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Die Krypto-Kirche von Davos: Der Pfarrer, der seine Kirche während des WEF an Firmen vermietet

Die Krypto-Kirche von DavosDer Pfarrer, der seine Kirche während des WEF an Firmen vermietet

In seinem Gotteshaus in Davos wird zurzeit nicht gebetet. Doch Pfarrer Marc Schmed hat damit kein Problem.

In der englischen Kirche von Davos geht es derzeit um Kryptowährungen.

In der englischen Kirche von Davos geht es derzeit um Kryptowährungen.

Foto: Marcel Giger

Es ist acht Uhr, soeben hat in der englischen Kirche in Davos die erste Veranstaltung des Tages begonnen. Das Thema ist nicht Gott, sondern die Blockchain-Technologie. Später am Vormittag wird es in der Kirche einen Ausblick auf den Kryptowährungsmarkt geben.

Wie war das noch gleich? Hat nicht Jesus die Händler aus dem Jerusalemer Tempel vertrieben und gepredigt, dass der Tempel dem Gottesdienst vorbehalten bleiben solle? 

«Jesus’ Haltung ist vom Alten Testament geprägt», sagt Pfarrer Marc Schmed. Da sei der Tempel der Ort der Anbetung Gottes gewesen. Für Katholiken sei die Kirche noch heute ein heiliger Raum. «Als Freikirche orientieren wir uns diesbezüglich am Neuen Testament. Pfingsten heisst: Gott schickt den Heiligen Geist zu den Menschen. Somit ist der Ort der Anbetung nicht mehr relevant.»

Marc Schmed ist katholisch aufgewachsen und heute Pfarrer der Freien Evangelischen Gemeinde. Diese stellt die Kirche während des WEF zwei Firmen für Veranstaltungen zur Verfügung: dem amerikanischen TV-Sender CNBC und der Filecoin Foundation.

Wie viel Geld die Kirchgemeinde dafür erhält, will sie nicht verraten. Eine Million – wie kolportiert wird – sei es aber bei weitem nicht, sagt Schmed. Und: «Wir hatten auch schon Angebote für das Fünffache dessen, was wir heute erhalten.» Es gehe nicht in erster Linie um die Finanzen, sondern darum, mit den Räumen zu dienen.

Pfarrer Marc Schmed im Kirchgemeindehaus. Das WEF betrachtet er grundsätzlich als etwas Gutes.

Pfarrer Marc Schmed im Kirchgemeindehaus. Das WEF betrachtet er grundsätzlich als etwas Gutes.

Foto: Marcel Giger

Die Kirche in der Nähe des Kongresszentrums ist optimal gelegen für Firmen, die vom Scheinwerferlicht des WEF profitieren wollen. Unumstritten ist diese Nutzung laut dem Pfarrer nicht: Die meisten der rund 50 Vereinsmitglieder stünden zwar dahinter, doch manche seien skeptisch. «Man kann unterschiedlicher Meinung sein», findet Schmed. Am Ende gehe es darum, wie man das WEF sehe. «Ich sehe es im Grundsatz als etwas Gutes.» Die Veranstaltung biete Entscheidungsträgern aus der ganzen Welt Gelegenheit, sich auszutauschen. Das sei eine Chance. Die Kirche könne dazu beitragen.

Schmed sieht auch die Schattenseiten des WEF. So sei dieses für das Ladensterben an der Promenade mitverantwortlich. Weil die Mieten an vier Tagen im Jahr so hoch sind, vermieten manche Besitzer die Läden nur an diesen vier Tagen. Und natürlich gebe es am WEF auch Menschen «mit heiklen Hintergründen», räumt Schmed ein. Aber: «Man kann nicht pauschal sagen, das WEF sei schlecht oder verfolge falsche Ziele.»

Grenzen gibt es für den Pfarrer trotzdem: Als Partyraum würde die Gemeinde die Kirche nicht zur Verfügung stellen. Aber für Kryptowährungen? Diese seien ohnehin nicht aufzuhalten. Daher sei es gut, darüber nachzudenken, wie sie sinnvoll genutzt werden könnten.

Die englische Kirche in Davos während des WEF.

Die englische Kirche in Davos während des WEF.

Foto: Marcel Giger

«Die Zusammenarbeit dient beiden Seiten», sagt Schmed. Das Geld aus der Vermietung ermöglicht Renovationsarbeiten an der Kirche und eine volle Anstellung für den 44-jährigen Pfarrer, der früher noch mit einem 40-Prozent-Pensum am Gymnasium des Klosters von Disentis unterrichtet hatte.

In den 1970er-Jahren gab es Pläne, die Kirche abzureissen. Gebaut wurde sie vor 140 Jahren. Ein deutscher Arzt fand damals heraus, dass das örtliche Klima Tuberkulose-Kranken guttat. Bis zu 3000 Engländer lebten in dieser Zeit in Davos. Sie erhielten eine eigene Kirche. Im 20. Jahrhundert nahm die Zahl der Engländer ab. Heute dient die Kirche nicht mehr dem Gottesdienst tuberkulosekranker Engländer, sondern jenem von Freikirchlern – oder den Kryptowährungsapologeten.

Charlotte Walser gehört seit 2021 zum Bundeshausteam der Redaktion Tamedia. Die promovierte Philosophin arbeitet seit 1995 als Journalistin. Von 2010 bis 2020 berichtete sie für die Nachrichtenagentur Keystone-SDA aus dem Bundeshaus. Weitere Stationen waren InfoSüd und die Uno-Flüchtlingsorganisation UNHCR.

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