Diese obliegt nun dem als sehr ausgleichend geltenden Ralf Brandstätter – ein Sieg auf ganzer Linie für die Gewerkschaftsvertreter. Diese haben aufgrund des unerspriesslichen Geflechts in Wolfsburg aus den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, dem Land Niedersachsen als zweitgrösstem Aktionär, sowie aufgrund der starken Gewerkschaften und des VW-Gesetzes seit Jahrzehnten eine starke Stellung, welche die Festung Wolfsburg begründet. Niedersachsen stellt auf der Kapitalseite zwei Vertreter im Aufsichtsrat. Da das Bundesland traditionell von der SPD geführt wird, finden die Anliegen der Beschäftigten oft bei ihnen viel Gehör, so dass die Kapitalseite keine Mehrheit im Kontrollgremium hat.
Fortsetzung in der kommenden Woche
Der Leistungsausweis des ehrgeizigen Vorstandschefs aus Bayern kann sich derweil sehen lassen. Wie kein anderer Automanager setzt er voll auf den Umbau in Richtung Elektromobilität, was allerdings nicht ohne Risiken ist. Dennoch erwirtschaftet Diess ansprechende Gewinne. Den Diesel-Skandal, mit dem Diess im Prinzip nichts zu tun hatte, konnte der Konzern inzwischen hinter sich lassen und er dürfte auch die Corona-Pandemie trotz erheblicher Absatzeinbrüche gut meistern. Der unbequeme Manager hat einen grossen Anteil daran, den grössten Autohersteller wieder in die Spur gebracht zu haben, wenngleich ihm wohl die Fähigkeit abgeht, dabei möglichst viele Mitstreiter mitzunehmen. Dieses Defizit könnte dazu führen, dass auch Diess am System Volkswagen scheitert. In der kommenden Woche tagt dann der komplette Aufsichtsrat des Konzerns.
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