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Modenschau statt Autoparade: Stadt Bern erprobt den autofreien Bahnhofplatz

Modenschau statt AutoparadeStadt Bern erprobt den autofreien Bahnhofplatz

Zum Auftakt der Berner Nachhaltigkeitstage verbannte die Stadt Bern für einen Tag den Verkehr vom Bahnhofplatz. Bürgerliche wittern dahinter eine Taktik.

Fussgängerinnen und Fussgänger nahmen am Samstag den Berner Bahnhofplatz ein.

Fussgängerinnen und Fussgänger nahmen am Samstag den Berner Bahnhofplatz ein.

Foto: Marcel Bieri

Wer sich am Samstag zum Berner Bahnhofplatz aufmachte, dem bot sich ein ungewohntes Bild. Auf dem Platz standen zahlreiche Stände mit gelben Dächern, rosa Ballons tanzten im Wind. Ein Fest läutete die Berner Nachhaltigkeitstage ein. «Ganz bewusst im Zentrum der Stadt», wie Gemeinderat Reto Nause (Die Mitte) während seiner Ansprache sagte. Denn man wolle das Thema Nachhaltigkeit mitten unter die Leute bringen. 

Am Fest fand auch eine Modenschau für nachhaltige Kleidung statt. Reto Nause liess es sich dabei nicht entgehen, einen «affenheissen» Ledermantel zu präsentieren.

Video: sik

Was am Samstag rund um den Platz hingegen für einmal fehlte: die Autos. Die Stadt verbannte diese für einen Tag vom Platz. Lediglich ein paar Velos kurvten sich durch die Passanten. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) liess sich dieses Bild nicht entgehen: «Das Undenkbare, denkbar zu machen, gefällt mir», sagt er.

Wobei: So undenkbar ist die Idee eines autofreien Platzes auch wieder nicht. Ob rund um den Bahnhof Autos rollen sollen oder nicht, ist in der Stadt seit Jahren ein Politikum. Allerdings sind die Fronten verhärtet. 

Eine rot-grüne Taktik?

Schon immer dagegen war SVP-Fraktionspräsident Alexander Feuz. Er wittert hinter dem autofreien Tag eine Taktik: «Mit solchen Aktionen will die rot-grüne Regierung die Autos weiter aus der Stadt vertreiben und langsam den Weg für einen dauerhaft gesperrten Platz ebnen.» Ebenso kritisiert er, dass die Stadtbevölkerung vor dem Event kaum über die Sperrung informiert worden sei.

Die Stadt weist den Vorwurf zurück. Über den Informationsdienst lässt sie ausrichten: Die Sperrung habe nichts mit einem allfälligen künftigen autofreien Bahnhofplatz zu tun, sondern erfolge aufgrund des Eröffnungsfests der Nachhaltigkeitstage.

An diversen Ständen konnten sich die Flanierenden über nachhaltiges Essen, Kleidung und vieles mehr informieren.

An diversen Ständen konnten sich die Flanierenden über nachhaltiges Essen, Kleidung und vieles mehr informieren.

Foto: Marcel Bieri

Beim Stadtberner Gewerbeverband sieht man die Einzelaktion hingegen weniger tragisch. «Einen Tag lang ohne Auto ist verkraftbar», sagt Geschäftsführer Leonhard Sitter. Doch was, wenn der Bahnhofplatz dauerhaft autofrei würde? Hier muss für Sitter vor allem eine Frage geklärt werden: «Wo fängt der Wirtschaftsverkehr an, und wo hört er auf?» Unter Wirtschaftsverkehr versteht Sitter beispielsweise Anlieferungen, aber eben auch Personen, die mit dem Auto ein Möbelstück abholen wollen. «Dieser notwendige Verkehr muss jederzeit möglich sein», sagt Sitter.

Autoarm, nicht autofrei

Hier stimmt die Stadt zu: Öffentlicher Verkehr und Anlieferverkehr sollen auch künftig möglich sein. Der Individualverkehr soll aber früher oder später vom Bahnhofplatz verschwinden: «Ein autoarmer Bahnhofplatz bleibt das Ziel», bestätigt der Informationsdienst.

Dies obschon die Bernerinnen und Berner das Vorhaben schon zweimal abgelehnt haben. Sowohl 1997 als auch 2009 wurde die Idee verworfen, wobei der Nein-Anteil mit 51 Prozent bei der jüngsten Abstimmung nur knapp überwog. Die Bürgerlichen befürchteten vor allem einen Mehrverkehr in den Quartieren.

Wo sonst Autos fahren, herrschte am Samstag Marktstimmung.

Wo sonst Autos fahren, herrschte am Samstag Marktstimmung.

Foto: Marcel Bieri

2021 erhielt die Idee jedoch wieder Auftrieb: Kurz nachdem die Stimmbevölkerung den Verkehrsmassnahmen im Rahmen des Projekts «Zukunft Bahnhof Bern» zugestimmt hatte, forderte eine Allianz aus links-grünen Parteien und der bernischen Sektion des Verkehrsclubs (VCS), der Gemeinderat müsse die Planung des autofreien Bahnhofplatzes «unverzüglich» in die Hand nehmen.

Die vom Volk gutgeheissenen Verkehrsmassnahmen läuten quasi eine Vorstufe zum autofreien Platz ein: Sie sehen vor, den Verkehr auf der Achse Inselplatz-Bubenbergplatz-Bahnhofplatz-Bollwerk um rund 60 Prozent zu reduzieren.

Komplexes Strassennetz

Dass der VCS den Gemeinderat zum Handeln aufgefordert hat, ist nun gut zwei Jahre her. Noch immer rollen die Autos über den Bahnhofplatz – zumindest im Normalfall. «Natürlich hätten wir gern, dass es schneller vorwärtsgeht», sagt Benjamin Zumbühl von der VCS Sektion Bern dazu. Doch so einfach sei das aufgrund des komplexen Strassennetzes nicht.

Ein paar Velos kurvten am Fest ebenfalls herum. Die Durchfahrt war für sie offen.

Ein paar Velos kurvten am Fest ebenfalls herum. Die Durchfahrt war für sie offen.

Foto: Marcel Bieri

Die gesamte Achse Bubenbergplatz-Bahnhofplatz-Bollwerk sind zwar Stadtstrassen, sie sind jedoch eng mit dem übergeordneten Strassennetz von Bund und Kanton verknüpft. Deswegen liegt die Federführung bei der Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Derzeit werde geprüft, so schreibt die Stadt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Strasse über den Bahnhofplatz aus dem Basisnetz entlassen werden könnte.

Tut sich hier was, so könnte der autofreie Samstag tatsächlich ein Bild davon geben, wie es sich künftig auf dem Bahnhofplatz anfühlt. Weniger Autos, das sei aber nur das eine. Wichtig sei vor allem auch, wie der Platz gestaltet werde, findet Benjamin Zumbühl.

Simone Klemenz schreibt im Ressort Bern über das Stadtleben, Menschen und gesellschaftliche Trends. Sie hat in Fribourg Medien und Europastudien studiert.Mehr Infos

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