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Eine letzte Abschiedsrunde mit dem F1-Champion: Für Blick fährt Vettel doch noch seinen 300. Grand Prix

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Sebastian Vettel im grossen Abschieds-Interview mit Blick-F1-Experte Roger Benoit.

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Roger BenoitFormel-1-Experte

Der SonntagsBlick lässt Sebastian Vettel nochmals einsteigen – und zwar für eine Erinnerungs-Runde in Monte Carlo. So kommt der abgetretene Formel-1-Champion doch noch zu seinem 300. Grand Prix.

SonntagsBlick: Wer tritt denn schon nach 299 Rennen zurück? Okay, Jackie Stewart ging nach 99 Rennen, Alain Prost – wie Sie viermal Weltmeister – trat nach 199 Rennen zurück. Sind Sie angeschnallt? Los geht es und bitte nicht zu lange überlegen, dafür schnelle Gangwechsel … Wir stehen am Start. Wie hat eigentlich bei Ihnen alles angefangen?
Sebastian Vettel: Einfach. Mein Vater Norbert ist Bergrennen gefahren, die ganze Familie war irgendwie mit dem Motor-Virus infiziert. Ich war dreieinhalb Jahre alt. Da stellte man mir einen gebrauchten Kart-Boliden unter den Christbaum. Damit bin ich dann im Hof herumgerast. 1995, mit sieben, fuhr ich dann mein erstes Kinderrennen.

Wir schiessen auf die erste Kurve zu. Wer war Ihr härtester Gegner – und wie viel Prozent der Fahrer haben Sie in Ihrer Karriere vertraut?
Da muss ich kurz überlegen. Über die ganze Karriere sicher Hamilton und Alonso. Und das Vertrauen zum Gegner bestimmt immer das Unterbewusstsein. Darauf konnte ich mich meistens verlassen. Oder sonst hat es eben gekracht.

Vettel 2011 im Red Bull: Als Leader gehts in die berüchtigte erste Kurve von Sainte Dévote.

Bremsen, bremsen …
Warum?

Sainte-Dévote wartet. Eine heisse Ecke mit Crash-Vergangenheit. Wie hat sich die Sicherheit seit Ihrem BMW-Sauber-Debüt 2007 in Indy verändert?
Ich glaube, der die Formel 1 hat in dieser Zeit viel gelernt, natürlich auch aus dem tragischen Fall von Jules Bianchi 2014. Ich denke nicht, dass der Sport seine Reize verloren hat. Und mit der Einführung des Halo 2018 haben wir alle noch die letzte grosse Sicherheitsstufe erlebt. Im Allgemeinen war ich mit der Entwicklung zufrieden.

Jetzt gehts den Berg hoch zum Casino. Was waren Ihre Höhepunkte neben den vier WM-Titeln?
Der erste Sieg 2008 mit Toro Rosso in Monza. Dann der Aufstieg mit Red Bull – und später die sechs Jahre mit Ferrari. Es sind einfach tolle Erinnerungen – und ich habe noch alle 53 Pokale von meinen Siegen!

Im Ferrari rast Sebastian Vettel 2017 am Casino von Monte Carlo vorbei.

Es bleibt noch Zeit für einige Gedanken. Der beste Teamkollege, das beste Auto?
Der tollste Wagen war der RB 6 im ersten Titeljahr 2010, weil es damals in der WM extrem spannend war. Auch im Ferrari von 2017 fühlte ich mich wohl. Am meisten habe ich wohl von Teamkollege Mark Webber gelernt. Aber an ihm habe ich mir auch oft die Zähne ausgebissen. Und mit Kimi Räikkönen hatte ich bei Ferrari ja jahrelang das grösste Naturtalent, das es je gegeben hat, neben mir.

Jetzt wartet vor dem Casino der ultraschnelle Linksknick Massenet. Fuhr bei Ihnen auch mal die Angst mit?
Angst in diesem Sinne nicht, aber den Respekt vor der Gefahr darfst du nie ablegen. Man will ja nicht abfliegen. Um es einfach auszudrücken: Je weniger Vertrauen du ins Auto hast, desto weniger risikofreudig bist du! Also lotest du dann das Limit irgendwie nicht aus.

Wir sind am Casino. Sind Sie ein Spieler? Tippen Sie im Lotto mit? Welches ist Ihre Glückszahl?
An mir gewinnt das Casino nichts. Ich gehe vielleicht einmal rein, spiele Roulette. Wenn ich einen Gewinn mache, gehe ich sofort an den Schalter und lasse ihn mir auszahlen. Lotto? Spiele ich nicht. Glückszahl? Ich weiss gar nicht, ob ich eine habe. Nun, ich hatte jetzt lange die 5 auf meinem Auto. Auch die 17 gefällt mir.

Dann können wir ja gleich ihre sechs Lotto-Zahlen für Weihnachten vollmachen.
Also 5, 17, 11, 33, 43 und die 1.

Persönlich

Sebastian Vettel wurde am 3. Juli 1987 in Heppenheim (Hessen) geboren. Seit über 15 Jahren wohnt er in der Schweiz. Früher in Walchwil ZG, jetzt in Ellighausen TG. Im Juni 2019 heiratete er seine Hanna, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hat. Vettel debütierte 2007 mit BMW-Sauber und holte in Indy als Achter einen WM-Punkt. Seine Bilanz: 299 Rennen (zwei verpasste er 2022 wegen Corona). Viermal Weltmeister (2010 bis 2013 auf Red Bull). 53 Siege, 57 Pole-Positionen, 122 Podestplätze und 3501 Runden lag er in Führung.

Sebastian Vettel wurde am 3. Juli 1987 in Heppenheim (Hessen) geboren. Seit über 15 Jahren wohnt er in der Schweiz. Früher in Walchwil ZG, jetzt in Ellighausen TG. Im Juni 2019 heiratete er seine Hanna, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hat. Vettel debütierte 2007 mit BMW-Sauber und holte in Indy als Achter einen WM-Punkt. Seine Bilanz: 299 Rennen (zwei verpasste er 2022 wegen Corona). Viermal Weltmeister (2010 bis 2013 auf Red Bull). 53 Siege, 57 Pole-Positionen, 122 Podestplätze und 3501 Runden lag er in Führung.

Die Abfahrt zu Mirabeau. Kein idealer Platz zum Überholen. Trotzdem: Liebten Sie das Risiko?
Da sind wir ja mit der Frage wieder zwei Kurven zurück. Nein, ich bin kein besonderer Risikotyp, der sich ohne nachzudenken in ein Abenteuer schmeisst. Das Risiko sehe ich auf der Strecke eigentlich nur als Chance beim Überholen. Und ich kenne eigentlich keinen Spinner in der Formel 1, der sich beim Risiko wirklich überschätzt!

Der Rechtsknick bei Mirabeau. Volle Konzentration. Also: Welche Frage würden Sie sich selbst stellen?
Weiss ich nicht. Eine Frage, die man sich vor dem Einsteigen ins Cockpit stellen muss: Bist du bereit? Und bereit in vielen Hinsichten. Ist man frei im Kopf, körperlich fit und nimmt man positive Gedanken ins Rennen? Da sind wir wohl vor dem Start alle gleich.

Vor der Loews-Haarnadel rasen Sie am Botanischen Garten mit den schönen Blumen vorbei. Wann sind Sie ein Grüner geworden?
Die Faszination und die Begeisterung zur Natur hatte ich schon immer. Ich war immer gerne draussen und freute mich darüber, was die natürliche Welt alles zu bieten hat. Ich musste also nie meinen Glauben wechseln! Bei all diesen Umwelt-Meldungen können wir uns der Wahrheit nicht verschliessen, dass wir ohne grüne Welt – um bei Ihren Worten zu bleiben – keine Zukunft haben. Früher oder später werden wir alle Grüne! Weil es nichts anderes mehr gibt.

Die Loews-Haarnadelkurve von Monaco ist legendär. Für Vettel nimmt auch das Leben jetzt eine radikale Wende.

Die Haarnadel. Jetzt können Sie es auch in Ihrem neuen Leben etwas gemütlicher nehmen?
In Monaco gibt es keine Kurve, die man gemütlich nehmen kann. Okay, wir nehmen hier etwas Gas weg. So wird es bestimmt auch jetzt in meinem neuen Leben. Mal schauen, was die Zukunft bringt. Ob ich damit klarkomme, was die Zeit mit mir macht. Ich freue mich jetzt erstmals darauf.

Es geht runter ans Meer. An was erinnern Sie sich gerne?
An sehr vieles. Ich bin einfach zufrieden, dass ich das alles erleben durfte. Ich werde mich sicher nicht an alle tollen Momente erinnern können. Ich bin einfach dankbar für das viele Glück im Leben.

Rechtskurve zum Tunnel. Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal beim Coiffeur?
Das ist lange her. Ich glaube zu Beginn des Jahres. Sieht man das (lacht)?

Im Tunnel. Was waren Ihre dunklen Stunden in diesem Sport?
Viele dunkle Tage hatte ich nicht in meiner Karriere. Vielleicht Brasilien 2009, als ich dort die WM gegen Jenson Button verloren habe. Da nützte mir dann beim Finale in Abu Dhabi auch der Sieg nichts mehr. Und 2014, als das Reglement geändert wurde, hat man mir irgendwie den Zahn gezogen. Weil ich die Autos nicht mehr so spannend fand.

Sebastian Vettel kommt 2019 im Ferrari aus dem dunklen Tunnel gerast. Auch in der Karriere gabs für den Deutschen finstere Momente.

Lange 15 Sekunden im Tunnel. Was ist am Ende nach 299 Rennen? Was sind Ihre Pläne? Gibts jetzt einen langen Urlaub?
Was 15 Sekunden? So lange war ich noch nie im Tunnel. Das sind doch höchstens 5! Da wette ich mit Ihnen.

Vettel holt sein Handy hervor, hat sofort die Polepositionsrunde 2022 von Leclerc drauf. Der Ferrari rast durchs Tunnel – in 5,2 Sekunden.

In 15 Sekunden wären alle schon in der Tabakkurve (lacht wieder). Und jetzt Ihre Fragen: Nach 299 Rennen kommt ein neuer Bremspunkt. Ich bin jetzt 35. Wenn es gut geht, habe ich sicher noch 40 Jahre vor mir. Was morgen kommt, weiss ich nicht. Vielleicht langweile ich mich früher als erwartet. Einen wirklichen Plan habe ich nicht.

Raus aus dem Tunnel, Sprint zur Hafenschikane. Dort kracht es regelmässig. Wie viele Schrotthaufen haben Sie abgeliefert, welche Verletzungen erlitten?
Ich habe mir mal den Finger gebrochen. Ich glaube 2006 in der Renault World Series. Grosse Unfälle hatte ich nie, ein wenig Schrott gab es schon, aber es sah nie dramatisch aus.

Geradeaus zur Tabakkurve. Haben Sie mal geraucht? Aber im Cockpit sicher viel Dampf am Funk abgelassen ... Und auch mal den Helm in eine Ecke geschmissen?
Nein, nie geraucht. Okay, mit 14 habe ich es mal probiert, aber es wurde mir sofort übel, und ich habe stark gehustet. Da war dieses Thema abgeschlossen. Im Cockpit hat es in meinem Hirn schon mal geraucht. Da fielen am Funk sicher einige harte Worte … Den Helm habe ich nie weggeschmissen, dafür hatte ich zu viel Respekt vor meinem Helm. Aber die Handschuhe flogen schon mal in die Ecke. Oder eben auch andere Dinge, die mir in die Hände gekommen sind.

Red-Bull-Vettel 2011 in der Tabak-Kurve am Hafen von Monaco.

Kurzes Verschnaufen am Hafen. Hatten Sie mal Selbstzweifel?
Ja, sehr viele. Und immer wieder. Eigentlich 15 Jahre lang! Ich glaube, dass dies ein Thema ist, über das gar nicht oder zu wenig gesprochen wird. Es ist jedem Fahrer bekannt und begleitet ihn zu jedem Rennen bis zur Startaufstellung. Egal wie cool oder abgeklärt jemand von aussen aussehen mag, glaube ich, dass wir alle von Selbstzweifel geprägt sind.

Jetzt kommt die gefährliche Schwimmbad-Kombination. Bei Ferrari sind Sie sechs Jahre geschwommen, haben trotz 14 Siegen das grosse Ziel Weltmeister nicht erreicht. Warum?
Wir waren nicht gut genug, wir hatten nie das Paket, das am Ende eben zum Titel hätte führen können. Wir waren vielleicht nie stark genug, um Lewis und Mercedes wirklich zu fordern. Das kann man jetzt so drehen, wie man will. Natürlich gibt es noch viele andere Gründe, aber unter dem Strich haben wir einfach das grosse Ziel verfehlt.

Die Rascasse-Haarnadel wartet. Dort, wo die Fans am Esstisch die Autos hinter Gittern aus nächster Nähe bestaunen, wo das Öl auf ihre Teller spritzt. Ihre Lieblingsspeise?
Spaghetti Carbonara. Und sonst einfach Pasta.

Fans sehen Vettel aus dem Gastro-Bereich vorbeiflitzen. Der Deutsche würde dort mit Spaghetti Carbonara bestellen.

Es geht zur Zielgeraden. Da muss doch Freude aufkommen. Gehen Sie als glücklicher Mensch aus dem Zirkus? Kommen da Emotionen hoch, vielleicht sogar Tränen?
Das eine steht dem anderen ja nicht im Weg. Ich spüre ja, dass mit meinem Rücktritt sehr viele Emotionen verbunden sind. Ich habe mich ja selbst entschieden, dass ich die letzte Zielflagge sehen will. Und freue mich nun auf die Auslaufrunden.

Das Ziel. Die Schlussfragen: Hatten Sie immer Lust, ins Cockpit zu steigen?
Ich würde mal sagen, fast immer! Natürlich fehlte manchmal nach einer unruhigen Nacht oder einem anstrengenden Testtag am nächsten Morgen die grosse Motivation, um 8.30 Uhr ins Cockpit zu klettern. Und bei den Rennen kam manchmal nach zehn Runden der Gedanke auf, es wäre jetzt nett, wenn das Ziel schon da wäre …

Bei Ihren 38 Siegen für Red Bull wurden Sie wegen der Marke oft ausgepfiffen. Tat das weh?
Absolut, natürlich schmerzt das. Ich glaube, es war die Tatsache, dass wir so oft gewonnen haben, so stark waren. Die Leute sehen sich eben satt. Das ist heute doch nicht anders. Vor zwei Jahren waren die Fans froh, wenn Verstappen mal gewonnen hat. Heute sind sie wegen seinen vielen Siegen vielleicht etwas müde geworden. Zuerst waren sie auch froh, dass Hamilton nicht mehr dauernd gewinnt. Jetzt würden sie es schätzen, wenn er doch wieder mal siegen würde. Das ist ein Auf und Ab.

Roter Triumph 2017: Vettel gewinnt den GP von Monaco für Ferrari.

Was werden Sie nicht vermissen?
Das Packen der Koffer – und vor allem aus diesen leben zu müssen.

Und was raten Sie Ihrem momentan arbeitslosen Freund Mick Schumacher für die Zukunft?
Er braucht jetzt erst mal etwas Zeit, um alles zu verdauen. Ich wünsche ihm viel Mut und Hoffnung für die nächste Aufgabe. Ich erwarte, dass er bald eine echte Chance hat, zurückzukommen. Ich glaube an sein Potenzial. Er kann einiges mehr, als er in den letzten zwei Jahren gezeigt hat. Das Auto war nichts Besonderes, und das Team hat auch viele Fehler gemacht. Natürlich ist auch sein Name nicht immer ein Vorteil.

Haben Sie noch einen Weihnachtswunsch?
Ich habe in meinem Leben genug bekommen, um jetzt noch irgendwelche Wünsche zu haben. Ich wünsche uns allen, dass wir dem grossen Bild unseres Lebens immer offener und toleranter entgegentreten. Dass wir als Gesellschaft immer ehrlicher werden, uns weiterentwickeln und nicht stehen bleiben. Es gibt so viel, was wir noch lernen und besser machen können!

Herr Vettel, wir danken Ihnen für diese etwas aussergewöhnliche Runde in Monte Carlo, wo Sie 2011 auf Red Bull und 2017 auf Ferrari gewonnen haben. Normal brauchten Sie einst 70 Sekunden für die 3,3 Kilometer im Fürstentum. Diesmal waren es 27 Minuten. Danke – auch im Namen ihrer Millionen Fans – für tolle 15 Jahre in der Formel 1.