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Die Verbrechensakte von Putins Söldnern

Prigoschin in Bachmut? Der Söldner-Chef inszeniert sich und seine Kämpfe auf einem von ihm verbreiteten Foto im Frontgebiet. Seine Einheiten gelten als besonders brutal.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin inszeniert sich und seine Kämpfe auf einem von ihm verbreiteten Foto im Frontgebiet. Seine Einheiten gelten als besonders brutal.Bild: Telegram

Seit der Invasion in die Ukraine kennt die ganze Welt die berüchtigten Wagner-Söldner. Ihre Geschichte begann jedoch Jahre vorher – und ging stets mit Gräueltaten einher.

Ein Artikel von

t-online

Warnung: Dieser Text enthält explizite Schilderungen von (sexualisierter) Gewalt und Tötungen, die verstörend wirken können.

Es ist wohl einer der grausamsten Kämpfe im Ukraine-Krieg: die Schlacht um Bachmut. Seit Wochen kämpfen dort Ukrainer und Russen um den Ort im Osten der Ukraine – die Verluste auf beiden Seiten sind immens. Federführend in dem Kampf: russische Söldner der «Gruppe Wagner» unter ihrem Chef Jewgeni Prigoschin, der sich erst kürzlich nahe der Front zeigte.

Doch auch abseits der umkämpften Stadt machen die Wagner-Söldner immer wieder Schlagzeilen – vor allem mit besonders grausamen Verbrechen. So ermordeten sie mindestens einen Deserteur mit einem Vorschlaghammer, filmten die Tat und luden das Video ins Internet hoch. Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste sollen sie zudem eine grosse Rolle bei den Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha gespielt haben.

Seit der Invasion in die Ukraine stehen die Wagner-Söldner im Licht der Weltöffentlichkeit. Die Akte ihrer mutmasslichen Verbrechen aber beginnt viel früher: Berichten zufolge ist die Gruppe bereits seit rund zehn Jahren aktiv. Obwohl private Söldnergruppen in Russland eigentlich illegal sind, soll der Kreml sie bereits vielfach eingesetzt haben, um politische und wirtschaftliche Interessen zu sichern – und hat doch immer wieder abgestritten, mit den Söldnern in Verbindung zu stehen. Was steckt hinter diesem Söldnertrupp, der sich zum Teil über Beteiligungen an Minen finanziert? Und welche Verbrechen gehen auf ihn zurück?

Erster Einsatz auf der Krim

Ihren Ursprung hat die «Gruppe Wagner», so berichten es Medien, im russischen Militär. Um 2010 sei im Kreml der Wunsch entstanden, abgeschirmt von der Öffentlichkeit Soldaten in bestimmte Weltregionen zu schicken – etwa, um inoffiziell in Krisen mitzumischen oder russische Unternehmen zu schützen.

Erstmals aktiv wurde die «Gruppe Wagner» nach Recherchen von «Bellingcat» 2014 in der Ukraine, damals auf der Krim und im Donbass. Doch dabei blieb es nicht. Die Liste der Staaten, in denen die Söldner in den Jahren danach tätig waren, ist lang. Zwei Einsatzorte abseits der Ukraine stechen jedoch heraus.

Wie Russland über die Wagner-Söldner seine Interessen durchsetzt, zeigt der Einsatz in Syrien beispielhaft. Im vierten Bürgerkriegsjahr, im September 2015, begann Russland seinen Militäreinsatz in dem Staat, kurz darauf folgten die Wagner-Söldner. Es war ihr zweiter grosser Einsatz nach ihrem Auftritt auf der Krim und in der Ostukraine – und führte die Söldner in ein Fiasko.

In Syrien kämpfte die Söldnergruppe an der Seite der Armee von Machthaber Baschar al-Assad sowohl gegen die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) als auch gegen Oppositions- und Rebellengruppen. 2017 erhielt die US-Nachrichtenagentur AP Dokumente, nach denen die Wagner-Gruppe im Gegenzug Gewinnbeteiligungen an Ölkonzernen erhielt, die sie aus der Hand des IS befreiten – von 25 Prozent ist dort die Rede.

Ein lukratives Geschäft: Aus solchen Deals im Nahen Osten und Afrika stammt ein grosser Teil des Einkommens von Wagner-Boss Prigoschin, wie Recherchen der «Financial Times» zeigen.

Staat distanzierte sich von Söldnern

Offiziell wollte der russische Staat nichts mit ihnen zu tun haben, stritt eine Verbindung stets ab. Welchen Vorteil dieses angebliche autonome Handeln hatte, zeigte sich nach einem Vorfall 2017: Söldner folterten damals einen syrischen Bürger unter anderem mit einem Vorschlaghammer zu Tode, verbrannten seinen Körper. Anschliessend posierten sie mit seinem abgetrennten Kopf, hängten diesen an einem Zaun auf. Ihre Tat filmten und fotografierten sie.

Zum Verhängnis wurden den Wagner-Soldaten Gefechte mit US-Soldaten. Im Februar 2018 attackierten Söldner eine Stellung der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Deir ez-Zor im Osten des Landes – offenbar ohne zu wissen, dass sich dort auch Berater der US-Armee aufhielten. Diese forderten direkt Luftunterstützung an. Zwischen 300 und 600 russische Söldner sollen in der Folge getötet oder verwundet worden sein.

Für die Wagner-Gruppe und ihren Chef Prigoschin bedeutete das damals einen Machtverlust. Anschliessend konzentrierten sich die Wagner-Söldner stärker auf Einsätze in Afrika – Einsatzorte, die monetär «nahezu jämmerlich» wirkten, wie der freischaffende Journalist und Analyst Neil Hauer schrieb.

Einer der afrikanischen Staaten, in denen die Wagner-Gruppe besonders aktiv ist, ist die Zentralafrikanische Republik. Der Einsatz dort begann offenbar Anfang 2018. Die Mission von Prigoschins Männern: die Ausbildung von Soldaten sowie Unterstützung im Kampf gegen Rebellengruppen. Zudem kommen sie als Leibwachen des Präsidenten Faustin-Archange Touadéra zum Einsatz.

Im Gegenzug sollen die Söldnergruppen, neben Wagner ist hier anscheinend auch eine weitere Gruppe aktiv, Zugang zu Gold-, Uran- und Diamantenminen erhalten haben, wie die unabhängige US-Denkfabrik Center für Strategic and International Studies (CSIS) schreibt.

Auch in Afrika aktiv

Der Kreml selbst kommunizierte 2018, dass Russland in dem Land Soldaten ausbilde. Zwar ist in der offiziellen Verlautbarung von 170 «zivilen Ausbildern» die Rede – das allerdings ist Beobachtern zufolge wohl nur ein verschleiernder Begriff für Söldner. Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik dementiert bis heute, Wagner-Söldner beauftragt zu haben. Mittlerweile ist ihre Präsenz in dem afrikanischen Staat aber so gut belegt, dass es daran keinen Zweifel gibt – obwohl die Gruppe viel dafür tat, ihr Treiben zu verschleiern.

Das zeigt etwa der Fall der russischen Journalisten, die 2018 vor Ort über die Söldner recherchieren wollten und wenig später tot aufgefunden wurden. Offiziell hiess es damals, bewaffnete Unbekannte hätten die Männer getötet.

Dennoch gelang es Journalisten und Hilfsorganisationen, zumindest einige Taten der Söldner in der Zentralafrikanischen Republik zu dokumentieren. So etwa das «Aïgbado-Massaker» im Januar 2022, benannt nach einem Dorf im Westen des Landes.

Dort sollen russische Söldner gemeinsam mit der zentralafrikanischen Armee für den Kampf gegen Rebellen eine Basis errichtet haben. Bereits bei der Ankunft sollen sie dabei auf die Zivilbevölkerung geschossen und Häuser niedergebrannt haben. So berichtet es das zentralafrikanische Internetportal «Corbeau News» und auch Reporter Philip Obaji Jr. für das US-Medium «The Daily Beast» unter Berufung auf Augenzeugen.

Viele Menschen sind laut den Berichten auf der Flucht in einen 70 Kilometer entfernten Ort getötet worden, Fischer berichteten von Leichenfunden in einem Fluss. Den Angaben zufolge soll es mindestens 70 Tote gegeben haben, die Vereinten Nationen untersuchen den Vorfall. Doch damit war der Horror nicht vorbei.

Obaji sprach für «The Daily Beast» etwa mit zwei 16-jährigen Mädchen, die in ein nahe gelegenes Flüchtlingscamp flohen. Dort aber seien sie in die Hände von russischen Söldnern übergeben worden, die sie vergewaltigt hätten. «Sie hielten uns dort wochenlang fest und machten uns zu ihren Sklaven», sagte eine der beiden. «Wir konnten hören, wie die Mädchen schrien, als sie vergewaltigt wurden.» Wenn ein Mädchen schwanger geworden sei, hätten die Söldner einen Arzt geholt, der den Fötus abtrieb.

Zum Zeitpunkt des Interviews waren die Mädchen bereits im benachbarten Kamerun. Sie flohen nach eigenen Angaben, als Bewaffnete das Lager der Russen überfielen. Unabhängig überprüfbar sind ihre Aussagen nicht. Es gibt jedoch immer wieder Berichte auch aus anderen afrikanischen Staaten, dass die Söldner Zivilisten hinrichten und vergewaltigen.

Eine der einflussreichsten Figuren

Zurück in die Ukraine: Seine Verbindungen zu den Wagner-Söldnern versteckt Russland inzwischen nicht mehr, im Gegenteil. Sie kämpfen offen und medienwirksam an der Seite der russischen Armee. Der Kampf um Macht und Deutungshoheit zwischen der russischen Armee und dem Söldner-Unternehmen aber treten immer offener zu tage. Mehr dazu lesen Sie hier.

So gibt es Anzeichen und Berichte darüber, dass Kremlchef Wladimir Putin versucht, den Einfluss Prigoschins einzudämmen. Droht ein Machtverlust der Söldnergruppe? Genau weiss das abseits des Kremls niemand. Die Geschichte von Wagner zeigt allerdings: Auch in Syrien erlitt Wagner-Chef Prigoschin einen Rückschlag. Vier Jahre später aber – im Ukraine-Krieg – ist er eine der einflussreichsten Figuren in der russischen Öffentlichkeit.