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Herbert Grönemeyer in Zürich: Der Fels der Zuversicht

Herbert Grönemeyer in ZürichDer Fels der Zuversicht

«Klasse! Klasse! Wunderbar!» Der deutsche Sänger gab im Hallenstadion ein ungemein kraftvolles und ausgelassenes Konzert. Er hatte selbst sehr viel Spass.

Er lief viel, er hüpfte viel, und er winkte auch viel: Zweieinhalb Stunden spielte Herbert Grönemeyer in Zürich.

Er lief viel, er hüpfte viel, und er winkte auch viel: Zweieinhalb Stunden spielte Herbert Grönemeyer in Zürich.

Foto: Marco Masiello

Das ist er also, der liebevolle, gutmütige, der bodenständige, der grosse Herbert Grönemeyer. Ein Fels der Zuversichtlichkeit in der lauten, stänkernden Welt. Der Mann, der weder richtig gut singen noch richtig gut tanzen kann und gerade deshalb einen so einnimmt. Der es schafft, jede noch so volle Halle zum Wohnzimmer zu machen.

Eine Zeitung nannte ihn mal einen musikalischen Ofen, an dem sich Deutschland wärmt. Andere sehen in ihm den Patrick Swayze Deutschlands, was weniger zutrifft, der Hüftschwung hat noch Luft nach oben! 
Klar ist aber: Herbert Grönemeyer ist für alle da, ein Volksmusiker quasi, im guten Sinne. Einer, der jene Geschichten erzählt, die mit ihm und mit uns zu tun haben. Manchmal etwas pathetisch vielleicht, aber immer nah am Leben. Deshalb sind sicher die Hälfte seiner Lieder auch schon längst deutschsprachiges Kulturgut geworden.

Warmer Kaltstart

Und jetzt also, etwa Viertel nach acht, schreitet er im Hallenstadion ganz allein, aber ungemein energiegeladen den Steg entlang, von der grossen auf eine kleine Rundbühne, gewissermassen direkt in die Zuschauer hinein, und lässt sich feiern. 

Ein weisses Klavier klappt dort derweil aus dem Boden empor. Dann setzt er sich hin und stimmt das Lied «Tau» an, das wohl berührendste Stück seines neuen, sechzehnten Albums «Das ist los», womit er nun auf Tournee ist. Es ist nicht sein allerbestes übrigens. Einige finden, es schlagere allzu sehr im Gebälk, andere meinen, er sei zumindest textlich noch nie so auf dem Punkt gewesen. 

Ein Jungspund auf der Bühne, 67 Jahre alt im echten Leben: Herbert Grönemeyer ist der kommerziell erfolgreichste Künstler Deutschlands.

Ein Jungspund auf der Bühne, 67 Jahre alt im echten Leben: Herbert Grönemeyer ist der kommerziell erfolgreichste Künstler Deutschlands.

Foto: Marco Masiello

Jedenfalls sind schon die ersten Zeilen dieses Konzerts ganz gross und wunderbar einlullend: «Manchmal legt der Tau sich auf mich / und dann werd’ ich leise traurig …»

Es ist übrigens ein warmer Kaltstart, den er da hinlegt. Denn die Vorband, der deutsche Sänger Schmyt, ist krankheitsbedingt ausgefallen. Das tut aber nichts. Denn Herbert Grönemeyer legt nach dem zarten Beginn gleich – und man muss es so sagen – deftig los. Mit dem neuen Song «Das ist los», der eben tatsächlich ein bisschen schlagert, die Halle aber gleich in Stimmung bringt. 

Der ganze Songkatalog

Es ist der krachende und ausgelassene Anfang eines fast dreistündigen Monsterkonzerts. Rund ein Dutzend neue Songs hat er hübsch eingeflochten in eine Setlist, die alles bietet, was das Grönemeyer-Fan-Herz begehrt, der ganze Songkatalog der letzten 40 Jahre. Seine frühen Hits wie «Männer», «Was soll das?» und eine rockige Version von «Vollmond» packt er nach zwanzig Minuten schon in ein betörendes 80er-Jahre-Medley. «Eine Tonne Blei» gibts nicht wie gewohnt in Klavierballaden-Manier, sondern sehnsüchtig, ein wenig flehend am Mikrofon hängend. «Flugzeuge» spielt er in einer wunderbar verschlurften Jazzversion. Das Wechselspiel zwischen alt und neu jedenfalls funktioniert bestens. Und das Publikum frisst ihm bis zum Schluss aus der Hand. 

Und er geniesst das ungemein. Er winkt, alle winken. Er klatscht, alle klatschen. Er tanzt seinen berühmten Schulterwalzer. Alle tanzen mit. Immer wieder rennt er wie ein Jungspund über die Bühne, schäkert mit dem Publikum. Ruft immer wieder «Klasse, Klasse!» und «Wunderbar». 

Auch viel gerannt ist er, der Senior.

Auch viel gerannt ist er, der Senior.

Foto: Marco Masiello

Er kann sich vor Begeisterung kaum halten. Er stampft, er hüpft (sehr viel), er jubelt, schwingt die Hüften und singt inbrünstig mit dem typischen Grönemeyer-Slang, der auch mal ein paar Worte verschluckt. Er hat sehr, sehr viel Spass – der Senior.

Ja, 67 ist er immerhin schon, auch wenn man ihm das zumindest auf der Bühne so gar nicht anmerkt. 1984 gelang ihm mit seinem Album «Bochum» der Durchbruch. Heute ist er einer der kommerziell erfolgreichsten Musiker Deutschlands und besitzt mit «Grönland» ein eigenes, sehr geschmackssicheres Plattenlabel. 

Für die Klimajugend

Schon in den 1990ern hat er mal gesungen «Stillstand ist der Tod». Er hat immer eine klare politische Haltung gezeigt und ist bis heute ein kluger Beobachter und Kommentator geblieben, er bezieht Position zu hitzig diskutierten Themen und mischt sich ein. Wie schon auf seinem Album «Tumult», als er mit der Zeile «Keinen Millimeter nach rechts», ja, für Tumulte gesorgt hat.

Und auch das neue Album behandelt wieder die drängenden Themen unserer Zeit. Grönemeyer versucht, wieder zusammenzuführen, was auseinandergebrochen scheint, die Gesellschaft ein wenig zu versöhnen. Er kann das, ihm nimmt man das ab. So fehlt die tagesaktuelle Wertevermittlung auch an diesem Konzert in Zürich nicht, und das tut gut. 

Bei «Oh Oh Oh» etwa appelliert er, sich für einen anständigen Klimaschutz einzusetzen, und stellt sich auf die Seite der demonstrierenden Jugendlichen. Gegen Ende des Konzerts widmet er sein «Turmhoch» den Frauen und ihrem Kampf gegen das Patriarchat.

Und so ist ein Grönemeyer-Konzert eben immer ein bisschen mehr als nur Musik, und das macht es zu einem solchen Erlebnis. Er singt für alle, reibt sich an der Welt und glaubt doch an den Menschen. Seine Zuversicht ist unerschütterlich und deshalb ansteckend. 30 Songs hat er gesungen im Hallenstadion, ein bisschen atemlos, hat sich kaum Pausen gegönnt und doch nie nachgelassen. Ein halbes Dutzend Zugaben hat er noch gegeben. Es war gross.

Martin Burkhalter ist Kulturredaktor und schreibt über Pop-, Rock- und Jazzmusik, über popkulturelle und gesellschaftliche Themen. Am liebsten ist er in Kulturlokalen unterwegs und schreibt auf, was er dort hört und sieht. Mehr Infos

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