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Kampf um Aufmerksamkeit: 200'000 Franken Budget: Neulinge starten mit tiefen Taschen in Wahlkampf

Kampf um Aufmerksamkeit 200'000 Franken Budget: Neulinge starten mit tiefen Taschen in Wahlkampf

Unter den finanziell potentesten Kandidierenden hat es erstaunlich viele, die zum ersten Mal gewählt werden wollen. Das ist kein Zufall.

Gibt im Kampf um den fünften Zürcher FDP-Sitz viel aus: Kandidatin Bettina Balmer, zu sehen auf einem Wahlplakat in Dübendorf.

Gibt im Kampf um den fünften Zürcher FDP-Sitz viel aus: Kandidatin Bettina Balmer, zu sehen auf einem Wahlplakat in Dübendorf.

Noch ist die Höhe des Wahlkampfbudgets nicht von allen Politikerinnen und Politikern bekannt, die sich am 22. Oktober zur Wahl in den Nationalrat stellen. Doch diejenigen Zahlen, die bereits öffentlich sind, sind bemerkenswert: Von den zehn Kandidierenden mit dem meisten Geld sind neben drei Bisherigen sieben Neue.

Sechs von ihnen treten für die FDP an. Es handelt sich um die Zürcher Kandidierenden Stefan Brupbacher (240'000 Franken), Bettina Balmer (221’969) und Martin Farner (201’969), den Aargauer FDP-Mann Adrian Schoop (193’156) sowie die Waadtländer Pascal Broulis (238’583) und Jan von Overbeck (204’000). Mit dem Luzerner Adrian Steiner (193’156) gehört zudem ein Mitte-Kandidat zu den finanzstärksten Kandidierenden.

Die Bisherigen mit den grössten offiziell kommunizierten Budgets sind der Zürcher Freisinnige Andri Silberschmidt (281’969) und der Berner Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (161’969). (Lesen Sie hier unsere Berichterstattung zum Budget von Andri Silberschmidt.)

Zudem kommunizierte diese Woche der Zürcher SVP-Bisherige Thomas Matter auf Youtube, dass er 160'000 Franken aus der eigenen Tasche für den Wahlkampf einsetzt. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Betrag noch anwachsen wird, da Matter auch Spendengelder erhalten haben dürfte. Ausserdem gab Matter bekannt, dass er 300'000 Franken an die Parteikampagne der SVP spendet. Als Erstes hatte CH Media über Matters Zahlen berichtet.

Dass so detaillierte Zahlen vorliegen, liegt an der neuen Gesetzgebung zur Politikfinanzierung: Auf diese Wahlen hin müssen Nationalratskandidierende mit einem Budget über 50’000 Franken dessen Höhe erstmals offenlegen. Zudem müssen sie den Spender nennen, falls sie eine Einzelspende von mehr als 15’000 Franken erhalten haben.

Auch Parteien und andere Wahlkampforganisationen sind dieses Jahr erstmals zur Transparenz verpflichtet. Sie alle mussten ihre Zahlen bis zum Donnerstag dem Bund melden. Bis spätestens in zwei Wochen publiziert dieser alle Angaben online.

Dass unter den finanzstärksten Kandidierenden vor allem Neue sind, überrascht, weil die Wissenschaft bisher im Grundsatz vom Gegenteil ausgegangen war.

Der Lausanner Politikwissenschaftler Georg Lutz konstatierte in einer Auswertung zum letzten nationalen Wahlkampf 2019, Bisherige hätten im Schnitt deutlich mehr Geld zur Verfügung als neu Kandidierende. Sie hätten es dank ihrem Status und ihrem Netzwerk leichter, zum Beispiel bei Verbänden an Geld zu gelangen.

«Es gibt immer gewisse Kandidierende, die besonders motiviert sind und klotzen.»

Georg Lutz, Politikwissenschaftler

«Allerdings gab es damals wie heute Faktoren, die dazu führen, dass einzelne neu Kandidierende sich im Wahlkampf stärker engagieren als Bisherige», sagt Lutz.

Der wichtigste dabei ist der Bisherigenbonus. «Bei Wahlen ist Bekanntheit die wichtigste Währung», sagt Lutz. «Die wenigsten der vielen Tausend Kandidierenden fürs Parlament verfügen darüber, die Bisherigen dagegen schon.»

Diese kommen, ohne etwas dafür ausgeben zu müssen, in Medienberichten zur nationalen Politik vor. Organisationen laden sie häufiger zu Wahlkampfpodien ein als die Herausforderer. Und wenn sie in der vorangegangenen Legislatur nicht negativ aufgefallen sind, vertrauen ihnen die Wählenden eher als den unbekannten Neuen. Sie rollen quasi im Schlafwagen nach Bern.

Dagegen sind die Neuen oft nur Wählenden bekannt, die sich zuvor intensiver mit der Politik vor Ort beschäftigt haben. Die meisten der genannten Neuen sind bereits in der Gemeinde- oder Kantonspolitik aktiv. Überregional bekannt sind einzig der Waadtländer Staatsrat Pascal Broulis und Stefan Brupbacher. Dieser war früher Generalsekretär der FDP und unter Johann Schneider-Ammann im Wirtschaftsdepartement; heute leitet er den Industrieverband Swissmem.

«Ein Instrument, um das Manko der fehlenden Aufmerksamkeit wettzumachen, ist Geld», sagt Lutz. «Während es sehr viele Kandidierende gibt, die überhaupt kein Geld ausgeben, gibt es immer auch solche, die besonders motiviert sind und klotzen.»

Hofft auf Stimmen aus der Landwirtschaft: Der Freisinnige Martin Farner aus dem Weinland.

Hofft auf Stimmen aus der Landwirtschaft: Der Freisinnige Martin Farner aus dem Weinland.

Sie setzen das Geld hauptsächlich für Zeitungsinserate, bezahlte Plakate und Onlinewerbung ein. Die Plakate, die mit Kabelbindern an Strassenlaternen angebracht werden oder mittels Stangen auf Freiflächen stehen, sind dagegen bis auf die Herstellungskosten meistens gratis.

«Ich ärgere mich sehr darüber, dass ein grosser Teil meines Wahlkampfs daraus besteht, mit viel Geld meine Bekanntheit zu steigern, statt über Inhalte zu sprechen», sagt die Zürcher Freisinnige Balmer. Die Kinderärztin und bisherige Kantonsrätin ist auf Gesundheitsthemen spezialisiert und ist – Stand Freitagmorgen – die Kandidatin mit dem dritthöchsten Budget der Schweiz.

«In einem Artikel erwähnt zu werden, ist Gratiswerbung für uns.»

Bettina Balmer

Neben einer Grossspende über 50'000 Franken von der Ärztegesellschaft Zürich stammt der überwiegende Teil ihres Budgets nach ihren Angaben aus Spenden von einigen Hundert Franken. Andere Kandidierende erhalten teilweise auch Geld von Verbänden.

«Ich mag es unseren Bisherigen gönnen, dass sie ohne grossen Aufwand wiedergewählt werden», sagt Balmer. «Aber ich würde mich freuen, wenn auch wir Neuen öfter Anrufe von Journalisten erhalten würden. In einem Artikel erwähnt zu werden, ist Gratiswerbung für uns.»

Neben diesem Herausforderer-Malus der neu Kandidierenden spielt für die Höhe des Budgets auch eine Rolle, in welchem Kanton ein Wahlkampf stattfindet: Die Kandidierenden mit den höchsten Budgets jeweils aus den grossen Kantonen Zürich, Bern und Aargau – sie müssen also viele Stimmbürger überzeugen.

Kampf um den fünften Zürcher FDP-Sitz

Hinzu kommen jeweils auch spezifische Umstände. Besonders springt der Fall Zürcher FDP-Wahlliste ins Auge: Weil die Bisherige Doris Fiala zurücktritt, wird einer der bisher fünf Sitze frei. «Gleich mehrere Kandidierende reissen sich um den fünften Sitz und haben entsprechend viel Geld eingesammelt», sagt Balmer. Sie geht auf dem fünften Listenplatz ins Rennen, ist also Favoritin. Die ebenfalls finanzstarken Stefan Brupbacher und Martin Farner stehen auf den Listenplätzen 6 und 11.

Sollte zudem Regine Sauter als Nachfolgerin ihres Parteikollegen Ruedi Noser in den Ständerat gewählt werden, wären es sogar zwei. Im Extremfall könnte sie sogar jenen Sitz erobern, den der Kanton Zürich aufgrund seines überdurchschnittlichen Bevölkerungswachstums vom Kanton Basel-Stadt erhält. Dafür müsste die FDP im Kanton jedoch deutlich zulegen, worauf im Moment aber wenig hindeutet.

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