Lange Zeit waren die Add-ons zur obligatorischen Krankenversicherung eigentliche Geldesel. Geht es weiter wie bisher, könnten die Kunden aber bald einmal abspringen.

Vermehrt werden auch Allgemeinversicherte im Einzelzimmer liegen. Sich halbprivat oder privat versichern zu lassen, verliert daher an Wert.
Die Schere geht auf. In den letzten zehn Jahren haben die Prämieneinnahmen der Spitalzusatzversicherung in der Schweiz jährlich um 1,4% zugenommen, die ausbezahlten Leistungen nur um jeweils 0,3%. Man erhält gleich viel, zahlt aber immer mehr. Viele Kunden dürften sich fragen: Lohnt sich das überhaupt noch für mich?
Vor diesem Szenario warnt ein neues Paper der McKinsey-Berater Marion Hämmerli, Sirus Ramezani und Stephan Binder. Sie führen viel Zahlenmaterial ins Feld, um auf die Probleme hinzuweisen: Beispielsweise machen die Verwaltungskosten bei acht grösseren Krankenversicherern im obligatorischen Bereich zwischen 3,6 und 6,4% aus, bei den Zusatzversicherungen sind es zwischen 12,7 und 20,5%.
Die Kunden zahlen derweil immer mehr Gesundheitsleistungen aus der eigenen Tasche: 2009 waren es gemäss dem Versicherer-Report der Finanzmarktaufsicht (Finma) noch 12,1 Mrd. Fr., 2018 schon 16,2 Mrd. Fr. Via Zusatzversicherungen wurden bloss 5,38 Mrd. Fr. berappt – nur unwesentlich mehr als 2009, obwohl die Gesundheitskosten als Ganzes rapide angestiegen sind.
Seit 1996 ist zu wenig passiert
Relativ gesprochen nimmt die Beliebtheit der «Add-on»-Versicherungen also ab. Die Studienautoren identifizieren zahlreiche Probleme: So kümmern sich viele Krankenversicherer intensiver um ihr Grundangebot als um die Zusatzversicherungen. Diese richteten sie zudem oft und unnötigerweise an denselben Prinzipien aus: Die Leistungen werden in wenig kundenfreundlichen Bündeln angeboten oder funktionieren – wie im Fall der Spitalzusatzversicherungen – nach dem Umlageprinzip. Die jungen Gesunden zahlen so auch die Leistungen anderer mit.
In der Schweiz wurden erst 1996 private und obligatorische Krankenversicherungen aufgetrennt und in der Folge verschieden reguliert. Es ist denn auch dieselbe Handvoll Unternehmen, die beide Märkte dominieren. Die Finma versucht die Branche, für die sie seit zwölf Jahren zuständig ist, zwar nach Massgabe der Privatversicherer zu regulieren. Sie fordert sie etwa zu mehr Härte in den Verhandlungen mit Spitälern auf, die bisher ein sehr gutes Geschäft mit Privatversicherten gemacht haben. Dieser Wandel ist aber noch nicht vollständig vollzogen.
Auch punkto Digitalisierung gibt es Luft nach oben. Es sollte technisch möglich sein, individuellere Leistungsbündel anzubieten oder etwa die Mindestlaufzeit der Verträge zu verkürzen. Die Anbieter sind aber meist noch nicht so weit; gemäss einer Schätzung von McKinsey, die realistisch erscheint, wird zudem erst ein tiefer einstelliger Prozentsatz an Verträgen direkt online abgeschlossen.
Noch läuft es gut
Die Versicherer verspüren trotzdem noch wenig Druck, ihre Krankenzusatzversicherungen anzupassen, operieren sie doch weiterhin rentabel. Das könnte sich aber bald einmal ändern.
Ein Problem für Spitalzusatzversicherungen ist zum Beispiel, dass die öffentlichen Spitäler ihr Grundangebot aufrüsten, weil sie sich im Wettbewerb miteinander befinden: Vermehrt werden auch Allgemeinversicherte im Einzelzimmer liegen. Sich halbprivat oder privat versichern zu lassen, verliert daher an Wert. Zudem hat die Politik den Grundsatz «ambulant vor stationär» durchgesetzt – sei es für Krampfader- oder Meniskusoperationen. Wer für solche Eingriffe nicht mehr im Spital übernachten muss, zieht auch keinen Nutzen aus entsprechenden Versicherungen.
Ideen gäbe es
Mit der Gemütlichkeit könnte es auch deshalb vorbei sein, weil andere Privatversicherer den Gesundheitsmarkt in den Blick genommen haben – allen voran die französische AXA, die Nummer zwei im europäischen Versicherungsmarkt. Was also tun? Hämmerli, Ramezani und Binder fordern die Krankenversicherer auf, frühzeitig Gegensteuer zu geben und ihre Palette an Zusatzversicherungen neu aufzustellen:
Wie gross wäre das Potenzial für solche Neuerungen? Neben dem Regulator müssen auch die Kunden mitspielen. Diese sind und bleiben in der Schweiz eher sicherheitsorientiert und etwas wechselfaul. Davon ausgehend dürfte es noch etwas dauern, bis die klassische Spitalzusatzversicherung tatsächlich abgelöst wird. Doch irgendwann könnte auch die Geduld (oder die finanziellen Ressourcen) der Schweizer erschöpft sein, und die Branche würde aufgemischt; besser, die Unternehmen bereiten sich darauf vor.