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Mission Bundesrat: Daniel Jositsch auf der Suche nach linken Stimmen

Der Zuercher SP-Staenderat Daniel Jositsch posiert nach seiner Medienkonferenz ueber seine Bundesratskandidatur, aufgenommen am Dienstag, 5. September 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Daniel Jositsch ist für viele in der SP eine Provokation und gleichzeitig unverzichtbar.Bild: keystone

SP-Ständerat Daniel Jositsch will Nachfolger von Bundesrat Alain Berset werden. Die schwierigste Aufgabe auf dem Weg dorthin: die eigene Partei von sich zu überzeugen.

Daniel Jositsch hatte es eilig. Die Einladung zur Medienkonferenz, an der der Zürcher Ständerat seine Bewerbung für die Nachfolge von Alain Berset bekannt gab, landete am 2. September um 9.40 Uhr in der Mailbox des Verfassers dieser Zeilen. Zwei Minuten später folgte die Mitteilung der SP zum Ablauf und den Kriterien für die Bundesratswahl.

Der Ehrgeiz des Strafrechtsprofessors ist hinlänglich bekannt. Seine Ambitionen für einen Sitz in der Landesregierung sind kein Geheimnis. Deutlich wurden sie vor einem Jahr, als Jositsch sich öffentlich darüber ärgerte, dass die SP sich bei der Nachfolge von Simonetta Sommaruga von Anfang an auf eine Frau festgelegt hatte. Er sprach von «Diskriminierung».

Heute bereut der 58-Jährige sein forsches Vorgehen, denn für die Berset-Nachfolge braucht er seinerseits die Frauen. Und vor allem muss er seine Partei überzeugen. Vielen in der SP ist Daniel Jositsch suspekt, wegen seines Ehrgeizes, und weil er am rechten Rand politisiert. Eine echte Chance aber hat er nur, wenn die SP-Fraktion ihn nominiert.

Er muss aufs Ticket

Die Lust in der Bundesversammlung, einer Partei eine «wilde» Kandidatur aufzudrücken, hat spürbar nachgelassen. Letztmals gelungen war dies bei Christoph Blochers Abwahl 2007. Also muss Jositsch aufs SP-Ticket, auch wenn er unter den Bürgerlichen viele Sympathien geniesst. Folglich muss er die skeptischen Genossinnen und Genossen «bearbeiten».

Er tut dies in Interviews, in denen er sich Asche aufs Haupt streut, um sein Image als «Ladykiller» loszuwerden. Er tut dies im Parlament, wo man ihn diese Woche im Gespräch mit Fraktionsmitgliedern beobachten konnte. Und er tat dies am Freitag, als er mit seinem abtretenden Standeskollegen Ruedi Noser (FDP) die Bilanz der auslaufenden Legislatur präsentierte.

Fokus auf Sexualstrafrecht

Das Zürcher Duo hatte menschlich und inhaltlich so gut harmoniert, dass es von Roger Köppel vor vier Jahren als «Nositsch» verspottet wurde. Sie hätten durchaus inhaltliche Differenzen, betonten sie vor den Medien. Interessant war die Gewichtung, die vor allem der SP-Ständerat in seinem Rückblick vornahm. Sie waren ein Fingerzeig bezüglich Bundesrat.

Der neu gewaehlte Staenderat fuer den Kanton Zuerich, Ruedi Noser, FDP, rechts, und der bereits im ersten Wahlgang gewaehlte Daniel Jositsch, SP, links, nach dem zweiten Wahlgang der Staenderatswahlen ...

Daniel Jositsch und Ruedi Noser nach der Wahl 2015, als beiden der Sprung in den Ständerat gelungen war.Bild: KEYSTONE

Als erstes Thema erwähnte Daniel Jositsch die Harmonisierung des Sexualstrafrechts. Als Strafrechtler spielte er dabei eine wichtige Rolle. Vor allem aber war dem Parlament das Kunststück gelungen, eine «Nein heisst Nein»-Lösung zu erarbeiten, mit der sich sogar Feministinnen anfreunden können. Damit könnte er bei den Frauen punkten.

Umstrittenes Frontex-Engagement

Danach verwies Jositsch auf sein Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative und den Gegenvorschlag, ein Herzensanliegen für die Linke. Und auf seine Beteiligung am Frontex-Referendum. «Ich bin proeuropäisch und damit für Frontex», sagte er. Doch die Agentur habe zu wenig gegen Pushbacks an der EU-Aussengrenze unternommen.

Kritische Stimmen hatten ihm das schon vor der Abstimmung im Mai 2022 nicht abgekauft. Sein Engagement gegen die Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex sei aus reinem Kalkül erfolgt. Er habe sich im Hinblick auf eine künftige Bundesratskandidatur beim linken SP-Flügel «einschmeicheln» und sein «Law and Order»-Image abschwächen wollen.

Absprache mit Nordmann

Gelungen ist ihm das nur bedingt, und auch sein Verhalten bei der Bundesrats-Ersatzwahl im letzten Dezember verfolgt ihn noch immer. Im ersten Wahlgang hatte der Zürcher 58 Stimmen erhalten und dies regungslos zur Kenntnis genommen, was ihm manche in der SP bis heute nachtragen. Spricht man Jositsch darauf an, war alles halb so wild.

Der Bundesratskandidat Daniel Jositsch, SP-ZH, Mitte, reagiert an der Seite von Staenderat Ruedi Noser, FDP-ZH, links, und Staenderaetin Andrea Gmuer, Mitte-LU, rechts, bei der Ersatzwahl in den Bunde ...

Das Bild des Anstosses: Daniel Jositsch nimmt die 58 Stimmen bei der Bundesratswahl 2022 zur Kenntnis.Bild: keystone

Er habe verschiedene Signale erhalten, man werde ihn im ersten Durchgang wählen, und mit rund 60 Stimmen gerechnet. Dies habe er SP-Fraktionschef Roger Nordmann mitgeteilt. Man habe vereinbart, dass Nordmann in diesem Fall ans Rednerpult gehen und zur Wahl der offiziellen Kandidatinnen Elisabeth Baume-Schneider und Eva Herzog aufrufen werde.

Die SP braucht ihn mehr als er sie

So geschah es auch. Jositschs Version ist plausibel. Doch die Bilder, auf denen er wie angewurzelt und mit steinerner Miene auf seinem für die Ständeräte reservierten Platz hinten im Nationalratssaal verharrte, haben sich ins Gedächtnis vieler Sozialdemokraten eingebrannt. Offiziell allerdings gab es aus der Partei kein böses Wort an Jositschs Adresse.

Dafür gibt es einen simplen Grund: Die SP braucht Daniel Jositsch mehr als er sie. Das liegt an der Vertretung im Ständerat. Bei Wahlen 2015 kam die SP auf ein Allzeithoch von zwölf Sitzen. Seither ging es bergab, und im Herbst dürfte sich der Aderlass fortsetzen. Die Sitze in Freiburg und St.Gallen sind weg, weitere Verluste drohen in Bern, Solothurn und Tessin.

Wiederwahl ist programmiert

Dem steht nur ein (fast) sicherer Zugewinn in der Waadt gegenüber, durch «Schwergewicht» Pierre-Yves Maillard. Im schlimmsten Fall muss sich die SP mit vier Sitzen begnügen. Umso wichtiger ist Daniel Jositsch. In der aktuellen NZZ-Umfrage liegt er in Zürich meilenweit vor der Konkurrenz. Ein Erfolg schon im ersten Wahlgang ist absehbar.

Daniel Jositsch ist für viele in der SP ein Ärgernis und gleichzeitig unverzichtbar. Darum tun sie sich schwer mit ihm, darum wird Kritik fast ausschliesslich anonym geäussert. Sein Auftreten mag provozierend wirken. Dennoch wird sich die SP gut überlegen, ob sie einen Politiker seines Kalibers bei der Nomination am 25. November übergehen kann.

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