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Kommentar zu Klimaaktivismus: Die Umwelt schützen – und nach Thailand fliegen

Kommentar zu KlimaaktivismusDie Umwelt schützen – und nach Thailand fliegen

Ein junges deutsches Umweltschützerpaar liess einen Gerichtstermin platzen, weil es Thailand-Ferien machte. Dreist? Ja. Aber es ist heuchlerisch, die Doppelmoral anzuprangern.

Eben noch auf dem Asphalt klebend und schon im Flugzeug nach Thailand: Zwei junge Aktivisten der Klimabewegung «Letzte Generation» werden dafür angeprangert. Hier bei einer Blockade in Deutschland. 

Eben noch auf dem Asphalt klebend und schon im Flugzeug nach Thailand: Zwei junge Aktivisten der Klimabewegung «Letzte Generation» werden dafür angeprangert. Hier bei einer Blockade in Deutschland. 

Foto: Imago

Wie unverschämt: Die 22-jährige Luisa S. und ihr Freund, der 24-jährige Yannick S., sind nach Thailand geflogen. Das verbraucht total rund 140’000 Liter Kerosin und ungefähr 7,9 Tonnen CO₂, wie die «Bild»-Zeitung ausgerechnet hat. «Diese Dreistigkeit macht uns fassungslos!», stand über dem Artikel geschrieben.

Denn eigentlich hätten Yannick und Luisa zu diesem Zeitpunkt nicht im Ferienparadies herumhängen, sondern wegen mutmasslicher Nötigung vor Gericht erscheinen sollen. Der Tatort des Geschehens: eine Autostrasse bei Stuttgart, auf die sich die beiden gemeinsam mit anderen Aktivistinnen der «Letzten Generation» geklebt hatten. «Öl sparen statt bohren» stand auf dem Transparent der Klimakleber. 

«Ich glaube, wir müssen uns keine Essenstipps von Klimaaktivisten mehr anhören.»

Kommentar auf Twitter

Öl haben die beiden bei ihrem Trip nach Bali definitiv nicht gespart. Diese Doppelmoral kommt in den Kommentarspalten und auf den sozialen Medien gar nicht gut an. «Luisa hätte 333 Kilogramm Rindfleisch essen können», schrieb etwa eine Frau auf Twitter. «Ich glaube, wir müssen uns keine Essenstipps von Klimaaktivisten mehr anhören.»

Inzwischen stehen auch andere Vertreter der deutschen Klimajugend am medialen Pranger, unter anderem Luisa Neubauer. Denn die «deutsche Greta» jettet ebenfalls gern um die Welt, wenn sie nicht gerade als Sprachrohr für das Klima im Einsatz ist. Dafür hat sie einen eigenen Hashtag bekommen: #LangstreckenLuisa.

Müssen Klimaschützer makellos sein?

So viel Bigotterie ist schwer auszuhalten. Und eigentlich nicht zu rechtfertigen, vor allem nicht bei Leuten, die sich lautstark und publikumswirksam als Klimaschützer präsentieren. Oder doch? Ein Sprecher von «Letzte Generation» versuchte es damit, dass Luisa und Yannick den Flug ja als Privatleute gebucht hätten, das müsse man unterscheiden. Später folgte zur Causa Doppelmoral ein ausführliches Statement auf Twitter.

Ausserdem könnte man argumentieren, dass die «Letzte Generation» ja mit zivilem Ungehorsam Massnahmen gegen die Klimakrise erzwingen will. Die Hauptverantwortung liegt demnach bei der Politik und nicht bei Einzelpersonen wie Luisa und Yannick. Die beiden können ja nichts dafür, dass Langstreckenflüge so günstig sind.

Wer verhält sich schon konsequent umweltfreundlich – vielleicht mal abgesehen von Greta Thunberg?

Natürlich darf man von Klimaaktivisten, die andere so öffentlichkeitswirksam in die Pflicht nehmen, mehr Konsequenz erwarten. Auch dann, wenn keine Kameras und Social-Media-Verantwortliche zugegen sind. Andererseits: Wer verhält sich schon konsequent umweltfreundlich – vielleicht mal abgesehen von Greta Thunberg? 

Die meisten tun zwar ein bisschen was fürs Klima. Nehmen zwischendurch Fleischersatz für den Burger, werfen Dosen und Batterien nicht in den Abfall, geben ihre Klamotten von H&M, Zara oder Shein in die Kleidersammlung und kompensieren ihren London-Trip bei MyClimate. Dass das alles nur Kosmetik ist, können oder wollen aber die wenigsten einsehen. Im Gegenteil.

Schweizer überschätzen Umweltbewusstsein

Der Anteil jener Schweizerinnen und Schweizer, die ihr Umweltbewusstsein und ihr persönliches Engagement als überdurchschnittlich hoch einschätzen, steigt stetig, wie die jährlich durchgeführte Univox-Studie zeigt. Inzwischen halten sich bereits zwei Drittel der Bevölkerung für vorbildlich. 2019 waren es noch 58 Prozent der Befragten gewesen, die fanden, sie seien umweltbewusst; beim Engagement waren es gar nur 50 Prozent gewesen. Vor allem Frauen, Ältere und Personen mit einem hohen Bildungsniveau schätzen sich häufig als überdurchschnittlich umweltfreundlich ein.

Leute, die Bioprodukte kauften, verhielten sich asozialer.

Aus einer kanadischen Studie

In der Realität schlägt sich das gestiegene Bewusstsein jedoch nicht nieder. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern fällt unsere CO₂-Bilanz schlecht aus. Die Schweiz ist etwa nach wie vor ein Volk von Vielfliegern, und nach der pandemiebedingten Flaute heben die meisten genauso unbeschwert ab wie zuvor. Viele haben also eine verzerrte Wahrnehmung und neigen dazu, ihre ökologischen Bemühungen zu überschätzen. Mehr noch. Manche glauben offenbar, mehr für sich herauszunehmen zu können, wenn sie sich umweltfreundlicher verhalten als andere. Vor Jahren zeigte jedenfalls eine kanadische Studie, dass sich Leute, die Bioprodukte kauften, asozialer verhielten: Sie stahlen und betrogen häufiger als jene, die herkömmliche Produkte gekauft hatten.

Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, warum wir gern mit dem Finger auf andere zeigen, die in unseren Augen zu wenig umweltfreundlich sind – einen SUV fahren, übers Wochenende nach Ibiza fliegen, täglich beim Fleischmenü zugreifen – oder sich so scheinheilig verhalten wie Luisa und Yannick. Aber wenn wir wirklich ehrlich wären, müssten wir alle still bleiben. Denn inkonsequent sind wir alle.

Denise Jeitziner ist Redaktorin im Ressort Leben und schreibt hauptsächlich über gesellschaftliche Themen. Vor dem Einstieg in den Journalismus hat sie Rechtswissenschaften studiert und weder das eine noch das andere je bereut.Mehr Infos

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