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Interview zu Müttern und Karriere: «Ich wollte nicht auf der Strecke bleiben, nur weil das System familienfeindlich ist»

Interview zu Müttern und Karriere«Ich wollte nicht auf der Strecke bleiben, nur weil das System familienfeindlich ist»

Jacqueline Krause-Blouin gibt die Chefredaktion der Frauenzeitschrift «Annabelle» ab, weil das Konzept Kind und Karriere nicht funktioniert habe. Was ist das Problem?

Hat vier Jahre lang gezeigt, dass sich ein Kleinkind mit einer Führungsposition vereinbaren lässt, nun gibt sie ihren Posten als Chefredaktorin von «Annabelle», der grössten Schweizer Frauenzeitschrift, ab: Jacqueline Krause-Blouin. 

Hat vier Jahre lang gezeigt, dass sich ein Kleinkind mit einer Führungsposition vereinbaren lässt, nun gibt sie ihren Posten als Chefredaktorin von «Annabelle», der grössten Schweizer Frauenzeitschrift, ab: Jacqueline Krause-Blouin. 

Foto: Peter Kaaden

Sie geben per Ende März Ihren Posten als Chefredaktorin der «Annabelle» auf. In Ihrem letzten Editorial schreiben Sie als Grund: «Ich wollte mir beweisen, dass es geht: Kind und Karriere. Aber das Konzept funktioniert nicht wirklich.» Warum?

Ich sage nicht, dass Mütter nicht in einem 80- oder 100-Prozent-Pensum oder in einer Führungsposition arbeiten können. Ich sage nur, dass ich es nicht mehr möchte. Es kommt extrem auf den Job an und darauf, wie man sich organisieren kann. Wenn man seine Arbeitsstunden einhalten kann und nicht so wie ich immer auch am Abend oder am Wochenende arbeitet, bin ich überzeugt, dass es machbar ist. Mein Job war mit vielen Reisen und Abendveranstaltungen verbunden, und ich habe knapp 30 Leute geführt. Das ist schwierig mit einem kleinen Kind. Irgendwann habe ich gespürt, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann.

Wie hat sich das bemerkbar gemacht?

Es gab eine längere Zeit, in der ich dachte, jetzt musst du einfach durchbeissen, es wird wieder besser. Wir hatten bei der «Annabelle» verschiedene schwierige Veränderungen, die Pandemie war auch sehr herausfordernd für uns. Dann ist mein Vater gestorben. Manchmal ist es einfach eine Sache zu viel. Es lag sicher auch an meinen Ansprüchen als Chefin, Journalistin und Mutter, denen ich auf lange Sicht nicht mehr hätte gerecht werden können.

«Ein wichtiger Punkt ist, dass ich derzeit einfach keine Lust mehr auf eine Führungsposition habe.»

Was meinen Sie damit?

Ich bin ein sehr perfektionistischer Mensch, und es gibt sicher Leute, die sich besser abgrenzen können. Ich habe den Job mega geliebt. Wenn du etwas so leidenschaftlich tust, fühlt sich vieles gar nicht wie Arbeit an. Das ist eine Falle. Denn es ist Arbeit, und am Ende denkst du auch in der Nacht die ganze Zeit über den Job nach. Dabei bleibt irgendetwas auf der Strecke. Entweder das Kind, die Beziehung, der Job oder man selbst. Am Ende trifft es meistens einen selbst. Ich wollte nicht auf der Strecke bleiben, nur weil das System familienfeindlich ist.

Sie haben sich bei der «Annabelle» für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingesetzt. Haben Sie aufgegeben?

Ich bin 100 Prozent dafür, dass man gegen alles kämpft, was in der Schweiz in Sachen Familienpolitik falsch läuft. Aber es kann nicht immer auf dem Rücken der Frauen passieren. Die Lösung ist natürlich nicht, dass jetzt alle sagen, fuck the system, wir hören auf zu arbeiten und backen nur noch Cupcakes. Mein Editorial ist also überhaupt kein Aufruf, aufzugeben. Sondern ein Aufruf, zu sich selber zu schauen und sich zu fragen, ob es noch stimmt. Ich möchte es einfach gerade nicht mehr. Ich muss kurz durchatmen. Veränderung braucht Zeit, vor allem in der Schweiz. Es ist wie ein Staffelstab, den man einander weitergibt. Jetzt können ein paar andere weiterrennen, ich mache dann in ein paar Jahren wieder mit. Ich steige aber übrigens nicht komplett aus. Ab dem 1. April bin ich 60 Prozent als Kultur- und Onlineredaktorin bei der «Annabelle» angestellt, daneben schreibe ich für den Mamablog und für deutsche Zeitungen aus L.A., wo wir nun für eine Weile wohnen. Das war übrigens auch ein Grund für meinen Rücktritt. Der Umzug war eine Entscheidung, die wir als Familie getroffen haben. Ich habe bewusst meine Prioritäten neu sortiert, weil ich einfach mein Kind mehr sehen will.

«Viele haben das Gefühl, man müsse oben bleiben, weil andere sonst denken könnten, man sei gescheitert.»

Sie schreiben, Sie seien an Ihrem Ideal der arbeitenden Supermom gescheitert. Woher haben Sie das Ideal überhaupt?

Ich war und bin überzeugt, dass, wenn Männer gleichzeitig Vater und Chef sein können, es gar keine Frage ist, dass wir Frauen das auch können. Wenn nicht beim grössten Schweizer Frauenmagazin, das sich ständig für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzt, wo sonst? Und es ging ja auch vier Jahre gut. Ich kann sagen, dass ich meinen Job sehr erfolgreich gemacht habe. Ein wichtiger Punkt ist aber auch, dass ich derzeit einfach keine Lust mehr auf eine Führungsposition habe und darauf, mich den ganzen Tag mit Zahlen, Budgets und dem HR-Kram zu befassen. Ich will wieder schreiben und einen Schritt zurückgehen, Verantwortung abgeben. Viele haben das Gefühl, man müsse für immer oben bleiben, wenn man einmal oben ist, weil andere sonst denken könnten, man sei gescheitert. Wann sieht man schon mal eine Führungskraft, die im gleichen Unternehmen freiwillig absteigt? Aber ich muss niemandem etwas beweisen. Und ich halte es für modern, dass mein Verlag es mir ermöglicht, Verantwortung abzugeben. 

Die Chefredaktion haben Sie übernommen, als Ihre Tochter fünf Monate alt war. Es gibt ja dieses Foto von Ihnen, auf dem Sie eine Podiumsdiskussion moderieren mit ihr im Tragetuch. Sie haben die Latte der Supermom auch sehr hoch gesetzt.

Ich bin voll eingestiegen, weil ich wusste, dass es in dieser Funktion nicht anders geht. Es war schon ein Novum, dass ich als Chefredaktorin anfangs nur 80 Prozent gearbeitet habe. Ich war anscheinend auch die Erste mit einem kleinen Kind, und die «Annabelle» ist jetzt doch schon 85 Jahre alt. Als ich mir das Baby umgeschnallt und dieses Panel zur Vereinbarkeit moderiert habe, wollte ich den Leuten zeigen: Schaut her, es funktioniert. Ich wollte das auch gegen aussen tragen, weil es mich genervt hat, dass alle Frauen, die ich kenne, ihr Pensum reduzieren, sobald sie ein Kind bekommen, und am Schluss viel weniger Geld in der Vorsorge haben als die Männer. Ich war wirklich davon überzeugt, dass es geht. Das war mein ehrliches Bild. Jetzt sage ich genauso ehrlich: Mein Bild hat sich verändert.

«Du stehst drei-, viermal pro Nacht auf und bist wie ein Zombie. Trotzdem wird zu Recht absolute Professionalität erwartet.»

Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?

99 Prozent waren positiv im Sinne von: Endlich sagt mal eine die Wahrheit und spricht über die Herausforderungen. Ich glaube, dass es viele unter Druck gesetzt hat, dass ich ständig unterwegs war mit meinem Kind und immer gestrahlt und geschrieben habe, dass man das schaffen kann. Viele sind froh, wenn man erzählt, dass es durchaus komplexer ist. Andere fanden, es sei wichtig, dass man sich immer für die Familie entscheide. Da muss ich allerdings klarstellen: Ich habe nie gesagt, dass man sich gegen den Job und nur für die Familie entscheiden soll. Ich habe nur geschrieben, dass es sehr schwer zusammengeht.

Was sagen Sie dazu, dass sich Mütter durch Sie unter Druck gesetzt fühlten?

Es erstaunt mich, ehrlich gesagt. Ich habe zum Beispiel immer wieder über Schuldgefühle geschrieben, dass es etwas vom Schlimmsten ist, wenn man das Gefühl hat, dass das Kind zu kurz kommt. Ich glaube also nicht, dass ich die krasse Supermom gespielt habe. Ich hatte einfach ein Kind und einen Job. Und der Job war halt anspruchsvoll. Ich bin nach 16 Wochen Mutterschaftsurlaub zurückgekommen. Du stehst drei-, viermal pro Nacht auf und bist wie ein Zombie. Trotzdem wird zu Recht absolute Professionalität und Verantwortung erwartet. Damals habe ich es nicht so gespürt. Aber jetzt hat mich diese Belastung eingeholt. Ich glaube, wenn die Strukturen anders gewesen wären, hätte ich jetzt mehr Kraft und womöglich auch länger durchgehalten.

Was hätte geholfen?

Ich wäre sicher mit einer ganz anderen Basis in diesen Job gestartet, wenn mein Mann und ich ein Jahr Elternzeit gehabt hätten, so wie es in anderen Ländern Standard ist. Ich ging im Büro teilweise in ein Sitzungszimmer, um kurz die Augen zu schliessen. Du kannst ja gar nicht langfristig performen, wenn du komplett erschöpft bist. Und ich bin überzeugt, dass man auch daheim ein anderes Rollenverständnis hat, wenn beide gleich viel für das Kind da sind, vor allem am Anfang.

«Praktisch alle berufstätigen Eltern, die ich kenne, wären ohne Grosseltern aufgeschmissen.»

Wie könnte das Konzept für berufstätige Mütter funktionieren?

Die erste Massnahme wäre, dass sich die Pensen von Frauen und Männern angleichen und sich die Diskrepanz verringert. Bei uns war es so, dass unser Kind in der Kita war. Mein Mann ist Schauspieler. Wenn er kein Engagement hat, ist er oft daheim. Aber wenn er einen Dreh hat, kann es sein, dass er zweieinhalb Monate komplett ausfällt und auch am Abend nicht da ist. Dafür konnte ich meine Mutter einspannen. Praktisch alle berufstätigen Eltern, die ich kenne, wären ohne Grosseltern aufgeschmissen. Ich bin auch eine grosse Verfechterin von Jobsharing und anderen flexiblen Arbeitsmodellen. Dass man temporär reduzieren und die Verantwortung abgeben kann mit der Chance, später wieder Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur, wenn man Eltern wird, sondern auch, wenn man einen Krankheitsfall hat oder jemanden pflegt.

Sie kritisieren die schlechten Strukturen in der Schweiz. Oft kommt jedoch der Vorwurf, dass arbeitende Frauen einfach zu viel wollen.

Ich finde diesen Vorwurf fragwürdig. Genau das stand in einer der wenigen negativen Reaktionen, die ich erhalten habe. Sie kam von einem Mann. Er schrieb: «Du musst dich ja nicht wundern, wenn du auf allen Hochzeiten tanzt.» So etwas hätte man einem Topmanager nie gesagt.

«Ich glaube, dass man im Feminismus weiterkommt, wenn man ehrlich ist.»

Sie fragen sich im Editorial, ob Ihr Rücktritt antifeministisch, ein Aufgeben sei. Die Frage beantworten Sie zwar mit Nein. Andererseits schreiben Sie, Sie hätten sich etwas beweisen wollen und es nicht geschafft.

Natürlich ärgert es mich selbst am meisten, dass es so schwer ist, Vereinbarkeit auf Dauer zu leben. Aber ich glaube, dass man im Feminismus weiterkommt, wenn man ehrlich ist. Was bringt es, wenn eine Führungsfrau nach der anderen am Schluss ausgebrannt ist? Wir predigen ja die ganze Zeit, dass man auf sich selbst schauen soll. Und das habe ich gemacht.

Ihre Nachfolgerin bei der «Annabelle» ist ebenfalls Mutter. Was ist Ihr Tipp an sie oder an andere Mütter, die Karriere machen wollen?

Sie war ja schon meine Stellvertreterin und weiss, worauf sie sich einlässt. Das Einzige, was ich ihr sagen konnte, ist, dass sie viele, viele Sachen absagen und delegieren soll. Sich besser abzugrenzen, ist das Wichtigste. Da kann ich auch noch viel lernen. Es ist ein Job, es geht nicht um Leben und Tod.

Denise Jeitziner ist Redaktorin im Ressort Leben und schreibt hauptsächlich über gesellschaftliche Themen. Vor dem Einstieg in den Journalismus hat sie Rechtswissenschaften studiert und weder das eine noch das andere je bereut.Mehr Infos

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