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Neue Arbeitswelt: Unbegrenzte Ferien  – aber niemand nützt das Angebot aus

Neue ArbeitsweltUnbegrenzte Ferien  – aber niemand nützt das Angebot aus

Bei Goldman Sachs können leitende Angestellte so viele freie Tage nehmen, wie sie wollen. Das klingt paradiesisch, hat aber einen Haken. 

Darf es ein bisschen mehr sein? Bei einigen Firmen können die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wie viel Ferien sie beziehen wollen. 

Darf es ein bisschen mehr sein? Bei einigen Firmen können die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wie viel Ferien sie beziehen wollen. 

Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Investmentbank Goldman Sachs hat kürzlich mit einer überraschenden Ferienregelung von sich reden gemacht: Sie will leitenden Angestellten künftig unbegrenzte Ferien gewähren. 

Das ist als Versuch zu werten, im hart umkämpften Arbeitsmarkt die besten Talente zu gewinnen und zu binden. Gleichzeitig ist es eine Antwort auf die lauten Beschwerden jüngerer Mitarbeitenden vor einem Jahr über unmenschliche und krank machende Arbeitsbedingungen an der Wallstreet – 95-Stunden-Wochen mit nur fünf Stunden Schlaf pro Nacht.

Aus der Tech-Branche ist dieses Ferienmodell schon seit über zehn Jahren bekannt. Netflix machts, Linkedin machts, und in der Schweiz machte es auch das im Jahr 2017 gefeierte, dann gestolperte und in der CG24 Group aufgegangene Zürcher Fintech-Start-up Advanon. Inzwischen habe das Unternehmen das Konzept angepasst, sagt Chef und CG24-Gründer Christoph M. Mueller. Aus seiner Sicht funktioniere das Modell «Ferien à discrétion» vor allem als Marketing-Gag. 

Im Kampf mit dem inneren Dompteur

Denn was paradiesisch klingt, hat auf den zweiten Blick so seine Haken: Mitarbeitende, die unbegrenzt freinehmen dürfen, nützen das Angebot nämlich nicht aus. Sie nehmen oft sogar weniger Ferien in Anspruch, als wenn sie über ein fixes Ferienguthaben verfügen. 

So ergab eine vielzitierte Studie eines US-Start-ups, dass Angestellte, die selbst über ihre Abwesenheit entscheiden konnten, im Schnitt 13 Tage pro Jahr freinahmen. Beschäftigte mit Vorgaben dagegen bezogen zwei Tage mehr Auszeit im Jahr. Wie die Bilanz bei Netflix aussieht, wollte eine Unternehmenssprecherin nicht verraten.

Was sind die Gründe für dieses paradoxe Verhalten? Von «internalen Stressoren» spricht in diesem Zusammenhang die Zuger Arbeitspsychologin Cornelia Nussle. Diese könnten Menschen davon abhalten, Ferien zu nehmen, obwohl sie das dürften. «Es ist eine Art innere Stimme, die diese Leute antreibt und unter Druck setzt. Sie stammt meist aus der Kindheit – vielleicht kritische Eltern oder ein eigenes Gedankenkonstrukt», so Nussle. 

«Unlimitierte Ferien kommen Unternehmen letztlich günstiger zu stehen, als wenn es zu einem Burn-out kommt.»

Cornelia Nussle, Organisationspsychologin

Solche internalen Stressoren minderten gleichzeitig die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Die Forschung zeige, dass Personen im inneren Kampf mit diesen Antreibern ständig mehr leisteten als andere, die frei davon dieselbe Arbeit verrichteten: «Und man sieht ihnen das nicht an.» 

Deshalb seien gerade solche Menschen oft nah am Burn-out, das Selbstmanagement sei eingeschränkt: «Sie sind dann nicht mehr fähig, für sich zu schauen und Ferien zu nehmen, obwohl das dringend angebracht wäre.»

Grundsätzlich findet Nussle dieses Ferienmodell durchaus prüfenswert, weil es geforderten Personen erlaube, auszutreten, wenn sie sich überladen fühlen. Das komme ein Unternehmen letztlich günstiger zu stehen, als wenn es zu einem Burn-out komme.

Vorsichtig urteilt auch Andreas Krause, Experte für Arbeit und Gesundheit an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW): «Ob das Ferienmodell Vorteile und mehr Freiheiten bedeutet, hängt vom Arbeitsumfeld der Angestellten ab.»

Aus der Forschung zur Vertrauensarbeitszeit sei bekannt, dass Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit selbst einteilen könnten, im Schnitt mehr arbeiteten, als wenn die Stempeluhr tickt. Das lasse sich auch auf die Spezialform «Vertrauensurlaub» übertragen.

«Teams müssen offen miteinander diskutieren, wie man mit Freiheiten umgeht. Nur dann bringt es Vorteile.»

Andreas Krause, Arbeitspsychologe

Sei der Leistungsdruck hoch und drohten Sparrunden oder Jobverlust, würden die Angestellten kaum Ferien nehmen. Wenn das Arbeitsumfeld dagegen stimme, könnten Leute von den gebotenen Freiheiten durchaus profitieren, sagt der Arbeitspsychologe. Dann sei es ein Deal zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin: Du lieferst viel, dafür bekommst du mehr Freiheiten als anderswo.

Ein Unternehmen, das auf dieses Ferienmodell setze, müsse für gute Arbeitsbedingungen und erreichbare Ziele sorgen. Zudem brauche es einen guten sozialen Umgang: «Konkurrenz innerhalb des Arbeitsbereichs ist schädlich. Die Angestellten und Teamleitenden müssen miteinander besprechen, wie man mit den Freiheiten umgeht. Nur dann bringt es Vorteile», sagt Krause. Andernfalls seien sie nicht mehr als versteckte Sparmassnahmen.

Bei Goldman Sachs arbeiten die Spitzenkräfte oft mehr als 80 Stunden pro Woche und dürften kaum mehr Ferien nehmen, obwohl sie könnten. Aber die Bank hat zusätzlich etwas verordnet: Sie schreibt allen Mitarbeitenden vor, dass sie künftig 15 Tage Ferien pro Jahr nehmen müssen, fünf davon am Stück. Urlaub als Pflicht. Das ist radikal – und könnte zum Erfolg führen.

Simone Luchetta ist Wirtschaftsredaktorin bei Tamedia. Die studierte Germanistin schreibt hauptsächlich über Arbeit und seit vielen Jahren über Technologie und Cybersecurity. Sie hat zudem eine Weiterbildung in Datenjournalismus abgeschlossen.

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@SimLuchetta

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