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Knapper Rohstoff: Was hinter dem Preissprung beim Öl steckt

Knapper Rohstoff Was hinter dem Preissprung beim Öl steckt

Eine Allianz aus Saudiarabien und Russland treibt den Westen vor sich her. Kann das Duo mit dem Ölpreis sogar die Inflation treiben und ganze Staaten in die Rezession stossen?

Der russische Präsident Wladimir Putin besucht den saudischen König Salman im königlichen Palast in Riad 2019.

Der russische Präsident Wladimir Putin besucht den saudischen König Salman im königlichen Palast in Riad 2019.

Foto: Alexey Nikolsky (Sputnik, Kremlin Pool, Keystone)

Allein in den vergangenen drei Monaten hat der Ölpreis um 25 Prozent zugelegt, inzwischen kostet ein Fass der Nordseesorte Brent bereits mehr als 93 Dollar. Der Grund für den Preisanstieg: Seit Monaten treibt eine Ölallianz aus Saudiarabien und Russland den Westen an den Rohstoffbörsen vor sich her. Viele Beobachter fragen sich inzwischen: Kann das Staatenduo mit dem Ölpreis sogar die Inflation treiben und ganze Staaten in die Rezession stossen?

Am 5. September reichten nur acht dürre Zeilen, um die Lage am Ölmarkt komplett zu drehen. Schon seit dem Frühjahr kappten die Saudis ihre Ölförderung jeden Tag um eine Million Fass, Russland um weitere 300’000 Barrel. Anstatt dieses Förderminus von Monat zu Monat zu verlängern, machten die Herrscher in Riad und Moskau kurzen Prozess: Sie verzichteten darauf, die Lage regelmässig neu zu bewerten und schrieben ihre Förderkürzungen schon bis Ende des Jahres fest. «Das ist ein politisches Signal gegen den Westen», sagt Ölexperte Ralf Umlauf von der Helaba, der Landesbank Hessen-Thüringen.

Obwohl sich die Saudis jahrelang als Freund der USA gerierten, sind die bilateralen Verstimmungen inzwischen gravierend. Erst drohte der einstige US-Präsident Donald Trump dem Ölkartell Opec unter saudischer Führung offen mit einer Kartellklage, nun klagt auch dessen Nachfolger Joe Biden über zu hohe Ölpreise. Über Jahre hätten sie für prosperierende Ökonomien stets grosse Produktionsstätten vorgehalten, umgekehrt bekomme man nur Schelte, wenn der Ölpreis bei schwächelnder Konjunktur nicht gleich stark falle.

Hinter dem vermeintlich technischen Akt einer Förderkürzung verbirgt sich in Wirklichkeit eine Machtgeste in Richtung Washington, mit der das kleine Königreich eine grosse Rolle auf der Weltbühne für sich reklamiert: Von den USA als wichtigem Abnehmerland für das eigene Öl will man sich lossagen und seine eigene Rolle stärken. Kein Wunder, braucht der Wüstenstaat doch einen Ölpreis von rund 85 Dollar je Fass, um seine Staatskasse auszugleichen.

Mehr Öl geht nach Asien

Neben den Förderkürzungen greifen die Saudis jedoch auch zu einem weit weniger beachteten Trick, um die globalen Ölpreise zu treiben. Mehr und mehr dirigiert das Ölland seine Lieferungen inzwischen nämlich nach Asien, wo viele Länder sogar langfristige Lieferverträge eingehen. Die Konsequenz? In die Vereinigten Staaten fliesst jetzt weniger saudisches Öl.

Im wichtigen Ölörtchen Cushing wissen sie das genau, hier inmitten von Oklahoma laufen die wichtigsten Pipelines aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Was nicht direkt gebraucht wird, lagern die Ölarbeiter in riesigen Tanks ein, normalerweise zumindest. Denn seit Ende Juni ist der Füllstand in Cushing bereits um 42 Prozent gesunken.

Viele Ölexperten vermuten, dass US-Firmen damit die abnehmenden Ölflüsse aus dem saudischen Königreich kompensieren. Da sich ausgerechnet die Ölpreise an den US-Börsen jedoch eng am Örtchen Cushing orientieren, steigen die Preise an den Ölbörsen derzeit immer weiter.

Gleichzeitig verliert das einstige Ass von US-Präsident Joe Biden seine magische Kraft am Ölmarkt. Im vergangenen Jahr konnte er angesichts der hohen Preise Teile der strategischen Ölreserve der Vereinigten Staaten freigeben, in nur einem Jahr hat sich deren Füllstand aber beinahe halbiert. «Die strategische Ölreserve ist also begrenzt», sagt Helaba-Experte Umlauf. Im Klartext: Bald schon könnten die USA den saudischen Kürzungsplänen ausgeliefert sein.

Hohe Ölpreise erschweren die Arbeit der Notenbanken

Im Kreml dürfte der Machtapparat um Wladimir Putin all das mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Während Russland seine Exporte reduziert, hat das Land seine Fördermenge konstant gehalten. Im eigenen Land steht jetzt mehr Öl zur Verfügung, um einstige Knappheiten anzugehen und den Preis angesichts der allgemeinen Inflation obendrein zu drücken. Im Westen jedoch kann der Kreml sein eigenes Angebot verknappen und damit sogar die Preise am Weltmarkt treiben. Das eigene Land besserstellen und dem Westen schaden? Die Förderkürzung scheint wie gemacht für die Politstrategen im Moskauer Kreml.

Angesichts der steigenden Preise sorgen sich im Westen daher viele um den Ölmarkt. Derzeit fehlen am Weltmarkt auch wegen der konzertierten Aktion von Saudis und Russen geschätzt 1,5 Millionen Fass Öl, und zwar jeden Tag. Gleichzeitig schlägt die konjunkturelle Schwäche der Weltwirtschaft bislang kaum durch. Zwar kollabiert gerade der chinesische Immobiliensektor, gleichzeitig scheint das Pekinger Politbüro für neue Raffinerien aber massiv Öl auf Verdacht einzulagern. Dass die kränkelnde Wirtschaft also die Förderkürzungen wieder ausgleicht, ist kaum zu erwarten.

So dürften Ölpreise in der Nähe von 100 Dollar bald auch den Notenbankern einen Strich durch die Rechnung machen. Eigentlich hatten sie angesichts gesunkener Energiepreise mit einer stark fallenden Inflation gerechnet. «Nun könnte die Inflation weniger stark zurückgehen als erhofft», sagt Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Bank. Noch deutlicher dürften die hohen Preise für Öl, Benzin und Diesel auf die heimische Konjunktur durchschlagen. «Schon Ende des Jahres könnte die Wirtschaft in Deutschland wieder schrumpfen», meint Brzeski. Dem Kartellduo aus Russland und Saudiarabien wäre gleich ein doppelter Schlag gegen die westliche Wirtschaft gelungen.

Immerhin einen Vorteil sieht die Investmentbank Goldman Sachs jedoch in einer Analyse: Da viele reiche Ölprofiteure in Ländern wie Saudiarabien üppige Ölgewinne gern in Immobilien stecken, dürften die Preise für Luxusvillen in London in den kommenden Monaten eher steigen. Zumindest die Superreichen in der Finanzmetropole dürfte es freuen.

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