Die Corona-Krise hat im Kanton Genf ein Riesenloch in den Staatshaushalt gerissen. Statt 500 Millionen Franken fehlen im kommenden Jahr 840 Millionen in der Staatskasse.
Der Genfer Staatsrat und die fünf Regierungsparteien haben sich auf ein Budget mit einem Rekorddefizit für das nächste Jahr geeinigt, das sie dem Parlament vorlegen wollen. Die Gewerkschaften waren von den Verhandlungen ausgeschlossen. Weil die Regierungsparteien neben der Corona-Krise nicht noch eine institutionelle Krise riskieren wollten, machten sie bei ihren Forderungen ungewohnte Abstriche. Die FDP und die CVP akzeptierten die von der Exekutive beantragten 353 neuen Stellen. Dafür verzichteten die SP, die Grünen und das Mouvement Citoyens Genevois (MCG) auf die Forderung nach Lohnerhöhungen für Staatsangestellte. Das ursprünglich erwartete Defizit von 500 Millionen Franken erhöht sich damit auf 840 Millionen Franken. Als Grund nennen die Parteien zusätzliche Dienstleistungen für die Bevölkerung und die Unterstützung der Wirtschaft. Es handle sich um ein Krisenbudget, aber auch um ein Budget der Verantwortung, schrieben die Parteien in einer gemeinsamen Mitteilung. Es ziele darauf ab, alle Anforderungen der Corona-Krise zu berücksichtigen.
Parteien halten Wort
Der Kompromiss wurde von den Staatsratsmitgliedern Nathalie Fontanet (fdp.), Anne Emery-Torracinta (sp.), Mauro Poggia (mcg.) und Sergio Dal Busco (cvp.) erzielt. Wesentlich an der Einigung beteiligt war auch die im Oktober ins Regierungspräsidium gewählte Anne Emery-Torracinta. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, den Dialog zwischen den Parteien und der Regierung zu fördern, und sprach die Parteien schon früh auf den Voranschlag an. Allen Regierungsparteien sei an einem Kompromiss gelegen gewesen, sagte sie vor den Medien. Die Einigung bezeichnete sie als einen «pacte républicain». Inzwischen hat die Finanzkommission des Kantonsparlaments das geplante Budget akzeptiert. Die Regierungsparteien hielten Wort und stimmten ihm zu. Dagegen stimmten einzig die SVP und die Linksallianz Ensemble à Gauche. Dass Genf bereits im November einen Budgetentwurf vorlegen kann, der so breit abgestützt ist, ist selten. Genfer Budgetdebatten sind sonst eine Gelegenheit für harte Konfrontationen zwischen rechts und links. Im Grossen Rat wird das Budget am 3. und 4. Dezember beraten.
Verzicht auf Lohnkürzung
Vor der Einigung der Regierungsparteien hatte der Staatsrat einen Gesetzesentwurf zurückgezogen, der vorsah, die Löhne aller Angestellten im öffentlichen Dienst 2021 um 1 Prozent zu kürzen. Diese Massnahme, mit der die Regierung 30 Millionen Franken pro Jahr sparen wollte, hätte sich über vier Jahre erstreckt. Die geplanten Lohnkürzungen waren vom Staatsrat als Solidaritätsbeitrag des öffentlichen Dienstes für die Privatwirtschaft dargestellt worden, die in Genf stark von der Corona-Krise betroffen ist. Gegen diesen Vorschlag waren die Staatsangestellten allerdings mehrmals auf die Strasse gegangen, Ende Oktober fand ein eintägiger Streik statt. An der Spitze der Demonstrationen marschierten jeweils Vertreterinnen und Vertreter des Gesundheitspersonals, dem die Bevölkerung im Frühling jeden Abend auf den Balkonen für seinen Einsatz gegen das Coronavirus applaudiert hatte. Dass es jetzt statt einer finanziellen Anerkennung eine Lohneinbusse hinnehmen sollte, wollte es nicht akzeptieren. Mit der Zuspitzung der Corona-Pandemie im Herbst war eine Lohnkürzung schliesslich politisch nicht mehr haltbar. In der gegenwärtigen schwierigen Lage wäre die Massnahme von den Staatsangestellten wie eine mangelnde Anerkennung ihrer Leistungen empfunden worden, sagte die Finanzdirektorin Nathalie Fontanet. Allerdings hatte auch die Finanzkommission die Massnahme einhellig abgelehnt, und das Parlament hätte sie kaum gebilligt.
Verhärtete Fronten
Mit dem Verzicht auf die Lohnkürzung forderte Fontanet von den Gewerkschaften, auf einen früher beschlossenen Streik zu verzichten. Sie drohte, die Gewerkschaften andernfalls von den Verhandlungen auszuschliessen. Die elf Gewerkschaften, die das Personal des öffentlichen Dienstes vertreten, stellten sich auf den Standpunkt, nur eine Delegiertenversammlung könne den Streikentscheid aufheben. Eine solche Versammlung fand allerdings erst einen Tag nach den geplanten weiteren Verhandlungen mit der Regierung statt. Fontanet schloss die Gewerkschaften daher von den Gesprächen aus. Die Fronten bleiben verhärtet. Die Gewerkschaften erklärten, die Frage der gesetzlich vorgesehenen Lohnerhöhungen sei nicht unbedeutend, vor allem für die unteren Lohnklassen, und kündigten einen Streik für den 3. Dezember an, an dem die Budgetdebatte im Parlament beginnt.