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Eine Pannenserie im französischen AKW-Park bedroht die Versorgungssicherheit

Abschaltung des AKW Mühleberg

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Abschaltung des AKW Mühleberg

quelle: keystone / anthony anex

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In Frankreich steht über die Hälfte der 56 Reaktoren still. Der Atomkurs der Regierung verliert damit sein wichtigstes Argument – das der Versorgungssicherheit.

Stefan Brändle, Paris / ch media

Frankreich ist stolz auf den zweitgrössten AKW-Park nach den USA. Bloss funktioniert er nur noch halbwegs. 29 von 56 Reaktoren stehen derzeit still, wie der Stromkonzern Electricité de France (EDF) auf Anfrage bestätigt. Für 61.4 Gigawatt konzipiert, liefern die Kernkraftwerke insgesamt weniger als 30 Gigawatt. So wenig Strom haben französische Meiler noch nie produziert, seitdem sie Ende des 20. Jahrhunderts ihren heutigen Bestand erreicht hatten.

Die Gründe für den AKW-Ausfall sind vielfältig – und vielsagend. Viele der gut 40-jährigen Reaktoren müssen überholt werden. Seit dem Ende der Covidpause häufen sich die Wartungsarbeiten. Damit die Meiler weitere zehn Jahre Strom liefern können, müssen sie jeweils ein halbes Jahr vom Netz genommen werden. In Bugey, 70 Kilometer von Genf entfernt, steht ein Meiler deshalb schon seit letztem Sommer still.

Ausgedampft: Die AKW in Bugey nahe Genf stehen seit längerem still.

Ausgedampft: Die AKW in Bugey nahe Genf stehen seit längerem still.Bild: keystone

Fast keine Stromexporte mehr

Ausserdem werden vielenorts Wasserleitungen des Sicherheitskreislaufs von Rost befallen. Auch wenn eine akute Gefährdung der Brennstäbe ausgeschlossen wird, stehen die Ingenieure vor einem Rätsel, zumal der Rostbefall vorrangig jüngere Kraftwerke trifft.

Klar sind dagegen die Folgen. Der historische Stromexporteur EDF verkauft fast keine Elektrizität mehr in die Nachbarländer. In Frankreich steigen die Preise, die durch die Verknappung von russischem Gas ohnehin unter massivem Druck sind. Die Regierung in Paris hat EDF angewiesen, die Strompreise zu deckeln. Das hilft den Konsumenten, verdeckt aber das Strukturproblem dahinter: Die Versorgungssicherheit durch französischen Atomstrom ist nicht mehr gewährleistet.

Abstriche bei der Sicherheit?

Nicht in diesem Sommer und Herbst, aber bereits ab dem nächsten Winter könnte der halbierte AKW-Park ausserstande sein, Frankreich mit genug Strom zu versorgen. Dabei sollten die Reaktoren möglichst im Vollbetrieb laufen, um die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken zu verhindern.

Nicht nur Grüne befürchten, dass die EDF-Strategen Abstriche bei der technischen Sicherheit vornehmen könnten, um die Versorgung der Bevölkerung und Industrie zu gewährleisten. «Das ist genau die Situation, die wir befürchtet haben», meint Bernard Doroszczuk von der französischen Atomsicherheitsbehörde (ASN). «Der Druck auf das Stromnetz könnte die Sicherheit der Reaktoren in Konkurrenz zur Stromversorgung bringen.»

Jahrelange Unterbrüche drohen

EDF bestreitet jede Absicht, die Wartungsarbeiten zu verkürzen oder aufzuschieben. Alle von Rost befallenen Reaktoren seien abgeschaltet. Laut Ingenieuren könnte dies Unterbrüche von «mehreren Jahren» bewirken.

Der Massenausfall von Meilern hat auch politische Folgen. Präsident Emmanuel Macron hatte anfangs dieses Jahres den Bau von 14 neuen Atomkraftwerken angekündigt. Diesen Entscheid verkaufte er als Beitrag zur Klimapolitik – und seit dem Ukraine-Krieg auch zur Unabhängigkeit von russischem Gas.

AKW sind abhängig von Russland

Die Reaktor-Pannen stellen nun aber den französischen Atomkurs insgesamt in Frage. Zugleich wird der Pionierreaktor der neuen EPR-Generation in Flamanville (Normandie) immer mehr zu einem technischen und finanziellen Fiasko.

Die 14 neuen EPR2 können frühestens 2035 ans Netz gehen. Das wäre reichlich spät: Fünf Jahre zuvor, 2030, will sich die EU bereits von russischem Gas und Öl losgeeist haben, wie die Kommission am Mittwoch angekündigt hat. Heute ist Frankreichs energetische Unabhängigkeit von Moskau dank dem Atom sehr relativ. Der russische Nuklearkonzern Rosatom liefert Frankreich angereichertes Uran und wichtige Bestandteile für französische Reaktoren.

Kommt AKW-Aus nach den Wahlen?

Umweltschützer argumentieren allgemein, Macrons Atomkurs schade der Klimapolitik, da er erneuerbare Energien vernachlässige: Bis heute laufe vor Frankreichs lange Meeresküsten noch kein einziger der 50 geplanten Offshore-Windparks.

Die nukleare Pannenserie wird nun auch zu einem Argument in der laufenden Kampagne für die französischen Parlamentswahlen. Wenn die linke «Volksunion» (Nupes) von Jean-Luc Mélenchon im Juni siegt, will er nach dem bereits geschlossenen Oldtimer-AKW Fessenheim möglichst viele weitere Reaktoren abschalten. Und den Bau weiterer EPR stoppen. Macron hätte keine grosse Handhabe dagegen.

Sollte der Präsident hingegen die Parlamentswahl wie erwartet gewinnen und damit eine ihm genehme Regierung erhalten, will er voll auf den französischen AKW-Park setzen. Zumindest auf den Teil davon, der noch funktioniert. (bzbasel.ch)