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Nervosität im globalen Finanzsystem: Wie Twitter-Panik die Finanzmärkte ins Wanken bringt

Nervosität im globalen FinanzsystemWie Twitter-Panik die Finanzmärkte ins Wanken bringt

In den USA rennen Kundinnen in Scharen an den Bankschalter, Institute stehen vor dem Kollaps. Die sozialen Medien haben die derzeitigen Turbulenzen in der Bankenwelt massiv befeuert.

Händler an der New York Stock Exchange: Die sozialen Medien hätten die Turbulenzen an den Finanzmärkten befeuert, sind sich Analysten einig.

Händler an der New York Stock Exchange: Die sozialen Medien hätten die Turbulenzen an den Finanzmärkten befeuert, sind sich Analysten einig.

Foto: Getty Images, AFP

Die Angst ist zurück. Noch Anfang Woche dachte man, die Panik an den amerikanischen Finanzmärkten könne der Credit Suisse nichts anhaben. Einen Tag später sinkt die CS-Aktie auf ein Allzeittief. Nur Stunden später sieht sich die Grossbank gezwungen, bis zu 50 Milliarden von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zu leihen.

Das Tempo, mit dem diese Krise von den USA aus die Schweiz erreicht hat, ist erstaunlich. Neu ist vor allem, wie die Hektik in den sozialen Medien die finanzielle Notlage beschleunigt hat. 

Aber von vorne.

Panische Twitter-Reaktionen und sekundenschnelle Geldabflüsse

Der Sturm beginnt mit einer Bank, die hierzulande bis dato nur die wenigsten kannten: der Silicon Valley Bank (SVB) aus Kalifornien. Sie war rasant gewachsen und hat die Folgen der Zinswende völlig falsch eingeschätzt. 
Erste Anzeichen dafür gibt es bereits Mitte Januar. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter machen Investoren auf finanzielle Probleme bei der SVB aufmerksam. Die Meldungen werden zigfach retweetet, verbreiten sich im Silicon Valley wie ein Lauffeuer. 

Einen Monat später veröffentlicht ein amerikanischer Finanzanalyst einen Newsletter, in dem er auf die stark fremdfinanzierten Vermögenswerte der Bank hinweist. Der Newsletter geht auf Twitter viral – und schreckt Risikokapitalgeber auf. Der Sturm braut sich allmählich zusammen. Einflussreiche Kapitalgeber raten ihren Unternehmen, ihr Geld von der Bank abzuziehen. Was im Gegensatz zur Finanzkrise im Jahr 2008 heute via Internet und Smartphone in Sekundenschnelle möglich ist.

Am Donnerstag vergangene Woche kommt es zum Bank-Run. Die Aktien der Silicon Valley Bank brechen an diesem Tag derart stark ein, dass panische Kundinnen und Kunden die Geldschalter stürmen. An diesem einen Tag wollen sie insgesamt 42 Milliarden Dollar abheben – ein Viertel der gesamten Einlagen der Bank. Sie kollabiert.

Analysten in den USA sind überzeugt: Panische Twitter-Posts haben die Krise beschleunigt.

Der Chef einer grossen Investmentfirma schrieb etwa: «Wenn Sie Ihren Unternehmen nicht raten, das Geld abzuheben, dann machen Sie Ihren Job als Vorstandsmitglied oder als Aktionär nicht.» Oder ein anderer Tweet ging viral, darin schrieb ein Investor in Grossbuchstaben: «Sie sollten jetzt absolut entsetzt sein. Das ist die richtige Reaktion auf einen Bank-Run und eine Ansteckung.»

Ein bekannter Investor warnte gar, dass am Montag ein Ansturm auf andere Banken beginnen würde, sollten die Behörden nicht schnell eingreifen und alle Einlagen garantieren. Der Tweet wurde 2500-mal geteilt.

Der Kongressabgeordnete Patrick McHenry, der dem Ausschuss für Finanzdienstleistungen des US-Repräsentantenhauses vorsitzt, bezeichnete die Turbulenzen als «den ersten durch Twitter ausgelösten Bank-Run».

Der Mensch ist nicht zum Anlegen gemacht

Wenn Kundschaft das Vertrauen in ihre Bank verliert und in Massen auf einmal ihre Einlagen abziehen will, spricht man auch von einem Bank-Run. Nur: Je mehr Menschen ihr Geld abheben, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Bank die Abhebungen decken kann. Und das führt wiederum dazu, dass immer mehr Kunden auf die Bank zustürmen.

«Das war schon immer so: Anleger sorgen sich um ihr Erspartes», sagt der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter. «Nur ist die Informationsbeschaffung heute viel schwieriger.» Der Forschungsleiter der Kalaidos FH in Zürich analysiert unter anderem Anlegerverhalten. Es seien heute zwar viel mehr anlegerrelevante Informationen verfügbar, auch dank den sozialen Medien. «Aber», so Fichter, «sie sind unzuverlässiger.»

«Wir sind gwundrig und können es nicht ausstehen, etwas zu verlieren», sagt Christian Fichter, Professor für Wirtschaftspsychologie.

«Wir sind gwundrig und können es nicht ausstehen, etwas zu verlieren», sagt Christian Fichter, Professor für Wirtschaftspsychologie.

Foto: Urs Jaudas

Erst recht, wenn sie auf den sozialen Medien eine Eigendymanik entwickeln. «Das Problem ist, dass Inhalte auf Social Media nicht überprüft sind und auf Emotionen abzielen. Sonst finden sie keinen Anklang.» Geht es dann noch um emotional aufgeladene Themen wie Geld, führt das umso mehr zu panischen, unreflektierten Reaktionen.

Fichter nennt drei grundlegende Faktoren, die Kundinnen und Kunden dazu bewegen, ihr Geld von der Bank zu holen: Verlustangst, Gruppen- und Zeitdruck. Letzterer steige insbesondere durch die sich schnell verbreitenden Inhalte auf Twitter und Co.

«Eigentlich sind wir psychologisch nicht dazu gemacht, anzulegen», sagt der Wirtschaftspsychologe. «Wir sind gwundrig und können es nicht ausstehen, etwas zu verlieren.» Dabei sei bei Anlageentscheiden ein langfristiger Horizont wichtig. 

Informationen müssen schneller und besser sein

Auch die Credit Suisse machte Erfahrungen mit panischen Tweets. Letzten Oktober wurde in den sozialen Medien aufgrund eines bankintern verschickten Memos heftig über die Zukunft der Bank spekuliert. Der Aktienkurs geriet ins Wanken

Und vergangenen Mittwoch riss die wichtigste Aktionärin, die Saudi National Bank, die CS-Aktie noch deutlicher in die Tiefe. Ihr Präsident erwähnte bei einem Interview, kein weiteres Geld mehr in die Bank einzuschiessen. Das entsprechende Video verbreitete sich auf diversen sozialen Medien in der ganzen Welt. 

«Kommen solche Informationen an die Öffentlichkeit, wirkt sich das immer unmittelbar auf den Preis aus», sagt Sandro Ambühl, Assistenzprofessor für Verhaltensökonomie der Finanzmärkte an der Universität Zürich. Da in den USA einige Tage zuvor gerade zwei Banken zusammengebrochen seien, sorge eine Information wie jene des Grossaktionärs umso mehr für Unruhe. «Es kommt die Frage auf: Gibt es bei den anderen Banken wie der CS auch solche Probleme?»

Die Credit Suisse kämpft schon lange mit abfliessenden Kundengeldern. Sehen Anlegerinnen, dass viele Kunden das Vertrauen in die Grossbank verlieren, macht diese weniger Gewinn, und das Anlegen ist weniger profitabel. Die Folge: Sie wollen ihre Aktien verkaufen, was für die CS am Mittwoch ein Rekordtief ihres Aktienkurses bedeutete.

Dass die sozialen Medien hauptverantwortlich für den Kurssturz sind, glaubt Ambühl nicht. «In den Finanzmärkten geht es immer darum, schneller und bessere Informationen als die anderen zu haben. Und diese verbreiten sich schon seit Jahrzehnten in Millisekunden.» Grosse, institutionelle Anleger hätten ihre Algorithmen, die Preisbewegungen sofort registrieren. «Sie erhalten ihre Informationen, bevor ein Video viralgeht.»

Alexandra Aregger schreibt als Wirtschaftsredaktorin über Energie, Arbeitsmarkt, öffentlicher Verkehr und Reportagen aus der ganzen Bandbreite des Wirtschaftslebens. Davor absolvierte sie das Förderprogramm für investigativen Journalismus beim Recherchedesk Tamedia.Mehr Infos@AlexAregger

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