Vor einem Jahr wurden die ersten Corona-Infektionen in Deutschland festgestellt. Seither operieren die politischen Krisenmanager im Ungefähren und stellen damit Geduld und Einsicht der Bürger auf eine harte Probe.

Michael Müller, Angela Merkel und Markus Söder am Dienstagabend in Berlin.
Müde und mürbe – so wirkten Angela Merkel, Markus Söder und Michael Müller, als sie nach der Konferenz von Bundesregierung und Ministerpräsidenten über die neuste Eskalationsstufe in der Pandemiebekämpfung sprachen. Nach stundenlangen Debatten stellten die Kanzlerin, der bayrische Ministerpräsident und der Regierende Bürgermeister von Berlin am Dienstagabend die denkbar weichste Verschärfung des harten Lockdowns in Deutschland vor. An den Massnahmen änderte sich nicht viel, das Geduldspiel hinsichtlich des Coronavirus geht in die nächste Runde.
Ziemlich genau ein Jahr nachdem die ersten Fälle beim Automobilzulieferer Webasto in Stockdorf bei München diagnostiziert worden sind, schwankt der politische Umgang mit der Pandemie immer noch zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Hoffnung darauf, dass die diversen Virusmutationen aus Grossbritannien oder Südafrika nicht auch in Deutschland durchschlagen. Verzweiflung darüber, dass für den Fall der Fälle nur die erneute, vollständige Stilllegung des ganzen Landes zur Hand ist. Deswegen regiert vorwiegend der Konjunktiv: Hielten sich die Bürger brav an alle Vorgaben, nähme – womöglich – auch die Zahl der Infektionen ab.
Das Ungefähre allerdings verdeckt auch die strukturellen Defizite, die sich seit Beginn der Krise zeigen. Wähnte sich Deutschland noch im Frühjahr als Krisenbewältigungsweltmeister, ist inzwischen klar, dass es nunmehr bestenfalls für das Mittelfeld reicht. Die Kanzlerin betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, eine Inzidenzrate von unter 50 müsse bundesweit erreicht werden, damit die Kontaktnachverfolgung gewährleistet sei. Dafür aber fehlen die schlichtesten Mittel. Die Technologie-Website «netzpolitik.org» berichtete vor wenigen Tagen, dass noch nicht einmal ein Drittel der 370 deutschen Gesundheitsämter die moderne Pandemiebekämpfungs-Software «Sormas» installiert hätten. Erst danach wurde versprochen, das System solle bis Ende Februar allen Gesundheitsämtern zur Verfügung stehen.
Es scheint beinahe so, als hätte das Surfbrett in Berlin mit dem Aufbranden der zweiten Corona-Welle im November neu erfunden werden müssen: Schnelltests in Apotheken etwa sind erst seit kurzem möglich. Die Schutzkonzepte für besonders gefährdete Personen in Alters- und Pflegeheimen sind vielerorts noch immer löchrig. Die vor knapp vier Wochen mit grossem Trara offiziell begonnene Impfkampagne läuft im internationalen Vergleich schleppend, in den Krankenhäusern Nordrhein-Westfalens wurde sie jüngst sogar eingestellt. Und von der «besten Corona-App weltweit» (Copyright: Kanzleramtsminister Helge Braun) hören die Bürger inzwischen kaum noch etwas. Dafür wird allenthalben insinuiert, sie seien dafür verantwortlich, sollten die Zahlen wieder durch die Decke gehen, weil sie die Vorgaben missachteten.
Merkel sprach am Dienstagabend von einem «Geleitzug», in dem alle bis ans Ende der Pandemie widerspruchslos mitzuschippern hätten. Wann das sein soll und wie lange vor allem der Lockdown noch dauern soll, konnte sie auf Nachfrage nicht sagen. Ein Kurs ohne Ziel und ohne Ankunftszeit macht aber nicht nur Politiker müde. Die Bürger sind es längst. Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie haben sie Anspruch darauf, ein klareres Szenario für die kommenden Monate aufgezeigt zu bekommen. Ein Szenario, in dem auch ein zunehmend strukturiertes Vorgehen zu erkennen wäre, das die Versäumnisse des vergangenen Sommers ausmerzte.
Dass dem nicht so ist, ist auch eine Folge der mangelnden Einbindung des Bundestages. In der parlamentarischen Debatte gibt es üblicherweise keine bequeme Geleitzugfahrt. Und das ist, vor allem in so existenziellen Fragen wie der Pandemiebekämpfung, auch gut so.
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